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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0147

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Bücherschau

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lieh seitdem die Gemeinde allmählich vom Mithandeln bei
religiösen Akten ausgeschlossen wurde, durch das Mittel-
schiff wird der Gemeinde die Richtung nach dem Ziel
ihrer Verehrung gewiesen. Um nun Ordnung für das
Nacheinander der vorwärtsstrebenden Bewegung nach
der Apsis zu gewinnen, muß sie in rhythmischer Weise
geleitet werden. Die Entwickelung der hierbei in Betracht
kommenden rhythmischen Gesetze ist ein Mittel der Stil-
bestimmung, ganz besonders günstig kann diese Entwicke-
lung aber in der Architektur der Normandie betrachtet
werden, weil die Normannen erst spät in die baukünstle-
rische Arbeit des Abendlandes eintraten, dann aber sich
mit ihrer ungeschwächten Kraft auf dem Boden der eben
entwickelten eignen abendländischen Stilbildung (des roma-
nischen Stils) gerade der Ausbildung dessen widmeten,
worin Rhythmus zu erkennen ist.

Der Verfasser zeigt nun, von der spätkarolingischen
alten Kathedrale zu Beauvais, dem sogenannten Bas Oeuvre,
ausgehend, wie in dieser wesentlich nur die Vorwärts-
bewegung ausgedrückt ist und deren Rhythmisierung durch
Widerhaltbewegungen nur durch den regelmäßigen Wechsel
zwischen den Pfeilermassen der Arkaden und den zwischen
diesen liegenden durch Halbkreisbogen nach oben abge-
schlossenen Maueröffnungen und den zwischen den Pfeilern
hindurch gestatteten Blick in die Seitenschiffe stattfindet.
Eine Gruppe Bauwerke zeigt dann eine weitere Rhyth-
misierung der Vorwärtsbewegung durch Gliederungen der
Hochwand und Arkaden unter Hineinbeziehung der Seiten-
schiffe, so die Kirche zu Bernay und die Kirche St. Gervais
zu Pont-Aundemer. Ein weiterer Schritt zur Wandgliede-
rung wurde dann ermöglicht durch Einführung der Travee
nicht als Gewölbejoch, sondern nur als Einheitsgruppe
der Wände, beiderseits durch vorgelegte Dienste begrenzt,
aus der sich schließlich die Doppeltravee entwickelt. Bei-
spiele hierfür sind die Kirchen Notre Dame sur l'Eau zu
Domfront, zu Montivilliers, St. Gervais zu Falaise und zu
Graville, während schließlich eine dritte Gruppe in Betracht
kommt, die abweichend von der bisherigen Entwickelung
nach Art der altchristlichen Bauweise vorzugsweise die Vor-
wärtsbewegung betont und die Neutralität derStützen gegen-
über den Bogen durch Verwendung der allseitig gerichteten
Rundpfeiler schuf. Als Beispiele hierfür werden die Kirchen
zu Secqueville, Ecrainville, Ryes, Etretat, Than, Steyning
und Briquebet angeführt. Wir können dem Verfasser
nicht in die Einzelheiten der ebenso hochinteressanten wie
überzeugenden Darlegungen bezüglich der verschiedenen
Bauwerke folgen. Der Leser findet des Anregenden
eine reiche Auswahl und wird das Buch, vollbefriedigt von
dessen Inhalt, aus der Hand legen. Es mag schließlich
noch hervorgehoben werden, daß die Ausstattung des
Buches und insbesondere auch der Tafeln mit den Ab-
bildungen eine durchaus vornehme ist. otto Ocrland.

Dante Gabriel Rossetti, An Ulustrated Memorial of his
Art and Life by H. C. Mariliier. Third Edition abridged
and revised. London: George Bell & Sons. 1904.
Der Verfasser dieses schönen Buches besitzt die seltene
Gabe, uns eine unglaublich große Menge Material und
auf den Gegenstand bezügliche Details zu geben, ohne
daß wir die Mühe ahnen, welche zur Erwerbung derartiger
Kenntnisse gehört. Unter den Personen, die Schönes zu
schaffen suchen, finden wir zwei tragische Typen: den
Künstler mit großen Ideen, der da nicht vermag, dieselben
tatsächlich wiederzugeben und umgekehrt den Maler mit
technischer Fertigkeit ohne hohe geistige Veranlagung.
Rossetti gehört zu der ersten Klasse. Weil er es nicht
über sich gewinnen konnte, sich in ein wirklich ernstes
Fachstudium za vertiefen, blieb ihm der höchste Erfolg in

