KUNSTCHRONIK
WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.
Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine,
HEEAUSGEBEK:
CARL VON LÜTZOW und ARTHUR PABST
WIEN
Heugasse 58.
KÖLN
Kaiser-Wilhelmsring 24.
Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.
•Neue Folge. I. Jahrgang.
1889/90.
Nr. 16. 20. Februar.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang hostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Ver-
lagshandhmg die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Eud. Mosse u. s. w. an.
KAMPF UM TROJA.
Mit zwei Plänen.
Anfangs Dezember 1889 fand in Gegenwart von
Zeugen*) in Hissarlik (Ilion) eine Begegnung statt,
zwischen den Herren Sehliemann, Dörpfeld und Haupt-
mann a. D. Boetticher. Der letzte hatte seit Jahren
die Ansicht verfochten, der Hügel von Hissarlik sei
ein Leichenverbrennungsort, nicht aber ein befestig-
ter Platz; er hatte gegen Dr. Sehliemann und Dr.
Dörpfeld den Vorwurf erhoben, durch Verhehlung
und Entstellung der wirklichen Ausgrabungsergeb-
nisse ein künstliches Troja hergestellt zu haben.
Darauf war Hauptmann Boetticher vom Dr. Sehlie-
mann eingeladen worden, an Ort und Stelle sich von
der Grundlosigkeit seiner Beschuldigungen zu über-
zeugen.
Zum Verständnis des Streites bedarf es eines
kurzen Rückblickes auf die Geschichte der Ausgra-
bungen zu Hissarlik. Dr. Sehliemann begann seine
Thätigkeit an diesem Punkte im Jahre 1871, setzte
die Grabungen während der nächsten zwei Jahre
und alsdann nach längerer Unterbrechung in den
Jahren 1878 und 79 fort. Er zog breite und sehr
tiefe Gräben, Hess an dem steilen Abhänge des Hügels
grosse Massen von Schutt- und Trümmeranhäufun-
gen abstechen und fand die Reste mehrerer Ansied-
lungen übereinander gelagert; er stiess auf Mauern
von Bruchsteinen und andere von Lehmziegeln, so-
1) Auf Einladung des Dr. Sehliemann, welche dieser zu-
nächst an die Akademie der Wiss. zu Berlin und "Wien ge-
richtet hatte, erschienen der königl. preussische Major der
Artillerie Stellen und der Prof. an d. Akad. d. bild. Künste
zu Wien, Architekt Niemann.
wie auf verkohltes Holz, fand ungeheure Mengen
von Töpferwaren und schliesslich die bekannten
Schätze an goldenen Gefässen und Schmuck. Da
es von vornherein seine Absicht war, Troja zu suchen
und er dasselbe in einer bedeutenden Tiefe ver-
mutete, so hatte er in eifriger Verfolgung dieses
Zieles die Ruinen der oberen Schichten grösstenteils
zerstört und bis auf die dritte, stellenweise auch bis
auf die zweite Ansiedlung und den Urboden hinab-
gegraben. Die dritte Ansiedlung hielt er für das
eigentliche Troja, die von den Griechen zerstörte Stadt.
Dr. Sehliemann hatte während der ganzen Zeit
nicht bloss die Ausgräbungen allein geleitet, sondern
auch alle Messungen selbst vorgenommen. Erst im
Jahre 1879, als der Direktor des französischen In-
stituts zu Athen, Herr Burnouf in Hissarlik erschien,
wurde von diesem ein Plan aufgenommen, sowie eine
Anzahl von Ansichten der Ruinenstätte gezeichnet.
Die Ergebnisse der Ausgrabungen Avurden von Dr.
Sehliemann in einem 880 Seiten stärken und mit
fast 2000 Abbildungen geschmückten Buche nieder-
gelegt, welches er „Uios" betitelte, und welches 1881
erschien.
Wer immer dieses Buch liest, wird über die Be-
geisterung staunen, welche Sehliemann antrieb, so
grosse Mittel einem idealen Zwecke zu opfern und
ihm zu liebe ungewöhnliche Entbehrungen zu tragen
zu einer Zeit, da noch die meisten Gelehrten für sein
Streben nur ein überlegenes Lächeln hatten; der
Leser wird erkennen, wie diese Begeisterung den
seltenen Mann antrieb, allein eine Aufgabe zu unter-
nehmen, welche nur durch Vereinigung verschiedener
Kräfte zu lösen, und welcher damals, als er seine
Grabungen begann, vielleicht niemand gewachsen
WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE.
Ankündigungsblatt des Verbandes der deutschen Kunstgewerbevereine,
HEEAUSGEBEK:
CARL VON LÜTZOW und ARTHUR PABST
WIEN
Heugasse 58.
