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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Sybel, Ludwig von: Relief und Statue in der griechischen Bildhauerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0034

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Relief und Statue in der griechischen Bildhauerei.

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bilder im gesamten Altertum scheint das Verfahren
der alten Ägypter ein ins Gewicht fallendes Zeug-
nis abzulegen. Einige ihrer ältesten Statuen aus
der Pyramidenzeit, wie der sogenannte Scheich el
beled und andere, sind bekanntlich aus Holz ge-
arbeitet, aus dem runden Stamm gehauene frei-
stehende Rundbilder ohne eigenen Hintergrund.
Andere aber sind Werke der Steinbildnerei. Da
wurden die zuerst in der Holzbildhauerei geschaffe-
nen statuarischen Typen in die andere Technik ein-
fach übertragen und zwar im Sinne der Vollrelief-
technik. Man nahm einen aufgerichteten, rechteckig
zugehauenen Steinblock und arbeitete von vorne in
denselben hinein, bis die Figur herausgeschält war;
den hinteren Teil des Blockes Hess man, allerdings
in wechselnder Höhe, stehen wie beim Hochrelief
den Hintergrund. Da es sich um Statuen handelte,
so gab man dem Werke natürlich keinen Rahmen.
Ebendasselbe haben die Griechen nun zwar nicht
gethan; ungeachtet naher Verwandtschaft ihrer äl-
testen statuarischen Typen mit gewissen ägyptischen
haben sie hinter dem Rücken ihrer Standbilder doch
keinen Grand stehen lassen, sondern sie ganz als
Rundbilder behandelt. Die Frage ist dann nur noch,
auf welchem Wege sie das Rundbild technisch ge-
wonnen haben, ob sie den Block von allen Seiten
zugleich in Angriff nahmen, oder wie die Ägypter
und wie sie im Gebiete der Steinarbeit beim Relief
es selbst gewohnt waren, nur von der Vorderseite.
An den in fertigem Zustande erhaltenen Statuen
lässt sich die Frage nicht zur Entscheidung bringen;
auch nicht an den ziemlich zahlreich erhaltenen
abbozzi, welchen zwar die letzte Haut noch abzu-
nehmen bleibt, die aber bereits ganz aus dem Mar-
morblocke herausgeschält sind. Doch kenne ich
einen Marmor, welcher ein früheres Stadium der
Arbeit vergegenwärtigt, da die Figur noch zu einem
grossen Teil im Blocke steckt. Es ist der in mehr-
facher Beziehung interessante sich kränzende Palm-
träger im Centralmuseum zu Athen1), neben mehreren
anderen antiken Abbildungen die einzige Marmor-
kopien ach einem einst gewiss berühmten Bronze-
original. An ihm sind nicht diese oder jene be-
liebigen Teile zufällig noch im Stein stecken
geblieben, sondern genau die Rückseite ist es; die
völlig freigelegte Vorderseite hat der Bildhauer so-
weit gefördert, dass auch hier wieder nur die letzte
Haut abzunehmen bliebe. Mithin hat er von vorn in
den Stein hineingearbeitet, gerade wie die Ägypter

1) Sybel 411; Bull, de corr. hell. 5, pl. 3.

thaten, oder als gälte es ein Relief; dass es aber nicht
ein Relief werden sollte, sondern ein Rundbild, zeigt,
von anderem abzusehen, die runde Form der Plinthe
und die ganze, übrigens abnorme Gestalt des Roh-
blocks. Spuren von Anwendung der Punktirmethode
sind meines Erinnerns hier nicht vorhanden.

Wenn wir aber Recht haben, die Statuen in der
Weise von Reliefs entstanden zu denken, so eröffnet
sich alsbald eine neue Perspektive. Conze hatte
bereits ausgesprochen, dass die alten Bildhauer ihre
Reliefs in der Regel ohne Hilfsmodelle unmittelbar
aus dem Stein hieben. Dasselbe Verfahren wäre nun
auch bei den Statuen anwendbar gewesen (es ist
immer nur von Marmorstatuen die Rede, Erzbilder
konnten ohne Thonmodelle nicht hergestellt werden);
und es ergäbe sich die Möglichkeit, einer auffallen-
den, oft besprochenen, aber noch nicht befriedigend
erklärten Überlieferung einen Sinn abzugewinnen,
ohne dem Wortlaut der Nachricht Gewalt anzuthun.
Plinius hat keinem geringeren Gewährsmann als
dem berühmten Varro die Notiz entnommen, welche
den seiner Zeit hochangesehenen Künstler Pasiteles
einen Griechen aus Unteritalien und Zeitgenossen
des Varro, angeht, derselbe habe das Modelliren für
die Mutter der Caelatur, der Erzbildnerei und der
Skulptur, kurz aller „plastischen Künste", erklärt
und er habe nie ein Werk gemacht, ohne es zuvor
in Thon zu modelliren. Da scheint es denn wirk-
lich, als ob die Ausführung nach vorgängigem Thon-
modell bei den alten Bildhauern keineswegs die
Regel gewesen sei; denn sonst hätte es bei Pasiteles
nicht auffallen können, dass er jedes Werk erst
modellirte. Um übrigens das Können eines grie-
chischen Künstlers richtig zu würdigen, dürfen
wir nicht unterlassen, die durch Jahrhunderte stetig
fortgehende Kunstüberlieferung, die aus einfachsten
Anfängen zuletzt zu erstaunlichem, doch immer über-
sichtlichem Reichtum entwickelte Technik und die
durch Vererbung und Schulung gewährleistete Sicher-
heit von Auge und Hand zu ihrem vollen Werte in
Anrechnung zu bringen. Auch darf uns der Um-
stand nicht beirren, dass die heutigen Bildhauer den
Meissel mehr und mehr dem Marmorarbeiter über-
lassen und sich fast ganz auf das Modellirholz zu-
rückziehen.

Wenn also einen neuen Michelangelo die Lust
anwandeln sollte, ohne erst ein Thonmodell zu
machen, direkt auf den Marmor einzuhauen, so
könnte er von den Alten lernen, was dazu gehört
und auf welche Weise die Sache mit einiger Aus-
sicht auf Erfolg sich allenfalls thun Hesse.
 
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