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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 1 (Januar 1924)
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Müller, Alexander: Bildender Kunstunterricht
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0006

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141

Dic ersio Aufgabe dcs 5iuns!unicrrich!s, die Ge-
fllhlssunkiioncn der Seele zur Außerung zu bringen,
lvcndc! sich dami! gleichzeiiig an die schöpserischen
Kräste. Der Schasfenstrieb muh im ersten Kunst-
untcrrich! scine bejondere Ilntcrsklltzung ersahren und
bildet darum die alleinige Grundlage sür die ersten
Arbeiien. Dazu käme ein möglichstes Freimachcn
des Gefühls von allen Hemmungen intellekiuellcr Ark.
Bei diesem Arbeiten ist dcm jungen Menschen die
Möglichkeit gegeben, sich frei nach seiner Persön-
lichkeit zu äujzern, sich selbst kennen zu lernen und
sich dadurch aus eigencr BasiS zu eniwickeln. Hier
gib! eS nur den Schaffcndcn selbst und das Maierial,
in dem er arbeitek. Ilnd wir erkennen hieraus wie-
derum die Wechselbeziehungcn zwischcn dem Schas-
fen und dem Skoss die stciS ineinanderspielen und
vom ersten biS letzien Augenblick der Arbcit nicht
von einandcr gekrenn! wcrdcn können.

Nun seien hier noch cinige Worie über die Ark
der Gcsllhlssunkiionen der Secle bei der schaffenden
Wcrkarbeit gesagk, damit nichk Gefühl irrtümlicher-
wcise sür irgend wclche Scnkimenkalität gehalken
werde. Die GefühlSfunkiioncn der Seele, die der
schafsenden Werkarbcik zugrunde liegen, erwachsen
cinem Organc, das sich an Kraft sciner Äußerungen
dem Berstande glcichwcrtig an die Seite stellk. Sie
bestimmen die Erschcinung des Werkes: Die Bie-
gung eincr Kurve, die Schwellung einer Farbe, die
Wölbung einer Fläche, für die es keinc Borbilder
oder Musder geben kann. Nichts auf der Melk
kann ihnen ihre Arbeik abnehmen. Sie wird ent-
weder von den Gefühlsorganen gcleistet oder über-
haupt nicht. Anderereits können diese Organe aber
bis zu einer Feinheit und Präzision arbeiten, die zu
den höchsten Leistungen des Menschen gehören. Es
ist daher erklärlich, wenn wir diese starke Arbeit der
Seele bekrachken, daß ein intellekkuelles Zeitalker
diese Funkkionen, wo sie sich noch zeigken, häufig mit
Äußerungen des Berstandes verwechselte. Dicse
skarken, seelischen Kräfte sind also die Pfeiler, auf
welchen sich der gefühlsmäßige und schöpferische
Künstunterricht aufbauk, sein Lehrer und Helfer ist
der Skoff, mit dem gearbeitek wird.

tlber den Begriff Stoff oder Material sel hier des
weikeren die Rede. Zu diesem Begriff gehört nicht
nur der Skoff, aus dem die Arbeit besteht, sondern
ebenso bestimmend für ihre Art ist das Werkzeug,
mit welchem gearbeit wird. Wenn wir z. B. den
Skoff Papier annehmen und dazu die Mannigfaltig-
kcii der Merkzeuge, die ihn bearbeiken können: Pin-
sel, Fcder, Blcistift, Kohle, Schere usw., wenn wir
an die verschiedenen Graphikcn und Malarken an
Klebearbeiten oder Modelliercn und Gipsschneiden
usw. denkcn so wird es uns klar, daß alle diese Stofse
und Werkzeuge ihre eigenen Gesehe in sich kragen,
die niemand kennen lerncn kann dadurch, daß er
hört oder liest, so und so werden sie gebraucht und
gchandhabk, sondern dadurch, daß er selbst mit ihnen
arbcitet. Ilnd weiter tragcn auch die erschaffenen
Gcbilde ihre Gesehe in sich, die der beschauende
Mensch kennen muh, um ein Berhältnis zu ihnen zu
gewinnen, und dic er nur kcnnen lernen kann, wenn
cr selbst Gebilde schafft. Wir habcn hier also die
Grundlagen, dje allein einem Kunstunicrrichk als Ba-
sis dienen können. Dcr Kunstuntcrrichk, sowcit er in
der Schule gcpslegk wird kann flch kaksächlich auch

