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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 2 (März 1924)
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Kolb, Gustav: [Rezension von: Herbert Kuhn, Die Kunst der Primitiven]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0045

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Itttt

'feilcn und Völkcr. Lr mcinl, dic wirijchastlichc Gc-
'schlchtöauffassung !s! cin ncuer Gesichkspunkt in der
Kunstgeschtchlc, ein ncuer Wea — der einzige Weg
aber, der nichk nur in dcr krunsk der Primltiven, son-
dern auch späker den Pfod zu zeigcn vermag, And
er skellt ganz allgeincin den Sah auf: Völker und
Zeiken mik parasikischer Wirtschaft, mit Verbraucher-
wirkschafk haben cine sensorischc, d. h. eine Wirklich-
keiiSkunsk, dagegen habcn Bölker und Zeiten mik
symbiotischer, mit gcbundener, rnit Erzeugerwirtschafk
eine imaginative, d. h. eine abstrakte, eine Vorstei-
lungskunst. Einc für die Kunstwisscnschaft so folgen-
schwere Behauptung bedarf natürlich der eingehen-
dcn Begründung. Ich geskehe, dah die Probcn eincr
solchen Begründung, dic Dr. H. Kuhn in scinem Buch
gibk, mich zum mindcsten von der Ernsthaftigkeit seiner
Gedankengänge überzeugken. Wie ist denir z. B. der
Wandel in dcr griechischen Kunst von der 'strengen
geoinckrischen Richtung der frllhen Zeit zu der frcicn
WirklichkcilSkunst der späkcren Zeit zu erklären?
Dr. H. Kuhn führk dazu u. a. auS: Die Kunst dcr
Nachbildung der Wirklichkeik kann nur in einer Zcit
wachsen, in der der Mensch mit allen Fasern verbun-
den ist mlt dem DiesseitS, mik der „Welt". Der Kern-
begriff des griechischen Lebens ist wirkschaftlich bc-
stimmt von dem Uebergang von dem reinen Landwirk-
schafissystem der Borzeit zum Handels- und Kolonial-
system der hochgriechischen Periode. Das geistigc
Leben verlor seiire Etarrheit, das Mystische der allen
Zeit verschwand, die Gökter wurden Menschen. Die
Forderung nach Harmonie und Gleichmut der Seele
kennt nicht das Ungebundene des geistigen Lebens
oder die lehke Bersenkung in Gott. In der festen
Gcstalt der Kugel erscheint das Welkall: daS Mah
der Dinge, das Begrenzte, Feste in der Welt. Das
Denken yak stch von ollem Ucberirdischen abgewandk.
Die Naturwisienschafien erklärten die vorher uncr-
klärbaren Nakurgewalten vernunfkgemäjz, die Philo-
sophie deukete die Zusammenhänge von Mensch und
Sein. Der enge Nahmen des Weltbildes dcs bronze-
und eisenzeiklichen Ackerbaues rst zerbrochen, die Welt
weiter und klarer geworden. Die Kolonisakion be-
ginnt in Griechenland im S. und 8. siahrhundert und
nimmt immer mehr zu. Die griechische Warenerzeu-
oung geschieht in den ersten Iahrhunderkerr der Ko-
lonisation für den eigenen Bedarf. Abgesetzk wcrden
nur solche Waren, die der Grieche der Zeik selber
brauchke, allmählich aber (ekwa vom 6. oder 5. Iahr-
hundert) richtet stch die Erzeugung für den Absah ein.
Die Erzeugung übersteigt den eigenen Bedarf. Der
Handel mik seinem Ausdehnungsbedürfnis und seiner
ewigen Bewegung erreicht feine Blüte. Tenophon
berichkek von Ekädken, die sich einem Spezialindustric-
zweig widmen. Es entstehcn Haupkhandelsskädte, dic
den Handel beherrschcn. In notwendigem Zusammen-
hang damit werden, wie Aristoteles berichkek, For-
men des Geldkredits enkwickelt, Banken gelangen zu
höherer Bedeutung, sogar Bereinigungen der Ban-
kiers und alle Formen der Spekulakion erscheincn.

Nur in diesem Zusammenhange ist die griechische
Kunst zu erklären, ihr Fortschreiken von der gebun-
denen, noch fast starren griechischen Kunst zur Dar-
stellung der Bewegung in den Blükezeiten. Nur aus
diesem Gesamtkomplex des Lebens ergeben stch die
Problcme dcr griechischen Kunst, die man mit den
Worien Bewcgung und Matz zusammenfasien kann.
Diese Kunst mußte scnsorisch fein, ihr Wollen richket
stch auf dic Gestaltung des Gegebencn, es will nicht

daS Ewige, das'Mastlose bilden, sondcrn das Rcale,
das Wirklichc in allcr Schönheit und Krast.

