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Die erste nationale Kunstausstellung in Bern.
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einer Photographie hervorrufen, es ist in seiner Art
aber trotzdem durchaus nicht untergeordnet. Über-
treffen wird die Schärfe der Auffassung unleugbar noch
durch den „Alpenfürsf von Breitenstein, welcher aller-
dings nicht, wie es scheint, zu den Genfern, sondern zu
den französischen Plein-air-Malern gehört. Wer vor
diesem grinsenden Bauernbuben noch nicht Wirk-
lichkeit genug hat, dem ist nicht zu helfen. In an-
sprechender, ja wirklich sympathischer Form tritt
uns die neue Manier in einzelnen Künstlern aus
Neufchätel entgegen. „Die Schiffsarbeiter, Steine
ausladend" von W. Eöthlisberger sind in der That
lebensvolle Gestalten, welche trotz starker Hin-
neigung zur französischen Darstellungsweise nicht
so gar derb und grob, sondern mit einem sehr an-
genehm wirkenden Anflug der älteren, poetischeren
Färbung gemalt sind. Übertroffen wird dieser
Künstler von E. de Pury, welcher allerdings der mo-
dernen Schulung ferner, aber doch nicht völlig fremd
gegenübersteht. Er verfügt über eine klare Farbe,
energische Zeichnung und wird jederzeit seinem Stoff
auch rein künstlerisch gerecht. Seine Bilder „In
den Lagunen" und „Venezianische Mädchen, Perlen
einfassend" gehören zu den besten auf der ganzen
Ausstellung.
Von den übrigen Genfern seien dann noch /.
Girardet mit seiner „Verhaftung Voltaire's", welche
einzelne schöne Züge enthält, sowie die beiden vor-
trefflichen Gemälde von E. Girardet, die Bilder von
IL und /. Hebert, und die drei guten Veillon, welcher
vorzügliche Künstler jedoch besser hätte vertreten
sein können, Castans „Le Pigne dArolla", Fr. Bocions
„Bei St. Saphorin" und „Mündung der Veveyse", Ba-
chelins fein, wenn auch ein wenig gesucht, konipo-
nirte Scene aus dem Übertritt der Bourbakischen
Armee, A. Calame etc. erwähnt. Der „Besuch im
Atelier" von Marguerite Massip und deren Porträt
von Mme. F. sind beide nicht ohne Talent, das
erstere Bild sogar auch von kulturgeschichtlichem
Interesse, aber man könnte der Dame etwas weniger
geniale Art und Weise gewiss nur wünschen. Der
Künstlerinnen sind überhaupt nicht wenige da, z. B.
Clara de Bxvppard tritt mit drei Porträts auf, welche
sämtlich sehr viel Anlage verraten, einen energischen
Strich, wie man ihn sonst bei Malerinnen nicht
gerade häufig antrifft. Ein Bild ist leider in der
Farbe sehr verunglückt, „Die Lesenden" betitelt,
aber die beiden anderen Damenporträts haben viel-
leicht das Recht auf die Palme unter den Porträts
überhaupt.
Setzen wir unsern Giro weiter im Süden in der
bisherigen allgemein kritisirenden Weise fort, so
werden wir im Tessin durch Energie in der Zeich-
nung, Wärme und Lebhaftigkeit, ohne Buntheit der
Farben und frische, anmutende Gedanken und Em-
pfindungen angenehm überrascht, indem gerade der
gar zu lebhaften Färbung der Italiener wenigstens
von den Künstlern, welche ausgestellt haben, gar
nicht nachgeeifert wurde. Ferragutti's „Zärtliche
Vorsicht" wird einem jeden durch die kecke Formen-
sprache, durch die volle Erfassung der Scene ge-
fallen — die zärtliche Aufmerksamkeit, mit welcher
der vom Rücken gesehene junge Arzt eine Impfung,
wie es scheint, an dem Arm einer reizenden, schel-
misch lachenden jungen Südländlerin vollzieht, ist
vorzüglich gelungen. Eine ebenso sicher erfasste,
sehr humorvolle Situation wird von Fossati in seinem
überaus warm gehaltenen „Kuss des Lasters" ge-
geben. Die beiden halbwüchsigen Schusterjungen,
welche sich gegenseitig Cigarretten anzünden, sind
ganz vortrefflich belauscht und wiedergegeben wor-
den. Das Bild „Am Telephon" von demselben
Künstler muss dem ersteren unfraglich nachstehen.
