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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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Schleinitz, Otto von: Die Watts-Ausstellung in der Londoner Akademie
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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVI. Jahrgang 1904/1905 Nr. 13. 27. Januar

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgeweibcblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petilzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

DIE WATTS -AUSSTELLUNG IN DER LONDONER
AKADEMIE

Watts, der größte englische Meister seiner Epoche,
ist am 23. Februar 1817 in London geboren und am
1. Juli 1904 ebendaselbst gestorben. Sein erstes Selbst-
porträt hat er 1834, sein letztes in seinem Todesjahr
angefertigt, so daß er also 70 Jahre künstlerisch tätig
war und infolgedessen auf Grund seines rastlosen
Schaffens mehr wie 1000 Werke hinterlassen konnte.
Die Zentralstellen, in denen sie sich befinden,
sind hauptsächlich: die »Täte Gallery«, die »Por-
trait Gallery«, die neu errichtete Galerie in Limners-
lease und die Sammlung in dem Schloß »Holland
House«. Hier auf der Ausstellung befinden sich
aus Privatbesitz und aus Limnerslease, dem Land-
aufenthalt des verstorbenen Meisters, im ganzen 250
Gemälde, Skizzen und Zeichnungen, darunter auch
die beiden Selbstporträts, die gewissermaßen den An-
fang und den Schluß seiner Laufbahn darstellen.
Das Jugendporträt läßt uns den genial veranlagten
Künstler, das Bildnis aus dem Jahre 1904, obgleich
es nicht ganz vollendet ist, den großen Meister er-
kennen. Ich zögere keinen Augenblick zu erklären,
daß dies letzte Selbstporträt alle Eigenschaften in sich
schließt — falls es vollendet worden wäre — um
als sein bestes zu gelten. In ruhigem Ernst mit
würdevollem Ausdruck und in hoheitsvoller Ruhe
sehen wir hier einen Mann vor uns, über dessen
geschlossene Persönlichkeit die gesamte Presse und
das Publikum, in Anerkennung seines Wertes, ein
selten einstimmiges Urteil fällt. Wenn eine Meinungs-
verschiedenheit herrscht, so ist sie nur die: War Watts
größer als Künstler oder als Mensch?

Selbstverständlich ist es nicht möglich an dieser
Stelle die uns zur Anschauung gebotenen 250 Werke
ausführlich zu besprechen, sondern es kann sich nur
darum handeln, einzelnes herauszugreifen, wenngleich
Watts durch jede seiner Schöpfungen uns etwas Be-
sonderes zu sagen hat! Die Ausstellung besitzt den
Vorzug, daß sie wesentlich chronologisch geordnet
wurde, und wir somit den Werdegang des Künstlers
und vor allem erkennen können, daß z. B. entgegen-
gesetzt zu Millais, keine Revolution, sondern eine
ruhige stetige Fortentwickelung in ihm stattfindet.

In dem ersten Saale der Akademie fällt nament-
lich Aspiration« (Nr. 8), zu Deutsch »Ideale«, in

die Augen. Unter der Hülle von gerüsteten Kriegern,
die, gleichsam wie ein moderner St. Georg, den Kampf
für die Wahrheit, Recht und Geistesfreiheit aufnehmen
sollen, bergen sich des Meisters Idealgestalten. Hier
zu diesem Bilde hat Arthur Prinsep Modell gestanden
und haben aller Wahrscheinlichkeit nach dem Künstler
die Worte des Dichters George Herbert vorgeschwebt:
»Sei kein Tor; denn alle können, wenn sie den
Versuch wagen, ein ruhmvolles Leben oder Grab
haben«. In der Morgenröte, beim Beginn des großen
Kampfes um das Leben, blickt der Bannerträger über
die weite Ebene. Er überschaut all die Möglichkeiten
des Daseins und der feurige Jugendungestüm wird
durch die Bürde der Pflicht gemildert. Von anderen
interessanten Bildern in demselben Saale erwähne ich
noch: das Porträt von dem Vater des Künstlers,
»Aurora«, das Bildnis der Gräfin Dudley, der Gräfin
von Lytton, »die Liebe und der Tod«, das vorzüg-
liche Porträt von Professor Joachim, »Leben und Liebe«
und das geistreich mit asketischem Ausdruck gehaltene
Porträt von Stuart Mill. Als ich einst Watts fragte,
warum er in dem Gemälde »Liebe und Leben« die
weibliche Figur nicht etwas anziehender entworfen
habe, antwortete er mir: »Mit Willen wurde diese
Gestalt zart, schwächlich und nicht schön dargestellt,
denn umgekehrt bedarf sie keiner Hilfe; dann hilft
sie sich selbst; ich will aber das Mitleid der Menschen
für die Schwachen erwecken! Im übrigen stützt sich
die weibliche Figur wohl leicht auf den Engel, allein
dieser umfaßt sie nicht etwa derart, daß man an-
nehmen könnte, sie solle ausschließlich von ihm
über alle rauhen Pfade des Lebens hinweggeführt
werden, vielmehr wird erwartet, daß sie selbst auch
Anstrengungen macht.« Von anderen Gemälden in
demselben Saale soll wenigstens nicht unbemerkt
bleiben: »Zeit und Vergessen«, mehrere Porträts von
Mitgliedern der Familie Jonides, denen Watts am Be-
ginn seiner Laufbahn viel zu danken hatte, ferner
»Der verwundete Reiher«, ein Werk, das teils realistisch
gehalten, teils romantische Zutaten besitzt. Dies 1837
hergestellte Bild war das erste, welches die Akademie
von Watts annahm. Während ca. 60 Jahren verlor
der Meister dann das Gemälde aus den Augen bis
es kürzlich durch Zufall bei einem Händler in der
Provinz entdeckt wurde und nun wiederum in den
Besitz von Watts gelangte. Als einziges Bild aus
der »Holland House«-Sammlung ist nur zu nennen
 
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