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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Rosenberg, Adolf: Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0009

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Die akademische Kunstausstellung in Berlin.

Pariser Ausstellung hat ihr keinen Schaden gethan.
Höchstens dass der offizielle Katalog der letzteren
die Namen Menzel und Paul Meyerheim aufführt,
welche im Berliner Verzeichnis fehlen. Nur hin-
sichtlich der Plastik zeigt die Ausstellung nicht die
gewöhnliche Physiognomie, weil die Lokalitäten im
ersten Stockwerk des alten Akademiegebäudes nicht
zur Aufnahme grosser plastischer Arbeiten geeignet
sind und die Bildhauer ersucht werden mussten, für
diesmal von der Einsendung umfangreicher Werke
abzusehen. Nur mit zwei Modellen zu monumen-
talen Figuren, welche im unteren Vestibül Aufnahme
finden konnten, ist eine Ausnahme gemacht worden:
es sind die Porträtstatuen der Naturforscher L. v.
Buch und Johannes Müller, welche R. Ohmann, ein
in der Richtung von R. Begas arbeitender Zögling
der Akademie, für das Hauptportal des Museums für
Naturkunde ausgeführt hat, zwei durch Feinheit der
Charakteristik ausgezeichnete Werke bei freier ma-
lerischer Haltung, welche über das bei solchen mo-
numentalen Zwecken zulässige Mass nicht hinaus-
geht. In Anbetracht des Umstandes, dass wohl die
namhaftesten Bildhauer Deutschlands in diesem Som-
mer für die Konkurrenz um das Nationaldenkmal
für Kaiser Wilhelm I. thätig gewesen sind, wären
wohl auch keine plastischen Arbeiten von grösserer
Bedeutung zu erwarten gewesen. Um mit der pla-
stischen Abteilung, von deren 112 Nummern nicht
weniger als 58 Porträts (Büsten, Statuetten und Reliefs)
sind, hier abzurechnen, heben wir zunächst als her-
vorragende Schöpfungen der Porträtplastik die zum
Geschenk für die Königin von England bestimmte
Büste Kaiser Wilhelms IL (Brustbild mit Armen)
in der Uniform der Gardes-du-Corps mit dem Adler-
helm auf den Haupte von B. Begas, die Marmor-
büste des Herzogs Karl Theodor in Bayern von
Adolf Hildebrand in Florenz, die Büsten Kaiser Wil-
helms I. und des Grafen von Moltke von Bruno
Kruse in Berlin und die Büsten des Grafen und der
Gräfin Wilhelm von Bismarck von 31. Wiese in
Hanau hervor. Reicher an Schöpfungen, in welchen
eigenartige Erfindung mit vollkommener technischer
Virtuosität zusammentrifft, ist die Genreplastik. Hier
ist zunächst eine mit liebenswürdigem Humor er-
füllte Bronzegruppe von Joseph Kaffsack „Junge
Liebe" zu nennen: ein junges, in einem Strandkorbe
sitzendes Mädchen, vor welchem ein liebeflehender
Jüngling in Sportskleidung kniet. Kaffsack, der
sich eine Zeitlang in einem etwas leeren Idealismus
mit barocken Anklängen in der Formenbildung ge-
fiel, giebt hier einem frischen Realismus von voll-

endeter Naturwahrheit in allen Einzelnheiten den
Vorzug. Diese Richtung kommt auch in dem nack-
ten Knäblein einer naturgrossen Marmorgruppe des
Künstlers „Das erste Gebet" zum Ausdruck, wo-
gegen der weibliche Engel, dessen rechter Flügel
schützend die ihm als Sitz dienende Wiege beschattet,
während er das Kind auf seinem Schosse die Hände
zum Gebet falten lehrt, in der Charakteristik des
Kopfes wie in der Bildung der ganzen Gestalt wenig
Individuelles hat, womit vielleicht aber ein Kontrast zu
dem Kinde beabsichtigt worden ist. Zwei Vertreter des
kecksten Realismus in der Art der Italiener sind ^1«-
gnst Sommer in Rom, dessen Bronzefigur eines Teufels,
welcher in seiner Not eine auf seinem Unterschenkel
sitzende Fliege zu fangen sich anschickt, den arg
heruntergekommenen Spiessgesellen Beelzebubs mit
köstlichem Humor charakterisirt, und Fritz Zadow in
Berlin, dessen kecker Entwurf zu einem von mehre-
ren Knabenfiguren belebten Springbrunnen in der
Auflösung aller plastischen Gesetze das Äusserste
leistet, ohne dass man sich darob ästhetisch ent-
rüsten kann, weil die Figuren mit höchster Sorgfalt
und wahrhaft prickelnder Lebendigkeit durchgeführt
sind. Endlich ist noch der Entwurf Ernst Herters
zu dem vielberufeuen Heine-Denkmal für Düsseldorf
zu nennen, das schliesslich zu einem Heine-Brunnen
für den Hofgarten geworden ist. In diesem Ent-
würfe stellt sich das Denkmal besser dar, als sein
Ruf glauben liess. Auf hohem cylindrischen Sockel,
dessen Fläche durch volutenartige, von oben nach
unten laufende Glieder in drei Teile geschieden ist,
sitzt die Loreley, mit der Pflege ihres Haares be-
schäftigt, und blickt zu den Rheinnixen hernieder,
welche neben den Brunnenschalen gelagert sind.
Die vordere Seite des Sockels schmückt das von
einem Kranze eingefasste Profilbild des Dichters,
und damit auch der unversöhnlichste Antisemit keinen
Anstoss daran nehme, hat der Künstler nicht die
sarkastischen Züge des Pariser Spötters wiederge-
geben, sondern das jugendliche, noch von keiner
hässlichen Leidenschaft gekennzeichnete Antlitz des
Poeten, der das „Buch der Lieder" schrieb. Im
Aufbau ebenso glücklich wie in der Bildung der
weiblichen Figuren anmutig und lebensfrisch, wird
der Brunnen, falls er wirklich zur Aufstellung ge-
langen sollte, hoffentlich durch die beredte Kraft sei-
ner Schönheitsfülle die erregten Gemüter beruhigen.
Die Ausstellungslokalitäten sind die alten, viel-
gescholtenen im Akademiegebäude, der ührsaal, der
lange Saal, die Lindenkorridore mit ihrem Annex voii
Totenkammern, zu denen noch drei, sonst zu Atelier-
 
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