der bildenden Kunst versagt. Obgleich kein Zweifel
darüber bestehen kann, daß er zum Maler geboren war,
so machte sich bei ihm der Mangel einer systematischen
Ausbildung doch so fühlbar, daß er kein eigentlicher
Meister wurde. Er war ein Malerpoet und seine be-
schreibende Malweise im Gedicht ist höher zu stellen wie
auf der Leinwand, so vor allem sein im Jahre 1847 (a'so
selbst noch nicht 19 Jahre alt) verfaßtes Gedicht »The
Blessed Damozel«. Diese Poesie ist so vollendet, daß
man es kaum verstehen kann, warum er nicht Dichter
blieb. Marillier verfolgt mit der größten Sorgfalt alle
künstlerischen Spuren Rossettis und so erfahren wir denn,
daß viele seiner Bilder lange Zeit hindurch, Jahr für Jahr,
entweder retuschiert oder ganz umgeändert wurden. Er
gelangte zu keiner wahrhaft malerischen Größe, weil er
sich selbst nicht ernst nahm. Mehr offen zutage tretende
Widersprüche, wie die zwischen ihm und Holman Hunt,
sind wohl kaum denkbar und dennoch bezogen beide 1848
ein gemeinschaftliches Atelier. Trotz der grundverschie-
denen Naturen beider wird Rossetti der eifrigste Förderer
des Präraffaelismus und ohne ihn wäre die Brüderschaft
niemals durchgedrungen, geschweige denn zu dauernder
Anerkennung gelangt.

Marillier begleitet den Künstler sozusagen auf Schritt
und Tritt, und indem er unausgesetzt der Exponent seiner
Schönheitsideale bleibt, vertieft er sich ganz in die künst-
lerische Seite Rossettis. Andererseits ist er aber ein ebenso
gewissenhafter Chronist, denn er hat uns, leider unauf-
hörlich, dem Sinne nach zu melden: heute bekam Rossetti
vom Eigentümer ein Bild zur Überarbeitung zurück, aber
es mißlang vollkommen! Ja, derartige Gemälde wurden
wohl bis zu zehn Malen umgestaltet, ohne ein besseres
Resultat zu erzielen.

Rossettis außerordentliche Talente liegen so offenkundig
zutage, daß es überflüssig erscheint, dieselben besonders
hervorheben zu wollen. Sein Charakter war indessen so
unausgeglichen, daß schließlich alle seine Freunde ihm
entfremdet wurden. Er schwankte von einem Extrem zum
andern: als seine Gattin ihm durch den Tod entrissen
wurde, überwältigten ihn seine Gefühle derart, daß er ihr
seine Gedichte im ungedruckten Manuskript mit in das
Grab gibt. Als dann nach Jahren ein Verleger ihm sein
Bedauern über diese übereilte Tat ausdrückt und er Geld
gebraucht, läßt er das Grab öffnen. Keinen Augenblick
jedoch soll die Tatsache deshalb verschwiegen werden,
daß Rossetti eine durch und durch generöse Natur war.
Wenn er selbst Geld besaß, so hatten seine Freunde auch
zu leben.

Schließlich soll nicht unerwähnt bleiben, daß der
Künstler in seinen Jugendjahren eine Ubersetzung des
Nibelungenliedes in Versen vornahm und gleichfalls eine
Übertragung des »Armen Heinrich« von Hartmann von
der Aue bewirkte. Das sehr empfehlenswerte Buch Ma-
rilliers ist in zehn Kapitel eingeteilt, dem ein Anhang zu-
gefügt wurde. In letzterem finden wir ein vollständig
chronologisch geordnetes Verzeichnis von Rossettis Werken.
Der Text des Buches wird durch 46 vortrefflich ausge-
wählte Illustrationen sachlich und gut unterstützt.

O. v. Schleinitz.

Jahrbuch der königlich preußischen Kunstsamm-
lungen. XXV. Band, IV. Heft und Beiheft. Berlin,
Grotesche Verlagsbuchhandlung, 1904.
Die als Abschluß des 25. Jahrganges der Jahrbücher
der königlich preußischen Kunstsammlungen ausgegebenen
Hefte bilden gewissermaßen die Festgabe zur Eröffnung
des Kaiser Friedrich-Museums, mit welchem der Gedanke
eines neuen, die Kunst des christlichen Zeitalters in sich
begreifenden Museums heute verwirklicht erscheint.
 
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