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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schumann, Paul: Fünfter Tag für Denkmalpflege
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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0028

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Fünfter Tag für

Denkmalpflege

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des Marktplatzes und die architektonische Wirkung
des Rathauses vernichtet.

Und wenn wir gleich bei diesem Bilde bleiben,
so können wir noch auf eine andere baupolizeilich
zulässige Denkmalschädigung hinweisen.

Auf der anderen Seite des Rathauses hat sich
neuerdings ein zwar von weit her zugereister, aber
finanziell noch nicht so potenter Kleiderkaufmann
eingenistet. Er hat nur ein Anwesen, ein reizendes
altes Renaissancehaus erstanden, das mit seiner fein
profilierten und ornamentierten Fassade die Freude
der Beschauer war, womöglich im »Ortwein« ver-
öffentlicht wurde und im Bädeker einen Stern erhielt.
Zunächst verschwindet nun das Erdgeschoß dieses
Hauses und wird durch ein Gerippe von Gußeisen-
beinen und Doppelträgern mit Spiegelglashaut ersetzt
und dann wird die ganze Front grell zinnoberrot
angestrichen, damit das Haus doch ja jedem, der den
Marktplatz betritt, mit einladendem Faustschlag ins
Auge fällt. Aber diesmal hat der in metergroßen
Goldlettern an der Front prangende Besitzer einen
Teil seiner Rechnung ohne die Baupolizei gemacht.
Denn nach Paragraph so und so sind grelle Anstrich-
farben der Häuser verboten, nicht etwa weil sie hier
mit abstoßender Brutalität auftreten und die Ruhe und
den Reiz des Straßenbildes zerstören, sondern weil
sie gesundheitsschädigend auf die Augen wirken
könnten und nur deshalb, ausschließlich aus gesund-
heitspolizeilichen Rücksichten, muß das Haus neu
gestrichen werden. Nun wählt der klug gewordene
Besitzer ein herrliches Grasgrün, das auch völlig un-
beanstandet bleibt, da die grüne Farbe gerichts-
notorisch eine dem Auge zuträgliche ist. Dem Gesetz
ist Genüge geleitet, aber Tausende, und zwar nicht
nur Maler, Architekten und Kunsthistoriker, fluchen
dann einer derartigen Roheit, die hier erlaubt erscheint,
wo man sonst so schnell mit dem Paragraphen des
groben Unfugs bei der Hand ist.

Frentzen wies weiter hin auf den Unfug der
Straßen- und Platzverhunzung durch die sich stets
mehrenden und vergrößernden Reklametafeln und
streifte dann den stilistischen Gegensatz bei Nachbar-
bauten, worauf er an Beispielen nachwies, wie die
Bauordnung durch ihre Bestimmungen den Fort-
bestand von Baudenkmälern und städtischen Schön-
heiten direkt gefährdet, weil diese den Ansprüchen
der Gesundheit, der Feuersicherheit und des Verkehrs
(wirklich oder angeblich) nicht mehr genügen.

Aus solchen Gründen sind z. B. in den meisten
Orten die alten urdeutschen Fachwerkbauten auf den
Aussterbeetat gesetzt worden, weil die Bauordnungen
das Fachwerk in den Straßenfronten verpönen; male-
rische Freitreppen und Beischläge mußten verschwinden,
um die alleinseligmachende Begradigung der Flucht-
linien zu gunsten einer vielleicht gar nicht auftretenden
Verkehrshochflut vornehmen zu können usw.

Gegenüber diesen Schädigungen bietet die Gesetz-
gebung der Denkmalpflege so gut wie keinen Anhalt
zum Schutze von Baudenkmälern.

In allen Baugesetzen und Verordnungen findet
sich eine grundsätzliche Bestimmung, die besagt, daß

Baueinrichtungen nicht zur Verunstaltung von Straßen
und Plätzen gereichen dürfen. Aber gerade in den
Folgerungen aus diesem Grundsatze herrscht eine
ganz auffallende Zurückhaltung, sowohl in dem was
gefordert als in dem was verboten wird, während auf
dem konstruktiven und hygienischen Gebiet eine un-
endliche Blumenlese von Vorschriften und Verboten
hervorsprießt.

Fast durchgängig beschränken sich jene Bestim-
mungen über die Verunstaltungen von Straßen und
Plätzen auf die banale Regelung der Fluchtlinien und
hinsichtlich des Aufbaues etwa noch auf die Farbe
und Sauberkeit des Gebäudes; nur als vereinzelte
Ausnahmen finden wir in neuerer Zeit Baupolizei-
Verordnungen, in denen auch auf den Denkmal-
charakter von einzelnen Bauwerken oder Stadtteilen
Rücksichten genommen und Bestimmungen zur Be-
wahrung dieses Charakters getroffen werden.

Offenbar beruht der so vielfach rechtlose Zustand
und Bestand unserer Kunstdenkmäler und historischen
Stadtbilder vor allem darauf, daß es einerseits den
Gesetzgebern an der nötigen Empfindung und an dem
offenen Auge fehlte für die tatsächliche Schädigung
eines öffentlichen und allgemeinen Interesses und
anderseits an der nötigen Einsicht und Vorsicht be-
züglich der in künstlerischem Sinne nachteiligen
Folgen mancher baupolizeilicher Bestimmungen.

Erfreulicherweise werden in den preußischen
Ministerien, wie Geheimrat von Bremen dem Tag für
Denkmalpflege mitteilte, Schutzgesetze ausgearbeitet.
Nach allen bisherigen Erfahrungen fehlt es bisher
aber weiteren Kreisen an dem nötigen Verständnis
der Bedeutung und Bewertung der hier auftauchenden
Probleme für das geistige Leben und die Kultur-
entwickelung unseres Volkes. Wir müssen in diesen
weiten Kreisen die Anschauung heimisch machen,
daß unsere alten Kunstdenkmale ein überaus wert-
voller, gleichzeitig idealer und realer Besitz der All-
gemeinheit und nicht nur geistiges Eigentum einzelner
besonders künstlerisch gebildeter Personen sind. Das
ethische Volksbewußtsein muß nach dieser Richtung
wesentlich geschärft werden. Sicherlich wird eine leb-
hafte und von edler Begeisterung getragene Agitation
es vermögen, allgemeinen Unwillen wachzurufen gegen
die mannigfachen Mißhandlungen, die nicht nur ein
besonders feinfühlendes Auge Tag für Tag auf der
Straße erdulden muß, wenn es sieht, wie mit dem
ehrwürdigen Erbteil der Väter, den schönen Bildern
der Vergangenheit, umgesprungen wird. Vielver-
sprechende Anfänge zur Besserung sind vorhanden,
z. B. in den Bauordnungen von Hildesheim und Wien.

Wenn erst diese Bestrebungen allgemeiner an-
erkannt werden, wird allerdings alsbald eine weitere
wichtige Frage auftauchen: Wer soll den Inhalt solch
neuer Schutzbestimmungen festlegen und begrenzen,
und wer soll denn ihre Ausführung überwachen und
in strittigen Fällen entscheiden. Die neuen Schutz-
bestimmungen müssen zweckmäßig formuliert und
gehandhabt werden, damit einerseits bei Verfolgung
idealer Ziele nicht der Boden gleichfalls berechtigter
realer Bedürfnisse unter den Füßen verloren geht,
 
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