mi! nichts andcrem, als mi! dicsen Grundlagen be-
sassen. Die Bclebung und Pslege des Gcsllhls und
dcr Schaffenskrafk, das Kennenlernen des Ma!e-
rials und seiner Werkzeugc, sind unerschöpslich große
Gebiele und nur jahrelange Beschäftigung damit
kann sichtbare Ersolge sür die kunsilerische Lmpfin-
dung hcrvorbringen. Ein Eingehen auf irgend welche
Berseinerung äußerer Technik enlspricht dem Zwecke
dicser Arbeilen nicht.

Der Arbcitsraum muß daher den Charakter einer
Werkstatt haben, in der gearbcitet wird, um der Er-
fahrung willen, die aus dem Arbeiten entspringk und
nichk um irgend wclchcr bleibender Erzeugnissc wil-
lcn. Bon den wöchentlichen Kunstunkerrichtssiundcn
müssen die beiden Kernfachstunden dem Zcichncn,
Malen und Modcllieren, eine der Kunstchrift zuge-
teilt werdcn. Das Zeichncn und Malcn ist von ein-
fachster und dabci stärksler Einwirkung auf die
Lockerung und Bildung der seelischen Gefllhlskräfke,
daher muß ihm eine überragende Bedeutung im ge-
samken Kunstunterricht zugestandcn werden, doch soll
damik die Wichtigkeit des Modellierens zur Bildung
des Formgcfühls und der Werkarbeit zur Erlangung
von Makerialkennknis in keiner Meise beeinkräch-
iigt werden, wie ja Lberhaupt die Wichtigkeit des
Stoffes schon mehrfach besonders betont worden ist.
Der llnkerricht im Zeichnen und Malen, der wie der
Werkunterrichk auf derselben handwerklichen Basis
stehk, hak sich daher außer mik den schaffenden Ge-
skaltcn, mit der Makerialkunde seines Werkzcuges
zu besassen. Es ergibk sich da zunächst, daß dem
Kinde die Farbe näher licgt, als eine graphische Aus-
drucksweise. So wird ein Arbeiken mit Farbc der
natürliche erste Ausdruck einer gcfühlsmäßigen,
kindlichen Kunstäuherung sein. Zctzk gilt es, durch
ein unmittelbares Arbeiken mit Farbe, deren ver-
schiedcne Ausdrucksmöglichkelken gefühlsmäßig zum
Erleben zu bringen. Farben allein und in verschie-
dcnen Schwellungen, weiter in mannigfaltigen Zu-
sammenstcllungen zu bestimmten Klängen vereinigk,
bringen zur Erkenntnis, daß eine Ausdrucksmöglich-
keit durch Farbe vorhanden ist, ähnlich klar und all-
gemeinverständlich wie dicjenige der Musik.

Als weikcres, das Geskalten förderndes Element
krikt dann der Rhykhmus auf, d. h. die Bewegung
der Flächen nach einem Prinzip der auch zum gra-
phischen Ausdruck Lberleitet und die Flächengliede-
rung zur Nokwendigkeik machk. Es liegk nun aber
in der Nakur des gefühlsbildenden Arbeitens, daß
nicht etwa nach einein festen Plan verfahren wcrden
kann, erstcns — zweikens — drikkens — Farbe,
Nhykhmus, Flächengliederung, sondern alles zugleich
und durcheinander wird je nach Bedarf und Notwcn-
digkeik zu üben sein.

And wiederum, wie der Kunstzinterrichk aufgebaut
ist auf die beiden Pfciler Gefühl und Material, so
liegen in dieser Dreiheit Farbe, Flächenbewegung
und -Gliederung seine gesamten Lbungen beschlossen
und können von dec ersten Unkerrichtsstunde bis zur
lchken nichts anderes sein, als eine Bcschäfkigung
mit diescn Dingen. Es können vielleichk die einzelnen
Ausdrucksmittcl, die Werkzeuge und das Makerial,
dcn verschicdcnen Lebcnsaltern enksprechend wech-
seln, die Grundbeschäfkigung bleibk dieselbe denn ein
Hinzutrctcn von Linixncmpfindcn fällt unter den Be-
griff Bewegung (Rhythmus) und ein ekwas verschärf-
 
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