Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 16.1905

DOI article:
Verschiedenes / Inserate
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.5901#0148

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
279

Bücherschau

280

Den Inhalt des Hauptheftes bilden die Abhandlungen
»Mschatta, Bericht über die Aufnahme der Ruine von
Bruno Schulz und kunstwissenschaftliche Untersuchung von
Josef Strzygowski« und »Das ravennatische Mosaik aus S.
Michele in Affricisco im Kaiser Friedrich-Museum von
Oskar Wulff.« Da die Mschatta-Fassade, ein Geschenk
des Sultans an Se. Majestät den deutschen Kaiser, gleich-
falls im Kaiser Friedrich-Museum ihre Aufstellung fand,
wird dasselbe gleich bei seiner Eröffnung durch Veröffent-
lichung zweier seiner interessantesten Stücke vortrefflich
in der kunstgeschichtlichen Fachliteratur eingeführt.

Die Studie über »Mschatta« verdient über den gewöhn-
lichen Leserkreis der Jahrbücher hinaus, die von Archi-
tekten nicht gerade regelmäßig in die Hand genommen
und eingesehen werden, wirklich große Beachtung. Die
Ruine Mschatta im Ostjordanlande an der großen von
Damaskus nach Medina und Mekka führenden Pilgerstraße
wird von Bruno Schulz nach umsichtigster Würdigung
aller irgendwie beachtenswerten Einzelheiten als ein auf
Verteidigungsfähigkeit berechneter Bau nachgewiesen, der
als befestigtes Standquartier für einen in zehn Unter-
abteilungen geteilten Truppenkörper diente. Sein schon
bei römischen Militärlagern auftauchender Typus mit qua-
dratischer Grundform und quadratischem Mittelhofe, mit
flankierenden Rundtürmen und mit einem einzigen Eingange
in der Mitte einer Seite, lebt noch heute in persischen
Karawanserais und in türkischen Gendarmeriequartieren
am Euphrat und in der syrischen Wüste fort. Aus der
Verwendung von Ziegeln und aus näher erläuterten Be-
sonderheiten der Technik und des Ornamentes schließt
Schulz auf persischen Ursprung des Baues und weist ihn
der Sassanidenherrschaft zu. Die Ausführungsmöglichkeit
ist von Chosroes I. bis Chosroes IL, also von 531 bis 628
begrenzt. Das Bautechnische, das selbst an den Steinmetz-
zeichen der Torfrontquadern nicht achtlos vorübergeht,
bietet eine Fülle interessanter Beobachtungen.

Den eigentlichen Schwerpunkt der Mschattaabhandlung
bildet die kunstwissenschaftliche UntersuchungStrzygowskis.
Er sucht die Gesamtanlage von Mschatta in nähere Be-
ziehungen zum Palastbaue zu bringen und möchte sich
für eine ähnliche Abhängigkeit Mschattas von dem Palaste
in Jerusalem aussprechen, wie er sie zwischen Spalato
und Antiochia annimmt. Mit ihm muß man der so durch-
sichtig symmetrischen Klarheit der Gliederung des Mschatta-
grundrisses den Charakter einer wohlüberdachten künst-
lerischen Leistung zuerkennen, in welcher jeder Teil seine
feste Bedeutung hat. Der Geschichte einzelner Bauteile
und konstruktiven Fragen, die besonders in dem zweiten
Abschnitte über den Aufbau im Vordergrunde stehen, wendet
sich Strzygowski mit rühmenswerter Gründlichkeit zu,
welche über einen geradezu überraschenden Reichtum von
Vergleichsmomenten und Vergleichsmonumenten verfügt.
Die Erörterung des Schmuckes der Torfassade interessiert
angesichts der in das Kaiser Friedrich-Museum übertragenen
Mschattareste ganz besonders. Wie hier überschüttet uns
Strzygowski auch in den Ausführungen über das monu-
mentale Muster, Zickzackfries, bossierte Rosetten, Kontrast
von Muster und Grund in Hell und Dunkel, über die
Simen, Palmetten der Hohlkehlen, Weinranken der Wulst-
profile, Pinienzapfen in den bossierten Rosetten mit einer
Fülle neuer Beobachtungen, deren Ertrag bald der byzan-
tinischen, bald der syrischen, bald der islamischen Kunst
zugute kommt oder bei der flächenfüllenden Weinranke
bis zu den Kopten zurückführt. Die rein persischen Fül-
lungen, denen auch das Flügelmotiv zugewiesen ist, er-
scheinen für Mschatta besonders wichtig. Im Kunstkreise
von Mschatta steckt Strzygowski die Grenzen und Beson-
derheiten der mesopotamischen Kunst ab, der man sich

