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Bund Deutscher Kunsterzieher [Hrsg.]
Kunst und Jugend — N.F. 4.1924

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Heft 4 (Juli 1924)
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Kolb, Gustav: Der Unterricht in der Bildsprache, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22225#0092

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-227

lungc», d. h. von Charoklcrlnldcrn dcr Außcnwcll
ist die grundlegcndc Ausgabc des UnlerrichlS in dcr
Bildsprnche. Dicse Ausgabc beruhi im dcnkcnden
und sllhlendcn Ersossen dcr vcrschicdenen Er-
schcinungcn eines Gegcnslandcs, im Eindringcn ln
seine inneren Zusammcnhänge, ln scinc Gcsestmäßig-
keii durch Zerlegen, Bcrglcichcn, Heraussicllcn ües
Wescnilichen im sachlichcn und künsllerischen Sinne
und im Wicdcrausbaucn, Zusammcnschaucn zu einem
daS Wcsenkliche klar zeigendcn Bild, zu einer
charakieristischcn Gcsamivorslcllung.

Diese Arbeik, dic dcm Darslcllcn vorausgchen muß
und zu der jeder gczwungen ist, der im Sinne des
Gesialiens. des Bildcns im Gcgensatz zu Abbilden,
darsiellen will, isi ein fortwährcnder geisliger
Schöpsungsokt im 5ileincn, <„Der Wert dcs Zeich-
nens gegenüber dem blosten Beirachien ifi dcr, daß
es zu einer geistigen Anolyse der Forin zwingi."
Profcssor Straßer, Direkior des anaiomischen
stnsliiuls an dcr Ilniversiläi in Bern.)

Eincn noch größeren Schöpfungsakt bcdcukei die
Neubildung innerer Gcsichlsvorsicllungen.

In diescr schöpfcrischen Täiigkeii der Borskesiungs-
bildung, dic inkensivc geistige Arbeii ist, und in der
Enkwickelung der Borstcliungskrask berohi nun der
Haupkwert alles bildnerischen Eestallens in der
Schule für die Eeistesbildung. Die Zeichnung an sich
tritt an Bcdeutung zunächst doneben zurück. Sie
kann ja jedcrzcit wiedcrholt werdcn, sofern nur die
Vorstellungskrast worhanden ist. Es chandclt sich
nicht darum, ob das Kind gute Zcichnungen hervor-
bringt, die Frage ist, ob cs seine geistigen Fähig-
keiten enkwickelt. sHerderk Spencer.) Frcilich ist erst
dann der Bcweis erbracht, dah unsere Borstellungen
klar sind, wenn wir sie darstellen können. Deshalb ift
es richtig zu sagen, dah wir nur soviele klare Vor-
stellungen bcsitzen als wir darstellen können. Die
Bildsprache gleicht auch hier der Wortsprache: Sie
gibk nicht nur unsere Vorsiellungen wieder, sondern
ste dient auch zugleich dcr Ausbildong der Borstel-
lungen. „Mie eine gcistige Borstcllung solange un-
klar und unkonirolliert bleibt, bis sie nicht in üen
Bcgriff des Wories rcalisiert wird, wie also Denken
zuleht ein Wortsuchen und Wortfinden ist, so enk-
sleht auch eine Vorstcllung von dem räumlichen
Eein der Dinge erst durch das Suchen und Finden
ihrcs sinnlichen Bcgriffes. d. h. durch Formulieren
des äutzcrlich und innerlich Gcschautcn im zcichneri-
schen Bilde." <L. Curkius.) * *)

Der Untcrricht in dcr Bildsprache soll deshalb,
wie Kerschenstciner sordcrl, eine Schule dcr Borftel-
lungsbildung sein. *^)

stede klare Borstellung. die wir erarbeitct haben,
dient nun wieder als Anknüpsungspunkk für neu zu
bildende Borslellungen. ste mehr wir solche An-
knüpfungspunkte in unscrem Gcdächtnis aufge-
spcichert haben, je leichlcr wird die vcrständnisvollc
Aussassung, die Apperzcption neucr Eindrücke. Des-

* L- Lurtius: Dic antikc Kunst, Handbuch dcr Kunstwtsscn»
schast (Akadcmiichc Dcriags-Sescllschaft Athcnaio» Bcrlin Neu-
babclsbcrg).

