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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Sybel, Ludwig von: Relief und Statue in der griechischen Bildhauerei, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0024

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Relief und Statue in der griechischen Bildhauerei.

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lieh in Tlion modellirte oder in Erz gegossene
Werke der Skulptur oder Bildhauerei zugezählt
werden. Im folgenden gebrauchen wir letztere Aus-
drücke nur von der Arbeit in Holz oder Stein, be-
sonders in Marmor, nicht von der in Thon oder
Metall.

Grundverschieden also sind auch die Techniken
und Stile des Thon- und Metallreliefs einerseits, des
Holz- und Steinreliefs andererseits. Der Modelleur
hat eine feste Tafel vor sich, auf welche er seinen
bildsamen Thon legt, und er darf letzteren so hoch
aufbauen, wie die Zähigkeit des Materials es duldet,
ohne dass es abfällt; aus dem Metallblech darf der
Hammer die Figur so hoch heraustreiben, wie die
Dehnbarkeit des Silbers, des Erzes gestattet, ohne
dass es • reisst. Gegeben ist nur der feste Hinter-
grund, der Höhenentwicklung setzt der technische
Stil keine festen Schranken, die „Klempnerarbeit"
ist hier gerade am Platze. Der Hildesheimer Silber-
schatz und manches andere Metallrelief kann es be-
zeugen. Als der junge Rietschel, von jener ernst-
haften aber beschränkten Lehre noch unberührt,
seinen Paulus so hoch herausbrachte, da hat er in-
stinktiv und unbewusst das Gesetz des „plastischen"
Reliefs befolgt, so unbewusst freilich, dass er es
kaum gefunden wieder preisgab, der schneidenden
Autorität des Rauchschen Drahtes sich beugend.

Wenn demnach bei den Griechen eine Schul-
scene der erzählten Art beim Modelliren nicht vor-
kommen konnte, so war sie auch bei der Bildhauerei
ausgeschlossen, hier nicht aus prinzipiellen Gründen,
sondern bloss thatsächlich, weil der antike Bildhauer-
lehrling die Gesetze des Marmorreliefs nicht am
Thon lernte, sondern am Stein. In der antiken Stein-
reliefbildnerei war es von Haus aus nicht üblich,
der Ausführung in Stein eine Modellirung in Thon
vorausgehen zu lassen. Wohl kannte der Bildhauer
das Verfahren; der Nachbar Erzgiesser übte es ja
täglich vor seinen Augen, er selbst übte es, so oft
er für Erzguss arbeitete; eher Hesse sich sagen, dass
er, wenn nicht aus Einsicht und Grundsatz, doch
jedenfalls aus gesunder Kunstüberlieferung auf die
bequeme aber nicht ungefährliche Krücke des Thon-
modells verzichtete.

Die Technik des griechischen Steinreliefs hat
sich uns durch die Untersuchung der immer massen-
hafter zugewachsenen Denkmäler täglich mehr auf-
gehellt, ihr Gesetz formulirt hat Alexander Conxe
in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie
1882.

Gleich an der Spitze steht die wichtige Be-

merkung von der ursprünglichen Verwandtschaft
zwischen Relief und Malerei. Beides ist fläch en-
hafte Darstellung, und beide beleben die aufgezeich-
nete Figur mit Farben (denn das Relief ist von Haus
aus polychrom); das Gemälde aber bleibt in der
Fläche, während das Relief dem Bilde mittels des
Meisseis einige plastische Tiefe und Rundung zu
geben sucht. Denkmäler des altertümlichen Stils
bringen uns die Anfänge der Kunst näher, eben
damit aber auch ihre Elementargesetze, ihre Prin-
zipien. Zwei im wesentlichen gleichartige attische
Grabsteine, aus der Zeit des Tyrannen Pisistratus
und der Pisistratiden, machen uns das Verhältnis
zwischen Relief und Malerei anschaulich. Der eine
Stein, des Lyseas, zeigt das Bild des Verstorbenen
in Malerei, der andere, des Aristion, in farbigem
Flachrelief. Erst im weiteren Verlaufe der Kunst-
entwicklung bildeten beide Techniken ilire Eigenart
aus, so dass eine jede selbständige Kraft erlangte und
dahin kam, auf die Mithilfe der Schwesterkunst ver-
zichten zu können.

Die Malerei lernte durch Schattiren den Fi-
guren den Schein plastischer Rundung zu geben
und entfaltete von Schritt zu Schritt die Reize des
Kolorits und der Lichtmalerei; die Skulptur wusste
mit der Zeit rein durch die plastische Modellirung
einen solchen Reichtum künstlerischer Wirkungen
zu erzielen, dass die Zuthat der Farbe nicht mehr
als Bereicherung empfunden ward. Doch hat noch
Praxiteles die Mitwirkung der Farbe nicht ver-
schmäht; er soll diejenigen Werke seines Meisseis
am höchsten geschätzt haben, an welche sein Freund
und Landsmann, der Maler Nikias die letzte Hand
gelegt hatte. Wie aber auch im vierten Jahrhundert
Relief und Malerei parallel verwendet wurden, zeigen
dieselben Meister. Ebensogut wie skulpirte Grab-
mäler aus der Werkstatt des Praxiteles hervorgingen,
so hat Nikias einmal eine der damals beliebten
Familiengruppen in einer marmornen Grabkapelle
gemalt.

Solcher marmorner Grabkapellen stehen noch
viele in dem grossen, nach jahrtausendelanger Ver-
schüttung wieder ausgegrabenen Friedhofe an dem
Hauptthore Athens, dem Dipylon; die meisten um-
schliessen Reliefs, eben jene Familiengruppen, einige
wenige dagegen Gemälde desselben Inhalts. Dieser
Friedhof, Ulrich Kochlcrs Forschungen zufolge nach
den Perserkriegen angelegt, bewahrt eine Fülle von
Werken der höchsten Kunstblüte, den Zeiten
des Phidias und des Praxiteles. Hier lässt sich die
Entwicklungsgeschichte des griechischen Grabreliefs
 
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