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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Niemann, G.: Kampf um Troja
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0132

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251

Kampf um Troja.

252

Boettichers Mauern mit „schmalen, von Ventilations-
kanälen durchkreuzten Gängen" zu suchen. Eine
scheinbare Bestätigung seiner daraus gezogenen
Folgerungen ergab sich dann noch durch den un-
erklärten Irrtum Schliemanns, welcher an einer
Stelle im „Bios" die südliche, vollkommen massive
Burgmauer als eine Hohlmauer mit Schuttausfüllung
beschreibt, so dass Boetticher als militärischer Tech-
niker diese natürlich nicht als Verteidigungsmauer
konnte gelten lassen.

Zu einem weiteren Irrtum verführten ihn einige
Abbildungen Burnoufs, welche Mauern der oberen
Absiedlungen scheinbar als auf dem Boden der zweiten
stehend darstellen. Schliemann hatte an vielen Stellen
neben und zwischen dem Gemäuer der dritten Periode
im Schutte tiefer gegraben, so dass nun die Mauern
auf Schuttwänden von gleicher Dicke wie die Mauern
selbst standen. In den Zeichnungen aber war der
Unterschied zwischen Schutt und Mauerwerk nicht
hervorgehoben.

Ein anderes Missverständnis betrifft die im „Ilios"
öfter erwähnte Anhäufung „gelber und brauner Holz-
asche"; so fand (Ilios S. 307) Schliemann ein Haus
6—7' hoch mit Holzasche angefüllt und darinnen
ein Skelett. Boetticher zog aus der Menge der Asche
den Schluss, dass sie nur durch wiederholtes Ver-
brennen grosser Holzstösse entstanden sein könne.
Es stellte sich aber heraus, und Dörpfeld erkannte
das sofort, dass diese „Holzasche", welche sich auch
heute noch an verschiedenen Stellen in Hissarlik
vorfindet, in Wirklichkeit pulverförmiger Lehmziegel-
schutt ist. Ahnlich verhält es sich mit dem angeb-
lichen Funde von mehreren hundert Aschenurnen,
welche Boetticher als Basis seiner Hypothese mit
benützte. Dr. Schliemann erklärte zu Protokoll, dass
er nach allgemeinem Gebrauche anfangs jedes Ge-
fäss Aschenurne genannt habe, dass aber eigentliche
Aschenurnen (wie die in Fig. 426 S. 447 Ilios dar-
gestellte) nur in sehr geringer Zahl gefunden seien.

Ein Missverständnis eigener Art betrifft die
Tausende und aber Tausende von kleinen Muscheln,
welche in der Ruinenstätte umherhegen. Virchow
betrachtete dieselben als Nahrungsmittel, Boetticher
als Totenopfer, da er nicht zugeben wollte, dass die
„Trojaner" ihre Küchenabfälle in den Häusern hätten
liegen lassen. Nun ist es wahr, dass sich darunter
auch Austern befinden, welche sogar an einer Stelle
unterhalb der zweiten Ansiedlung eine förmliche
Schichte von 3 oder 4 cm Höhe bilden, aber die
grosse Masse der Muscheln, die nicht viel grösser
sind als ein Daumennagel, erweist sich als ein Be-

standteil des Lehmes, aus dem die Ziegeln geformt
wurden.

Boetticher war mit dem Ansammeln von Material
zur Unterstützung seiner Hypothese beschäftigt, als
Nachrichten über die Resultate der neuen Ausgra-
bungen bekannt wurden und bald darauf das Buch
„Troja" erschien, nach dessen auf besserer Erkennt-
nis beruhenden Darstellungen die Dinge in ganz
anderer Gestalt erschienen, als Boetticher angenom-
men hatte, und während dieser Studien über die
Verwandtschaft der Geräte von Hissarlik mit ägyp-
tischem Totengeräte nachging, hatte Dörpfeld mit
dem Plane der zweiten Ansiedlung seiner ganzen
Hypothese bereits dem Boden entzogen.

Boetticher konnte nun im Grunde nichts anderes
thun, als die Hypothese zurücknehmen. Das geschah
aber nicht, und während der fleissige Forscher, wel-
cher das Werk „Ilios" gründlicher studirt hatte als
vielleicht irgend ein anderer, bis dahin das Opfer
von Missverständnissen gewesen war, setzte er sich
nun ins Unrecht. Er stellte etwas naiv die Behaup-
tung auf:

„Ilios" sei das authentische Ausgrabungsproto-
koll, im Buche „Troja" aber habe man sich mit
Rücksicht auf seine Hypothese bemüht, alles ver-
schwinden zu machen, was im „Ilios" gegen Schlie-
manns Annahmen spreche ]); demzufolge gebe „Troja"
ein Phantasiegemälde und Dörpfelds Plan sei voll-
ständig falsch.

Boetticher behandelte dieses Thema in einer
grösseren Anzahl von Aufsätzen, welche während
der Jahre 1885 bis 89 erschienen und fasste schliess-
lich die Resultate seiner Studien zusammen in der
Schrift: La Troie de Schliemann une necropole ä
incineration. Extrait du Museon. Louvain 18892).

Es nmss leider gesagt werden, dass in dieser
Schrift, welche Geringschätzung der Gegner und ein
starkes Selbstgefühl bekundet, sowie in den später
folgenden „Sendschreiben", der Mund ein bisschen
voller genommen wird, als der gute Geschmack
erlaubt, und das darin der Vorwurf wissenschaftlicher
Unredlichkeit, durch Scheinbeweise unterstützt, mehr
als ein Dutzendmal wiederholt wird.

Die Angegriffenen konnten gegen den Vorwurf
der Fälschung kaum etwas anderes vorbringen als

1) Zufällig ward in derselben Nunmmer des „Ausland"
(1883, Nr. 51), in welcher Boettichers erster Aufsatz stand,
bereits das Buch „Troja" als soeben erschienen, vom Verleger
angekündigt.

2) Hauptmann Boetticher übersetzte seine Schrift ins
Französische, weil ein deutscher Verleger sich dafür nicht fand.
 
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