* Kcrjchcnstciner- Dic Sntwickclung dcr zcichncrischcn Bc-
gabung (Dcrlog K. Scrbcr, Wünchen) 1905.

halb mllsscn wir im Ilnlerrichi bestrcbt scin, dafs sich
unsere Schlller möglichst vicle solcher Anknüpfungs-
punkle schassen.

Damii sind wir aus dic Bedculung des Gedächk-
nisses sur die Borsiellungsbildung gckommcn.

Das Gedächinis ist Hiisskraft der Vorslellungs.
krafi. Mii Bezug auf die Bildsprachc ist fcslzustel-
len: Ohne Formen- und Farbengedächtnis kcine
Bildung, keine Darstellung, kein Gestalien von Ge-
sichisvorslellungen. Auf ihm beruht nichk nur üas
Bermögen, die sichibaren Dinge dcr Amwelt und die
Bilder unserer llnnenwel! seslzuhalien, sondern auch
wiederzucrwecken, ferner unjer Bermögen zu ver-
gleichen, wiederzuerkenncn und zu unterscheiden, zu
urkeilcn, unser Natur- und Kunstgenuh und jedes
produktive Schaffen. Wir können nur durch gedächt-
nismäßige Darsiellung beweisen, daß wir eine klare
Dorstellung besitzen. Borsiellungsbildcr sind also
immer auch Gedächinisbilder. — Die inneren Bor-
siellungsbilder an sich schon. Aber nicht alle Ge-
dächinisbilder sinü Borstellungsbilder, wic manchmal
irrkümlich angcnommen wird. Sie können auch nur
Bilder irgend welcher Einzelerscheinungen der
Gegenstände sein (also keine Charakkerbilder) oder
gar nur Nachbildungen von Borstellungen anherer,
z. B. Erinnerungsbilder von Abbildungen, wie die
sogenannten Typen im Sinne von Seknig, während
Borstellungsbilder im eigentlichen Sinne und zwar
sowohl die äußeren w!e die inneren, wie schon dar-
gelegt wurde, immer geistige Neuschöpfungen sind.
Bei der gedächknismähigen Wiedergabe der Vor-
stellungen anderer kommk höchstens eine mehr oder
weniger bedeukungslose nachschaffende Täkigkcit in
Betracht. Auf diesen Unterschied zwischen nach-
ahmendem Gedächkniszeichncn und gestalkendem oder
vorsiellungsbildendem Gcdächtniszeichnen, das wir
unmittelbares oder Borstellungszeichnen im engeren
Sinne nennen können, muß nachdrücklich ausmerk-
sam gemacht werdcn. Wie sich der Unterschied in
der Begabung äußert, legte Kerschensteiner im 7.
Satz der Ergebnisse seiner Untersuchungen der Ent-
wickelung der zeichnerischcn Begabung nieder. Er
stellk fest: „Frühzeitige hohe Begabung für Er-
scheinungsformen lassen kaum eine künstlerische Ent-
wicklung erwarten." Und ich möchke hinzufügen, auch
keine im Sinne der Bildsprache als Verständigungs-
mittel. Solche Gedächknisbegabungen können lange
Zeik käuschcn, wie jeder erfahrene Zeichenlehrer weiß.
^ Das Gedächtnis ist aber auch Hilfskraft der
Phantasie.

Ohne Gedächtnis ist, wie wir schon feskgestellt
haben, kcin produktives Schafsen möglich, weil die
Schöpferkrafk der Seele nur mit Bildern, die der
Seele gegenwärtig find, frei schalicn und walten
kann. Die PhaNtasie kann mehr als das Gedächk-
nis. Sie vermag nicht nur schon vorhandene Vor-
stellungen mit einander zu vcrknüpfen, sondern auch
eine unbegrenzte Mannigsalkigkeit neuer Borstel-
lungen zu schasfn. Der Phaniape kommt eine außer-
ordentliche Bedeutung für die Entwicklung des ge-
samten Geistes- und Seelenlebens zu, wir erkennen
in thr das synthetische Bermögen des Bewußtseins
Lberhaupk. (Sallwürk). Die Entwicklung der Bild-
sprache als Ausdrucksmilkel für Erlebtes wird erst
durch sie möglich.
 
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