Auch Franzoni's „Sonnenuntergang über der Gräber-
stadt von Concordia" kann nur die gute Meinung
für die Tessiner Künstler bestätigen.
Es ist in der That nicht zu bezweifeln, dass die
deutsche Schweiz die wenigsten guten Bilder ge-
sandt hat. Fangen wir mit dem vornehmsten Namen
an, so haben wir leider auch nur den; denn der
junge Böchlin vermag anderes nicht zu bieten. Ein
anderer Baseler, Emil Bmrmann, mit seinen „Berner-
meitschi" zeigt seine schon bekanntere charaktervolle
Auffassung. Bleiben wir in der Holbein-Stadt, so
stossen wir auf einen Künstler, der von seinem
grossen Mitbürger Böcklin die Sattheit und Wärme
der Farbe entlehnt hat. L. Büdisühli's Landschaften
sind tief und warm gestimmt; ein Eindruck, welcher
jedoch manchesmal dadurch gestört wird, dass seine
Bäume etc. nicht recht vom Hintergrund los kommen
Der hervorragendste unter den Baselern, welche
für die deutsche Schweiz die meisten Künstlernamen
bringen, ist E. Stückelberg, der seinen berühmten
Namen durch drei seiner würdige Bilder vertreten
lässt. Namentlich „Der verlorene Sohn" ist in der
That ein Meisterwerk, so warm empfunden, so kraft-
voll, so wahr dargestellt! Sein „Büssender Parri-
eida" leidet an etwas zu bunter Färbung. Das dritte
ist eine schöne „Mittagsruhe im Sabinergebirge". —
In demselben Saal hängen zwei Bilder eines sehr
bekannten Tiermalers, zu denen sich ein drittes, eine
Löwenjagd, in den Parterresälen hinzufügt. Man
Die erste nationale Kunstausstellung in Bern.
450
einer Photographie hervorrufen, es ist in seiner Art
aber trotzdem durchaus nicht untergeordnet. Über-
treffen wird die Schärfe der Auffassung unleugbar noch
durch den „Alpenfürsf von Breitenstein, welcher aller-
dings nicht, wie es scheint, zu den Genfern, sondern zu
den französischen Plein-air-Malern gehört. Wer vor
diesem grinsenden Bauernbuben noch nicht Wirk-
lichkeit genug hat, dem ist nicht zu helfen. In an-
sprechender, ja wirklich sympathischer Form tritt
uns die neue Manier in einzelnen Künstlern aus
Neufchätel entgegen. „Die Schiffsarbeiter, Steine
ausladend" von W. Eöthlisberger sind in der That
lebensvolle Gestalten, welche trotz starker Hin-
neigung zur französischen Darstellungsweise nicht
so gar derb und grob, sondern mit einem sehr an-
genehm wirkenden Anflug der älteren, poetischeren
Färbung gemalt sind. Übertroffen wird dieser
Künstler von E. de Pury, welcher allerdings der mo-
dernen Schulung ferner, aber doch nicht völlig fremd
gegenübersteht. Er verfügt über eine klare Farbe,
energische Zeichnung und wird jederzeit seinem Stoff
auch rein künstlerisch gerecht. Seine Bilder „In
den Lagunen" und „Venezianische Mädchen, Perlen
einfassend" gehören zu den besten auf der ganzen
Ausstellung.
Von den übrigen Genfern seien dann noch /.
