Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 1.1889/​90

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3772#0228

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
443

Die Portr'ätausstellung in Brüssel.

444

schwierige Aufgabe zu lösen trachten, ein in gewissem
Sinne nie dagewesenes und nie wieder zur Erscheinung
kommendes Ganzes so darzustellen, dass wir fast
den Geist zu erkennen vermögen, der diesen Körper
belebte. Am Porträt soll in gewissem, bescheidenem
Sinne sich erfüllen, was die Griechen von Pygma-
lions Statue erzählten. Aber nur den grössten Por-
trätisten gelingt dieses Höchste, würdige Illustra-
tionen zu Klio's grossem Buche hervorzubringen. Als
letzter dieser bald aufgezählten Reihe, unter denen
wir Lionardo, Velazquez, Rubens und Rembrandt
als höchste Gipfel erkennen, schliesst sich einer
unserer Zeitgenossen an: Franz von Lenbaeh. Er,
unstreitig unser erster Porträtist, darf hier an erster
Stelle genannt werden.

Lenbaeh hat unter anderen ein Porträt Bis-
mareks ausgestellt, das im letzten Jahre in Friedrichs-
ruhe entstanden ist, ein künstlerisches und histori-
sches Denkmal voller Inspiration, breit und pastos
gemalt. Das ist der eiserne Kanzler, wie er eines
Morgens in seinem Tusculum überrascht wird, den
Kopf in eine Tuchmütze gezwängt, den Körper in
einen Mantel von grobem Tuch gehüllt, dessen
Kragen sein Gesicht einrahmt; hochaufgerichtet steht
er vor dem Beschauer und scheint in stilles Nach-
denken versunken. Der Gegensatz zwischen seiner
ländlichen Kleidung und seinem Überlegsamen,
willenskräftigen Antlitz ist von merkwürdiger Wir-
kung.

Neben dem Bismarckbilde lächelt uns mit fra-
gender Miene Leo XIII. an, dessen asketische Er-
scheinung alle Lebenswärme aus den blitzenden
Augen zu schöpfen scheint, die seine pergamentenen
Züge erleuchten. Während in dem Gesicht Bis-
mareks lebendige Farben spielen, zeigt sich das
Leo's XIII. blutlos; seine elfenbeingelbe Hautfarbe
ist nur von einigen rötlichen Reflexen aufgehöht, die
von der Draperie des Hintergrundes ausgehen. Ge-
fesselt von dem geheimnisvollen Wetterleuchten
dieses Antlitzes müht sich der Beschauer in die
Welt von Gedankenreihen einzudringen, die in diesem
mageren aber merkwürdig leuchtenden Haupte sich
drängen.

Weiterhin hat Lenbaeh nicht nur mit ganzer
innerer Kraft, sondern auch mit seiner ganzen zeich-
nerischen Erfahrung den modernen Vauban, den
Feldmarschall Moltke wiedergegeben. Der siegge-
waltige Leiter des deutsch-französischen Krieges ist
mehr in einer mit leichten Tinten aufgehöhten Zeich-
nung dargestellt; aber welch ein pathetischer Cha-
rakter, welch meisterliche Ausführung, welche Mo-

dellirung, welch bedeutende Wirkung ist hier mit
den einfachsten Mitteln erreicht! Man sehe nur
diesen Greisenkopf, einen nackten Schädel von fast
abstossender Magerkeit, dessen Linien ganz ausser-
gewöhnliche Formen zeigen! Das Bild darf als ein
glänzender und inhaltreicher Beweis für die Lei-
stungsfähigkeit der gegenwärtigen Kunst gelten. Auf
der blanken Kopffläche spiegeln sich perlmutter-
ähnliche Glanzlichter, die das hohe Alter unbarm-
herzig verraten. Mit gesenktem Kopf, gespannten
Auges, dessen Pupille ein feuchter Schleier bedeckt,
scheint der Sieger von 1870 nur noch" von Erinne-
rungen zu leben. Der Lebenshauch, welcher ihm
noch bleibt, scheint er dem Ruhmfleber zu ver-
danken, das ehedem seinen Kopf durchzitterte. Von
Tag zu Tag schwindet die Erinnerung an jene
Heldenzeit, und so verglimmt langsam das Lebens-
licht des alten Kriegers. Das ist, was Lenbaeh mit
einigen Strichen, die durch Pastellstifte hervorge-
bracht sind, auf einem Stück Bristolkarton ausspricht.
Das Porträt, das mit solcher Schärfe eine visionäre Er-
scheinung wiedergiebt, ist von höchster Kunst. In
dem Porträt des Kanonikus Döllinger, das man von
innen heraus erleuchtet nennen könnte, weil die ganze
Gestalt von einem Gedanken absorbirt scheint, ist der
Geist transparent. Er ist es ebenso in dem Porträt
des Kroatenbischofs Strossmayr. In dem Porträt
von Franz Liszt ist der Ausdruck beredt und voller
Gedankentiefe. Ein hervorragendes Bildnis ist auch
das der Frau von Lenbaeh, geb. Gräfin von Moltke.
Nicht minder zeichnet sich das Porträt Gladstone's
aus, das den englischen Staatsmann in seinem Ar-
beitskabinette darstellt; es ist zwar weniger anregend
und zeigt weniger den Herrn über die Geister; aber
in der besonderen, markigen Ausführung tritt es
hinter den übrigen Bildern nicht zurück.

Lenbaeh ist eifrig bemüht, die Natur zu erhöhen,
nicht sowohl durch die Linienführung nach Art der
David, Ingres, Navez, als vielmehr durch die Be-
tonung, oder wenn man will, Übertreibung des
psychologischen und physiologischen Moments, durch
die Kreuzung des moralischen und intellektuellen
Lebens. Dort sucht er seinen höchsten Ehrgeiz und
rechtfertigt ihn, indem er zugleich mit dem äusseren
auch den innern Menschen zeigt. Jedes seiner Bilder
scheint uns ein Ecce homo! zuzurufen, wenn auch
nicht im Sinne des Pilatus. Lenbaeh giebt mit den
Zügen die unfassbare Seele, den belebenden Ge-
danken wieder, und deshalb darf Deutschland stolz
sein, einen solchen Meister den seinigen zu nennen.

—dt.
 
Annotationen