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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

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Michaelis, Adolf: Die älteste Kunde von der mediceischen Venus
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https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0156

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299

Die älteste Kunde von der Mediceischen Venus.

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und die Zusammenstellung mit einem Tier eignete
sie sich vortrefflich zum Gegenstück zu dem —
gleichfalls in die Uffizien gelangten — Ganymed.

Über das Jahr 1550 zurück ist es bisher nicbt
gelungen, der Venus nachzuspüren. Und doch sprach
alles dafür, dass die Statue schon längere Zeit im
Palast della Valle sich befunden hatte. Dieser war
nämlich einst die Wobnung des Bischofs von Melito,
späteren Kardinals Andrea della Valle gewesen, eines
Prälaten, der in den ersten Dezennien des 16. Jahr-
hunderts einen Ehrenplatz unter den ersten und be-
deutendsten Antikensammlern Roms einnimmt. Schon
um 1500 heisst es von ihm in den holperigen Ter-
zinen eines Mailänder „Prospektenmalers" '):
Et eeei in casa d'uno della Valle
do fauni, che s'an cento la schiena
la pel d'un capreon con motte calle.

Einige Jabre später bebt Francesco Albertini mehr-
fach den Palast della Valle wegen seiner Statuen
und sonstigen Altertümer hervor 2), und noch 1527
rühmt der Antiquar Andrea Fulvio den Kardinal als
den einzigen, der sich wirklich um die alten Denk-
mäler der Vorzeit kümmere3). Damals war er be-
reits hochbetagt — er starb 1534 — und hatte sein
Bistum schon seit vier Jahren an seinen Neffen
Quinzio de' Rustici übergeben. Es ist also von vorn-
herein wahrscheinlich, dass seine Sammlung zum
grössten Teil aus früherer Zeit stammte.

Dies findet seine Bestätigung in einer Nach-
richt, die zwar einem Forscher wie Eug. Müntz4)
nicht entgangen, aber bisher nicht gehörig gewür-
digt worden ist. Zu den glänzendsten Schaustel-
lungen der Hochrenaissance in Rom gehörte die
Ausschmückung der Prozessionsstrasse, auf welcher
der kürzhch gewählte Papst Leo X. am 11. April
1513 vom Vatikan zum Lateran zog, um die übliche
Besitznahme dieser Basilika zu vollziehen. Eine sehr
ausführliche Schilderung hat Cancellieri5) veröffent-
licht. Unter den zahllosen Triumphbogen ragten
besonders zwei dadurch hervor, dass antike Bildwerke
zu ihrem Schmuck verwendet worden waren. Der
eine stand vor dem Hause des römischen Patriziers
Evangelista de' Rössi, der andere vor dem Palaste

1) Antiquarie prospettiche Romane composte per Pro-
spettivo Milancse dipintore, herausg. von Govi in den Atti
dell' Aecad. dei Lincei, 1875—76, S. 39 fl'., Stanze 15.
!i B' 2) Opiiscidum de mirabilibus urbis Romae, Rom 1510,
Fol. 62, 63, 88.

3) Antiquitates Vrbis, Rom 1527, Fol. 99.

4) Müntz, Raplmel, S. 418. Vgl. Reumont, Gesch. d.
Stadt Rom, III, 2, 56 f.

5) Cancellieri, Storia de' solenni possessi de' sommi
pontefici, Rom 1802, S. 60 ff., besonders S. 78 f.

eben jenes Bischofs Andrea della Valle. Dieser war
nicht sowohl wegen seiner gesamten Anlage wie
wegen der Antiken sehenswert. Auf beiden Fronten
stand zu beiden Seiten des Bogens je eine Pyramide
(un filamiioni) mit einer Statue darauf. Auf der
Vorderseite gegen den Vatikan bin waren es „zwei
Faune, so gross wie ein wirklicher Mann, von
Marmelstein, und jeder trug auf dem Kopfe einen
Korb voll mannigfaltiger Früchte; es waren antike
Statuen, so schön wie man es nur zu sagen vermag".
Ihnen entsprachen auf der Rückseite ein Merkur
und ein Herkules. Unter der mit Teppichen ver-
kleideten Bogenwölbung standen einerseits „ein
Ganymed, ein Apollo, ein Bacchus, antike Marmor-
statuen, und einige ebenfalls antike sehr schöne
Köpfe", ihnen gegenüber „eine Venus und ein zwei-
ter Bacchus, nebst einigen ebenfalls antiken Köpfen"
(hier scheint eine Statue ausgefallen zu sein).

Die meisten dieser Statuen lassen sich nach-
weisen. Die beiden „Faune" — dieselben, die be-
reits die Aufmerksamkeit des „Prospektenmalers"
auf sich gezogen hatten — sind die Panstatuen, die
seit dem vorigen Jahrhundert im Hofe des kapito-
linischen Museums zu beiden Seiten des Marforio
aufgestellt sind. Bis dahin hatten sie die grösste
Sehenswürdigkeit des Palastes Valle gebildet und
fehlen nicht leicht in den älteren Kupferwerken über
Roms Antiken (Cavalieri, della Vaccaria, Perrier);
Franz I. hatte sie um 1540 durch Primaticcio formen
lassen, um den Kamin im Ballsaal zu Fontainebleau
mit Bronzeabgüssen danach zu schmücken *). Von
dem Verkauf an den Mediceer waren sie dadurch
ausgeschlossen geblieben, dass sie nicht in einem
der beiden den Capranica gehörigen Häuser, sondern
in einem Nachbarhause des eigentlichen Palastes
della Valle standen, das um 1550 einem Valerio della
Valle gehörte. Die übrigen Statuen stammten alle
aus dem oben genannten Hofe des vom Kardinal
bewohnten Palastes. Das Inventar zählt zwei Apollo-
und drei Bacchusstatuen, einen Herkules und einen
Merkur auf, sämtlich in Lebensgrösse, also zu gleich-
massiger dekorativer Verwendung geeignet; und
wenn wir nun in dieser Gesellschaft auch den Gany-
medes und die Venus wiederfinden, so kann es nicht
zweifelhaft sein, dass die letztere keine andere als
die „medieeische" Venus ist.

Es hat etwas Pikantes, dieser Statue, die lange
Zeit als das Ideal antiker Frauenschönheit galt, zu-

1) Barbet de Jouy, Les fontes du Primatice, Paris 1860,
S. 35 ff.
 
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