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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Rosenberg, Adolf: Ausstellung der kunstgeschichtlichen Gesellschaft in Berlin, [3]
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Greve, Georg: Die nackte Figur im Vordergrunde von Holbeins Madonna des Bürgermeisters Meyer
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0197

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Ausstellung der Kunstgeschichüichen Gesellschaft in Berlin.

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holländischen Hauses, während die Figuren, die
Hausfrau, die einer Magd das Marktgeld zuzählt, und
eine zweite mit Reinigungsarbeit beschäftigte Magd,
weniger anziehend sind. Das andere nicht bezeich-
nete Bild, eine Gesellschaft von zwei jungen Damen
und zwei jungen Herren in einem vornehm ausgestat-
teten Zimmer (Besitzer Herr R. v. Kaufmann), ist
keine erfreuliche Arbeit. Sie leidet an einem unan-
genehmen grünlichen Ton und an manierirter Be-
handlung der Gewandung. Koloristisch sehr fesselnd
dagegen ist ein holländisches Interieur, welches dem
nur wenig bekannten Schüler des Pieter de Hooch,
./. Janssens, zugeschrieben wird, der um 1660 in
Amsterdam thätig war.') Es besteht aus einem
Vorraum, in dem ein Stuhl mit einer Pelzjacke und
zwei Damenpantoffeln daneben steht, und einem sich
anschliessenden Wohnzimmer. — Unter den übrigen
holländischen Genrebildern sind endlich noch ein mit
Q. B. 1661 bezeichneter alter Gemüseverkäufer in
der Thür seines Hauses stehend (Besitzer Herr 0.
Wesendonck) und eine alte Fischhändlerin (mit dem
ganzen Namen bezeichnet, Besitzer Herr K. Hollit-
scher) von Quir'm Brekelcnkam, zwei voll bezeichnete
Werke von Karcl Dujardin, eine „Fröhliche Gesell-
schaft" (Besitzer Herr 0. Wesendonck) und ein ver-
wundeter Soldat, der einem andern seine Abenteuer
erzählt (Besitzer Herr R. v. Kaufmann), von denen
nur das erstere durch elegante koloristische Behand-
lung bei vorwiegend reicher Färbung hervorragend
ist, der Tanz in der Wirtsstube von IL M. Sorgh (mit
dem Namen und 1653 bezeichnet, Besitzer Herr 0.
Wesendonck), ein aus dem Fenster blickendes Mäd-
chen mit einer brennenden Kerze in der Hand von
G. Don (bezeichnet, Besitzer Herr K. Hollitscher)
und eine Operation bei einem Dorfchirurgen (mit
dem Namen und 1664 bezeichnet, im königlichen
Besitz) von Pieter Vereist hervorzuheben. Dem Kreise
dieser Kleinmaler Dou und Vereist gehören auch
zwei bisher unbekannt gewesene Genremaler an:
Frans de Wut und 77. Wost. Der Name des ersteren
steht so mit der Jahreszahl 1637 auf einem Bilde,
das einen Dorfarzt darstellt, der eine Frau an der
Stirn im Beisein ihres Mannes und ihres Knaben
operirt (Besitzer Herr C. Wachtier), der Name des
anderen auf einem in der Art Dou's gemalten Bilde
mit einem Knaben, der, aus einem Fenster blickend,
eine Thonpfeife mit einer Seifenblase in der Hand
hält (Besitzer Freiherr v. H).
__________ ADOLF BOSENBEBG.

1) Vergl. über ihn Heft 5 dieses Jahrganges d. Zeit-
schrift, Seite 132 ff.

DIE NACKTE FIGUR IM VORDERGRUNDE
VON HOLBEINS MADONNA DES BÜRGER-
MEISTERS MEYER.

Wiederholte Widersprüche von Sachverständigen
gegen einen Gedanken, der mir selbstverständlich
erscheint, veranlassen mich, diesen Gedanken der
Öffentlichkeit zu übergeben, um den Bliek derselben
darauf zu richten, falls dies noch nicht geschehen ist.

Was bedeutet die nackte Figur im Vordergrunde
des Madonnenbildes und was die grosse Falte im
Teppich, auf dem das Bild gleichsam aufgebaut ist?

Warum weist die nackte Figur mit der Linken
in auffallend vielsagender Weise auf die Falte?
Warum erhebt dieselbe den Zeigefinger der Rechten,
als ginge ihr ein bedeutender Gedanke durch den
lichten Kopf unter den lichten Locken?

Ist das alles nur Zufall? Oder liegt alledem
nur eine genrehafte Bedeutung zu Grunde?

So klein dürfte man von unserm grossen Hol-
bein doch nicht denken, dessen Werke von unend-
licher. Kraft in eigenartigster Erfindung strotzen.
Sobald unser Blick auf die Falte fällt, fragen wir
uns, warum sie da und so sehr auffällig sei. Als
malerische Zugabe wäre sie doch zu wenig schön,
ja albern, sie fiele schrecklich heraus aus dem gross-
artig massvollen Werke. Sie ist so gross, dass wir
Anstoss daran nehmen würden, wenn sie nicht einen
besonderen Zweck hätte: wir fühlen sie soll auffallen,
sie bedeutet etwas.

Und nun bemerken wir weiter deutend und be-
obachtend die sprechende Gebärde des nackten Knaben!
Da scheint es doch höchst natürlich, anzunehmen,
dass derselbe Jolianncs sein soll, der Vorläufer Christi,
der den Weg ebnen will. Er deutet auf die Falte,
welche die Höckrigkeit und Unebenheit der Welt,
d. i. der Menschenherzen sinnbildlich darstellt. (Je-
saias 40, 3 u. 4.)1) „Es ist eine Stimme eines Pre-
digers in der Wüste; bereitet dem Herrn den Weg
und macht auf dem Gefilde eine ebene Bahn unserm
Gott. Alle Thäler sollen erhöhet werden, und alle
Berge sollen geniedriget werden und was ungleich
ist, soll eben, und was höckerig ist, soll schlicht
werden." — In kindlicher Weise bekundet sich hier
der Zng zum Herrn, der den Mann Jphannes den
Täufer veranlasst, durch gewaltige Busspredigten der
Lehre Jesu die Herzen zu öffnen.

Man antwortet mir nun, der Knabe sei ein Por-
trät, ein Brüderchen des ihn umfassenden Bruders,

1) Vielleicht braucht man nur Vers 4: „Alle Thäler
sollen" etc.
 
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