KÖLN
Kaiser-Wilhelmsring 24.
Verlag von E. A. SEEMANN in LEIPZIG, Gartenstr. 15. Berlin: W. H. KÜHL, Jägerstr. 73.
•Neue Folge. I. Jahrgang.
1889/90.
Nr. 16. 20. Februar.
Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur „Zeitschrift für bildende Kunst" und zum „Kunstgewerbeblatt" monatlich dreimal, in den
Sommermonaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang hostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der „Zeit-
schrift für bildende Kunst" erhalten die Kunstchronik gratis. — Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Ver-
lagshandhmg die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Eud. Mosse u. s. w. an.
KAMPF UM TROJA.
Mit zwei Plänen.
Anfangs Dezember 1889 fand in Gegenwart von
Zeugen*) in Hissarlik (Ilion) eine Begegnung statt,
zwischen den Herren Sehliemann, Dörpfeld und Haupt-
mann a. D. Boetticher. Der letzte hatte seit Jahren
die Ansicht verfochten, der Hügel von Hissarlik sei
ein Leichenverbrennungsort, nicht aber ein befestig-
ter Platz; er hatte gegen Dr. Sehliemann und Dr.
Dörpfeld den Vorwurf erhoben, durch Verhehlung
und Entstellung der wirklichen Ausgrabungsergeb-
nisse ein künstliches Troja hergestellt zu haben.
Darauf war Hauptmann Boetticher vom Dr. Sehlie-
mann eingeladen worden, an Ort und Stelle sich von
der Grundlosigkeit seiner Beschuldigungen zu über-
zeugen.
Zum Verständnis des Streites bedarf es eines
kurzen Rückblickes auf die Geschichte der Ausgra-
bungen zu Hissarlik. Dr. Sehliemann begann seine
Thätigkeit an diesem Punkte im Jahre 1871, setzte
die Grabungen während der nächsten zwei Jahre
und alsdann nach längerer Unterbrechung in den
Jahren 1878 und 79 fort. Er zog breite und sehr
tiefe Gräben, Hess an dem steilen Abhänge des Hügels
grosse Massen von Schutt- und Trümmeranhäufun-
gen abstechen und fand die Reste mehrerer Ansied-
lungen übereinander gelagert; er stiess auf Mauern
von Bruchsteinen und andere von Lehmziegeln, so-
1) Auf Einladung des Dr. Sehliemann, welche dieser zu-
nächst an die Akademie der Wiss. zu Berlin und "Wien ge-
richtet hatte, erschienen der königl. preussische Major der
Artillerie Stellen und der Prof. an d. Akad. d. bild. Künste
zu Wien, Architekt Niemann.
wie auf verkohltes Holz, fand ungeheure Mengen
von Töpferwaren und schliesslich die bekannten
Schätze an goldenen Gefässen und Schmuck. Da
es von vornherein seine Absicht war, Troja zu suchen
und er dasselbe in einer bedeutenden Tiefe ver-
mutete, so hatte er in eifriger Verfolgung dieses
Zieles die Ruinen der oberen Schichten grösstenteils
zerstört und bis auf die dritte, stellenweise auch bis
auf die zweite Ansiedlung und den Urboden hinab-
gegraben. Die dritte Ansiedlung hielt er für das
eigentliche Troja, die von den Griechen zerstörte Stadt.
Dr. Sehliemann hatte während der ganzen Zeit
nicht bloss die Ausgräbungen allein geleitet, sondern
auch alle Messungen selbst vorgenommen. Erst im
Jahre 1879, als der Direktor des französischen In-
stituts zu Athen, Herr Burnouf in Hissarlik erschien,
wurde von diesem ein Plan aufgenommen, sowie eine
Anzahl von Ansichten der Ruinenstätte gezeichnet.
Die Ergebnisse der Ausgrabungen Avurden von Dr.
Sehliemann in einem 880 Seiten stärken und mit
fast 2000 Abbildungen geschmückten Buche nieder-
gelegt, welches er „Uios" betitelte, und welches 1881
erschien.
Wer immer dieses Buch liest, wird über die Be-
geisterung staunen, welche Sehliemann antrieb, so
grosse Mittel einem idealen Zwecke zu opfern und
ihm zu liebe ungewöhnliche Entbehrungen zu tragen
zu einer Zeit, da noch die meisten Gelehrten für sein
Streben nur ein überlegenes Lächeln hatten; der
Leser wird erkennen, wie diese Begeisterung den
seltenen Mann antrieb, allein eine Aufgabe zu unter-
nehmen, welche nur durch Vereinigung verschiedener
Kräfte zu lösen, und welcher damals, als er seine
Grabungen begann, vielleicht niemand gewachsen