nach den von ihm beigebrachten gesicherten Ergebnissen
doch wird mit aller Aufmerksamkeit zuwenden müssen.
Gewiß wird dabei manches von den heutigen Aufstellungen
fallen. Strzygowsky möchte als Problem die Annahme
aufrollen, daß die große, Europa wie Nordafrika und Vor-
derasien mit Ostasien und Indien zusammenfassende inter-
nationale Kunstbewegung, die zur Entstehung der modernen
japanischen Kunst im Osten und zur Bildung der islami-
schen, byzantinischen und zum Teil auch der Barbarenkunst
im Westen geführt hat, in Mesopotamien und dem Iran
jenen gemeinsamen Brennpunkt hat, in welchen der Aus-
tausch der Formen stattfand. Sein Versuch, dieses Problem,
soweit es mit Mschatta zusammengebracht werden kann,
in aller Kürze auseinderzulegen, bezeichnet den ersten
Schritt zur Klärung der Haltbarkeit dieser Idee, die manchem
wie eine Umsturzidee unbehaglich in die Glieder fahren
dürfte. Sie wird, da sie einmal aufgetaucht ist, gewiß in
nächster Zeit auf Grund eines noch erweiterten Materials
der Gegenstand lebhafter Erörterungen werden und bleiben,
die voraussichtlich mit manchem landläufigen Irrtum und
mancher nur aus Bequemlichkeit festgehaltenen Lieblings-
meinung erbarmungslos aufräumen werden. Der Nötigung
des Umlernens einiger Kardinalpunkte dürfte man sich
nicht mehr lange entziehen können. Mit jenen Fragen, die
Strzygowski in den Darlegungen über mesopotamische
Kunst im Städtedreieck Edessa-Amida-Nisibis, über sassa-
nidische, arabische und byzantinische Kunst berührt, wird
man sich endgültig abfinden müssen. Strzygowski hält
Mschatta für einen Palast, der wie jener in Spalato be-
festigt und für eine Besatzung eingerichtet war. Die An-
nahme, daß es als Palast eines gassanidischen Fürsten im
4. bis 6. Jahrhundert erbaut sei, deckt sich nicht ganz mit
dem Ansätze von Schulz. Diese Divergenz der Meinungen
zweier Forscher, die sich mit dem gleichen Gegenstande
eingehendst beschäftigt haben und doch in einer so wich-
tigen Frage nicht zur Ubereinstimmung gelangten, be-
leuchtet scharf die Wahrscheinlichkeit des Einspruchs gegen
andere vielleicht im ersten Augenblicke sogar bestechende
Anschauungen Strzygowskis. Mschatta bot dem Bekämpfer
der Ansicht, daß die abendländisch-romanische Kunst in
direkter Linie aus der altchristlich-römischen hervorgegangen
sei, den Anlaß zu zeigen, daß es ebensowenig angehe,
die sassanidisch-islamische Kunst als einen Zweig der
spätrömisch-byzantinischen hinzustellen. Die ererbte und
anerzogene Anschauung von der Einheitlichkeit der Kunst-
entwickelung auf ausschließlich antiker Grundlage darf
bereits als ernstlich erschüttert bezeichnet werden. Dazu
haben die Publikationen Strzygowskis, zuletzt sein »Klein-
asien, ein Neuland der Kunstgeschichte«, wesentlich bei-
getragen. Seine Mschatta-Studie, die weit über das Denk-
mal selbst hinausgreift und die Ausblicksmöglichkeit in
bisher wenig oder gar nicht beachtete Gebiete erweitert,
gehört zu den besten Beiträgen der an Vortrefflichem
so reichen preußischen Jahrbücher; die kunstwissen-
schaftliche Forschung wird an diese Arbeit zweifellos
manch andere Untersuchung anknüpfen und lange und oft
darauf zurückgreifen, da das Interesse an der fachmän-
nischen Klärung der Kunstzustände des Orients während
der ersten Jahrhunderte christlicher Zeitrechnung sich er-
heblich gesteigert hat.

Die Abhandlung Wulffs über »Das ravennatische Mosaik
von S. Michele in Affricisco im Kaiser Friedrich-Museum«
verfolgt aktenmäßig die Geschichte des interessanten Kunst-
werkes, das 1843 den königlichen Museen in Berlin zuge-
wiesen wurde, und bestimmt seinen kunstgeschichtlichen
Wert. Hier ist bereits die Scheidung der in Byzanz von
verschiedenen Seiten aufgesammelten Typen nach theolo-
gischen Gesichtspunkten vollzogen; die Gebilde des über-
 
Annotationen