Girardet mit seiner „Verhaftung Voltaire's", welche
einzelne schöne Züge enthält, sowie die beiden vor-
trefflichen Gemälde von E. Girardet, die Bilder von
IL und /. Hebert, und die drei guten Veillon, welcher
vorzügliche Künstler jedoch besser hätte vertreten
sein können, Castans „Le Pigne dArolla", Fr. Bocions
„Bei St. Saphorin" und „Mündung der Veveyse", Ba-
chelins fein, wenn auch ein wenig gesucht, konipo-
nirte Scene aus dem Übertritt der Bourbakischen
Armee, A. Calame etc. erwähnt. Der „Besuch im
Atelier" von Marguerite Massip und deren Porträt
von Mme. F. sind beide nicht ohne Talent, das
erstere Bild sogar auch von kulturgeschichtlichem
Interesse, aber man könnte der Dame etwas weniger
geniale Art und Weise gewiss nur wünschen. Der
Künstlerinnen sind überhaupt nicht wenige da, z. B.
Clara de Bxvppard tritt mit drei Porträts auf, welche
sämtlich sehr viel Anlage verraten, einen energischen
Strich, wie man ihn sonst bei Malerinnen nicht
gerade häufig antrifft. Ein Bild ist leider in der
Farbe sehr verunglückt, „Die Lesenden" betitelt,
aber die beiden anderen Damenporträts haben viel-
leicht das Recht auf die Palme unter den Porträts
überhaupt.
Setzen wir unsern Giro weiter im Süden in der
bisherigen allgemein kritisirenden Weise fort, so
werden wir im Tessin durch Energie in der Zeich-
nung, Wärme und Lebhaftigkeit, ohne Buntheit der
Farben und frische, anmutende Gedanken und Em-
pfindungen angenehm überrascht, indem gerade der
gar zu lebhaften Färbung der Italiener wenigstens
von den Künstlern, welche ausgestellt haben, gar
nicht nachgeeifert wurde. Ferragutti's „Zärtliche
Vorsicht" wird einem jeden durch die kecke Formen-
sprache, durch die volle Erfassung der Scene ge-
fallen — die zärtliche Aufmerksamkeit, mit welcher
der vom Rücken gesehene junge Arzt eine Impfung,
wie es scheint, an dem Arm einer reizenden, schel-
misch lachenden jungen Südländlerin vollzieht, ist
vorzüglich gelungen. Eine ebenso sicher erfasste,
sehr humorvolle Situation wird von Fossati in seinem
überaus warm gehaltenen „Kuss des Lasters" ge-
geben. Die beiden halbwüchsigen Schusterjungen,
welche sich gegenseitig Cigarretten anzünden, sind
ganz vortrefflich belauscht und wiedergegeben wor-
den. Das Bild „Am Telephon" von demselben
Künstler muss dem ersteren unfraglich nachstehen.
Auch Franzoni's „Sonnenuntergang über der Gräber-
stadt von Concordia" kann nur die gute Meinung
für die Tessiner Künstler bestätigen.
Es ist in der That nicht zu bezweifeln, dass die
deutsche Schweiz die wenigsten guten Bilder ge-
sandt hat. Fangen wir mit dem vornehmsten Namen
an, so haben wir leider auch nur den; denn der
junge Böchlin vermag anderes nicht zu bieten. Ein
anderer Baseler, Emil Bmrmann, mit seinen „Berner-
meitschi" zeigt seine schon bekanntere charaktervolle
Auffassung. Bleiben wir in der Holbein-Stadt, so
stossen wir auf einen Künstler, der von seinem
grossen Mitbürger Böcklin die Sattheit und Wärme
der Farbe entlehnt hat. L. Büdisühli's Landschaften
sind tief und warm gestimmt; ein Eindruck, welcher
jedoch manchesmal dadurch gestört wird, dass seine
Bäume etc. nicht recht vom Hintergrund los kommen
Der hervorragendste unter den Baselern, welche
für die deutsche Schweiz die meisten Künstlernamen
bringen, ist E. Stückelberg, der seinen berühmten
Namen durch drei seiner würdige Bilder vertreten
lässt. Namentlich „Der verlorene Sohn" ist in der
That ein Meisterwerk, so warm empfunden, so kraft-
voll, so wahr dargestellt! Sein „Büssender Parri-
eida" leidet an etwas zu bunter Färbung. Das dritte
ist eine schöne „Mittagsruhe im Sabinergebirge". —
In demselben Saal hängen zwei Bilder eines sehr
bekannten Tiermalers, zu denen sich ein drittes, eine
Löwenjagd, in den Parterresälen hinzufügt. Man