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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Rosenberg, Adolf: Die akademische Kunstausstellung in Berlin, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0042

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Die akademische Ausstellung in Berlin.

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gerade die ernsthaftesten und gediegensten Bilder
unverkauft bleiben.

Ein Trost bei dieser Beobachtung ist es, dass
der Mut zu grossen Bildern mit grossen Figuren
nach einiger Zeit der Ermattung wieder gewachsen
ist. Selbst ein Mann wie Gustav Graef, der sich
durch seine Porträts einen wohlbegründeten Ruf er-
worben hat, fühlt in hohem Alter wieder den Trieb
zur Malerei grossen Stiles in sich erwachen. Viel-
leicht nicht ohne symbolische Absicht hat er auf
einer grossen Leinwand den an den Felsen geschmie-
deten Prometheus dargestellt, welchen die höchste
Gerechtigkeit in Gestalt des gefrässigen Adlers straft,
während die sehr geistvoll von gefälligen Okeaniden
getragenen Wellen des Meeres, gleichsam wie hilfe-
flehend und mitleidkündend, an dem Felsen empor-
branden. Die Tendenz ist sehr eindringlich zur
Schau gestellt, aber die künstlerische Durchbildung
im Einzelnen, die Modellirung der Hauptfigur und
die koloristische Behandlung der Wellen geben dem
Maler eine Blosse, die nur durch die Hast der Ar-
beit entschuldigt werden kann. Dasselbe Schicksal
des Misslingens haben sich zwei junge Künstler,
Max Krusemark in Berlin mit der Darstellung eines
antiken Frauenbads und Richard Böhm, ein Zögling
der Weimarer Schule, mit der grossen Schilde-
rung des Rückzuges der Goten mit der Leiche des
Königs Tejas nach der Schlacht am Vesuv bereitet:
die Entschlossenheit bei der Wahl des grossen Vor-
wurfes stiess während der Ausführung auf ein nach
allen Richtungen unzureichendes Können. Immer-
hin verdient das Streben nach einer gewissen Grösse
des Stiles Anerkennung, um so mehr, als die Malerei
in grossem 'Stil bei uns immer noch ausschliesslich
auf die Hilfe des Staates angewiesen ist, der selbst
bei bestem Willen mit der nüchternen Thatsache
der vorhandenen Mittel rechnen muss. Aus einem
Staatsauftrage hervorgegangen ist der Cyklus von
Darstellungen zur Geschichte der Seidenindustrie
in Europa für das Textilmuseum der königl. Webe-
schule in Krefeld, an welchem Albert Baur in Düssel-
dorf seit einigen Jahren arbeitet, Ausser zwei grau
in grau gemalten Nebenbildern sind die drei von den
grossen figurenreichen Hauptgemälden vollendet,
welche den Empfang der ersten Seidenraupeneier
durch Kaiser Justinian, die Rückkehr des Königs
Roger IL von seinem Feldzuge gegen Griechenland
nach Sizilien (Verpflanzung der Seidenraupenkultur
von Griechenland nach Sizilien) und der Besuch
König Franz I. von Frankreich in der ersten von
ihm gegründeten Seidenfabrik schildern.

Bei solchen Repräsentationsstücken, welche an
und für sich nichts bedeuten, sondern erst durch die
Folgen der dargestellten Vorgänge einen gewissen
programmatischen Wert gewinnen, ist kaum mehr
als eine rein äusserliche Wirkung durch Aufwand
von reichen, malerischen Trachten und durch ge-
schickte Anordnung grosser Gruppen zu erreichen,
und für eine solche Aufgabe war Baur mit seiner
kühlen, gemessenen Art der richtige Mann.

Auf dem Gebiete der Porträt- und Genremalerei
war nichts Neues von erheblicher Bedeutung zu
verzeichnen. Konrad Kiesels Bildnis der jungen
Kaiserin ist zwar, auf die malerischen Eigenschaften
betrachtet, eine anziehende Leistung; aber seine Cha-
rakteristik geht, wie das ja aus seinen eleganten
Genrebildern und Einzelfiguren bekannt ist, nirgends
in die Tiefe, und das anmntige Antlitz ist über den
Ausdruck liebenswürdiger Repräsentation nicht hin-
ausgekommen. Die durch den Tod Gustav Richters
gerissene Lücke in der Berliner Malerei ist noch
immer nicht ausgefüllt, und diejenigen, die einige
Hoffnungen erweckt hatten, sind neuerdings im Rück-
gang begriffen.

Auch unter den Herrenbildnissen sind nur wenige
den beiden von Emile Wauters gesandten Porträts
nahe gekommen, am ehesten noch das des Kölner
Oberbürgermeisters Becker von Julius Sehrader, wel-
ches ein ganz überraschendes Zeugnis von der kolo-
ristischen Kraft und der Charakterisirungskunst des
74jährigen Meisters ablegte, und das Bildnis des
Kunsthändlers Angerer von Gurt Hemnann, einem
Münchener, der nicht im Lenbachschen Fahrwasser
segelt, sondern die Natur mit eigenen Augen ohne
Brille betrachtet und resolut darstellt.

Unter den Genrebildern, deren Motive aus dem
Volksleben geschöpft waren, standen das von Mün-
chen her bekannte „Nordfriesische Begräbnis" von
Chr. L. Bokclmann, der auch zwei kleine Bilder, die
von uns im ersten Hefte der „Zeitschrift" wieder-
gegebenen „Singenden Knaben" und „Spielkamera-
den", ein Kind aus vornehmer Familie mit einem
Hündchen an der Leine, ausgestellt hatte, eine
Bauernfamilie während der Abenddämmerung bei
der Kartoffelernte (Motiv aus dem hohen Schwarz-
wald) von L. Knaus, die „Absolution", eine vene-
zianische Kirchenscene in Aquarell von L. Passini,
eine „Blumenhalle" in der Nähe eines Kirchhofes
von Waltlier Witting in Dresden und das von sprühen-
der Lebensfülle durchdrungene und ebenso frisch und
keck gemalte Bild aus dem venezianischen Leben:
„I piü bravi", ein sich im Tanze herumwirbelndes
 
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