Ganz ähnlich mutzkc dic Entwicklung der Kunst
vcrlausen in dcr Rcnaissance. Es ist kein Zufall, datz
die Wandlung deS Skils von dcr imaginativen Form
der Gokik zur lebensvollen sensorischen Form dcr
Renaissance zusammenfälll mit einer Wandlung der
Wirkschafk von der Gebundenhcit des FeudalsystemS
zur Freihcit dcs Handels. 3n sttalien änderke sich zu-
erst die Wirtschaft und damit das geistige Leben. Das
erst wurde der Grund, warum man sich auf die An-
tike besann. Es entskeht aus der lokalen Selbstgenüg-
samkerk ein allseitiger Verkehr, dcr Aandel sprengt
alle Bindungcn, er überspannt die weikesten Räumc.
Ls ist auch nicht zufällig, daß die neue Kunst zuerst
in Italien erwächst. Nicht deshalb entsteht sie hier,
wic man so oft folgerte, wcil dic Erinnerung an dic
Antike noch lebendig war — dicse Erinnerung war
auch die Iahrhundertc vorhcr da und hat doch nichl
die Renaissance geschafsen — sondern umgekehrt, weil
die Wirtschafi sich ändcrte und mik ihr das geistige
Lebcn. Das erst wurde dcr Grund, warum man stch
auf die Ankike besann.

stn Nalien zerschlägt der Handel das alke System.
Er hatte hier zwar seik dem Ankergang des Römer-
reiches nie ganz aufgehörk, aber er stand im Dienste
des Verbrauchs, nicht der Erzeugung: er konnke da-
her nie aus der Peripherie des Lebens in den Mik-
kelpunkt treten. Die grotze Masse der Bauernbevöl-
kerung stkaliens brauchte ihn nichk. Allmählich aber
wurde der Nahmen zu eng. Der Markt konnte nicht
mehr gedeckt werden mit der eigenen Erzeugung; die
Fesfeln der alten feudalen Wirtschaft wurden ge-
sprengk: die Manufaktur beqann. 3n Palermo ent-
skeben im 12. Iahrhundert öeidewebereiery im 14.
Iayrhuriderk iverden Webereien in den nordikalieni-
schen Skädken errichtet. So erwachsen die Grund-
sagen der kapitalistischen Produktionsweise und mit
ihnen wandelt stch das Denken. Der Kaufmann jst
nicht auf den kleinen Bezirk beschränkt wle der
Bauer odcr der Handwerker, der für den lokalen Be-
darf crzeugt, er drängk hinaus nach immer nenen
Gegenden, Absatzmärkken. Es mutzte das Zeikalker
der Entdeckungen kommen. Immer raschcr entwickelte
sich das neue revolukionäre Element durch die Enk-
öeckung Amerikas, die Umfchiffung Afrikas. Neue
Waren, neus Tauschmitkel geben dem Markt einen
immer grötzeren Ausfchwung, bis auch die Manufak-
tur nichk mehr ausreichke und die neuzeitliche strrdu-
strie an deren Stelle trat. Mit all dem verging die
Mystik des Mitkelalters, die Religion verlor ihre
eheimntsvolle Gewalk. Der Mensch trak heraus, die
cherrschende, kraftvolle Persönlichkeit, das Leben
gewann an Fülle und Tak wie nic zuvor.

Kann hier die Kunst dic gleichc sein wie in dcr
Feudalwirtschaft?

Ihre Probleme muhten wie in der Wirtschast dic
Bewegung und die Gestalkung des Gegebenen wer-
den. Wie bei den Griechen mutzke das Wollen der
Zeik sich darauf richten, das Ilebernakürliche abzu-
weisen, das Naturhafke zu gestalten in immer
feinerer Erscheinung und Erfühlung des Gegebenen,
in immer sorgfältigerer Beobachkung des Gegenstan-
des und seiner Bewegung. Mit der Enkstehung der
stndustrie, mit der Erfindüng der Maschinen mutzte
der Prozeß noch zunehmen. Profit, Ware, Kapikal,
Kredit — das wurdcn die Triebclemenke der Zcik.
stmmer ncuc Maschinen mutzken cntdeckt, immer neue
 
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