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Bücherschau
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reichen Phantasieschaffens der altchristlichen Kunst des
Morgenlandes erscheinen vereinigt, gesichtet und aus der
religiösen Idee heraus fortentwickelt. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus bereichert das Mosaik von S. Michele die
Erkenntnis von dem religiösen Denken, von dem künst-
lerischen Empfinden und von der Entwickelungsrichtung
der Kunst jener Zeit. Wulff versteht es, dies überzeugend
festzustellen.
Die Abhandlungen des Beiheftes erschließen haupt-
sächlich höchst wertvolles urkundliches Material. Unter
den »Kunstbestrebungen der Herzöge von Urbino« faßt
Georg Gronau auf Grund der Akten des Florentiner Staats-
archives Tizian in seinen Beziehungen zum Hofe von
Urbino ins Auge. Er stellt die Liste der Schöpfungen des
großen Venezianers zusammen, die sich bestimmt auf Be-
stellungen der Roverefürsten zurückführen lassen, und teilt
die dafür maßgebenden archivalischen Belege mit. Cor-
nelius von Fabriczy reiht seinem chronologischen Prospekte
der Lebensdaten und Werke des »Michelozzo di Bartolomeo«
äußerst wertvolle Erläuterungen und Quellenbelege an, die
in den hochinteressanten Urkundenbeilagen ungemein
wichtige Ergänzungen finden. Überall sieht man den vor-
züglichen Kenner der italienischen Kunst und ihrer ver-
läßlichsten Nachweise, der nicht nur zum Lebens- und
Schaffensgange des Meisters, sondern auch zur Geschichte
vielgerühmter Kunstwerke viel Neues beibringt. In dem
kurzen Schlußartikel führt Fabriczy Vincenzo da Cortona,
einen bisher völlig unbekannten Künstler der Renaissance,
der 1493 mit der Herstellung von Festungsbaumodellen in
Neapel beschäftigt war, 1502 die Werkstätte des Malers
Luca Signorelli in Cortona geschenkt erhielt und 1517 die
Herstellung des heute noch erhaltenen Gestühles im Kirch-
iein del Gesü zu Cortona übernahm, selbst mit einem,
allerdings nicht gerade bedeutenden Werke in die Kunst-
geschichte ein.
So repräsentieren Hauptheft und Beiheft eine wissen-
schaftlich bedeutsame Festgabe zur Eröffnung des Kaiser
Friedrich-Museums, vollauf würdig des seltenen Anlasses
der Erschließung einer für die kunstgeschichtliche For-
schung wichtigen neuen Stätte. Joseph Neuwirth.
K. G. Stephani Dr. ph., Der älteste deutsche Wohnbau
und seine Einrichtung. Baugeschichtliche Studien auf
Grund der Erdfunde, Artefakte, Baureste, Münzbilder,
Miniaturen und Schriftquellen I. 448 S. 8° mit 209 Abb.
Leipzig 1902. Baumgärtner. 12 M. II. 705 S. mit 454
Abb., ebenda 1903. 18 M.
Diese beiden Bände sind nur als Vorarbeit zu einer
Geschichte des romanischen Wohnbaues gemeint und sollen
nach des Verfassers Absicht noch nicht die genetische Ent-
wickelung, sondern nur eine Stoffsammlung hierzu bieten.
Wir erhalten eine Reihe Einzelbilder in historischer Folge.
Zusammenhänge und Verbindungslinien herzustellen, Lük-
ken und Widersprüche auszugleichen, bleibt vorläufig dem
Leser überlassen. Doch ist der Verfasser im zweiten Band
mehr und mehr aus seiner Reserve herausgetreten und hat
vom Recht der Rekonstruktion immerhin bescheiden Ge-
brauch gemacht. Dies ist für ein systematisches Werk gar
nicht zu umgehen. Denn der Bestand an wirklichen Haus-
altertümern der ältesten Zeit ist so minimal, daß unsere
Kenntnis großenteils auf sekundären Ouellen beruht, die
schließlich ihren Wert und ihre Deutung nur in der sub-
jektiven Auffassung des Forschers erhalten. Man kann
dem Verfasser das uneingeschränkte Lob spenden, daß
er die entlegensten Hilfsmittel aufgesucht, eine geradezu
riesenhafte Literatur verarbeitet und dem verwüsteten Boden
alles abgerungen hat, was menschenmöglich ist. Hier ist
zunächst eine gedrängte Übersicht des umfangreichen und
interessanten Inhalts.
Für die vorgeschichtliche Zeit lassen sich an den Haus-
tirhen die verschiedenen Typen der Erdhütte, des Zeltes,
der Jurte und des primitiven Giebelhauses gewinnen-
Als Nomaden auf knarrenden Wohnwagen treten uns
Cimbern und Teutonen entgegen, als Halbnomaden die
deutschen Cäsars und Tacitus', die in Sommer- und Winter-
häusern (Block- und Riegelbauten) teils einzeln, teils in
Haufendörfern siedelten und sich in Burgwällen (»Städten«)
schützten. Auf der Markussäule lernen wir die Stabjurten
der Markomannen kennen. Dagegen hausten Alamannen
am Main nach Ammians Bericht »ganz ordentlich nach
römischer Sitte«, wohl nur zufällig, denn die aufgegrabenen
Höfe bei Großgartach lassen nichts vom Einfluß der rö-
mischen villa rustica erkennen. Für die Westgoten bietet
lediglich der Wortschatz des Ulfilas in der Bibelübersetzung
eine dürftige Quelle, für die Mösogoten wird der Palast
des Attila nach Priscus mit zweifelhaftem Recht herange-
zogen, weil er »vielleicht von einem Mösogoten erbaut
war«. Haben die Westgoten in Spanien, die Vandalen in
Afrika, die Burgunden in der Sabaudia keine Spuren hin-
terlassen, so sind die Ostgoten mit den Bauten Theodorichs
in Verona und Ravenna recht stattlich vertreten. Über den
Betrieb bei den Longobarden unterrichten uns die Edikte
Rothars 643 und Liutprands 712—44. Bei den Franken
läßt die Lex Salica den weiten Bauernhof erkennen, doch
nahmen sie in Gallien bald die höheren Formen des rö-
mischen Landhauses, wie auch des städtischen mehrstok-
kigen Steinhauses und der ummauerten Burg auf und er-
reichten unter den Merowingern eine verhältnismäßig hohe
Kultur des Wohnbaus (Pfalz in Aachen, Torhalle in Lorsch).
Sehr spärlich ist es, was die bayerischen und alamannischen
Volksgesetze über den Wohnbau dieser Stämme und der
Heliand über das niedersächsische Haus verraten. Für
die Nordgermanen wird die mehrteilige Hütte Islands und
der skandinavische Blockbau mit seinen Typen (bür, stofa,
skali, eldhus) herangezogen; die Angelsachsen sind durch
die Halle Heorot nach Beowulf vertreten, die Normannen
durch ihre Holzhäuser auf den Teppichen von Bayeux.
In karolingischer Zeit steht der Wohnbau zunächst noch
ganz unter römischen Einflüssen, voran die Klöster, deren
Plan etwa dem Grundriß des römischen Lagers entspricht.
Die bekannten Beispiele Fontanella, Centula, St. Gallen
werden besprochen, letzteres sehr ausführlich und instruktiv
nach allen einzelnen Gebäuden. Sind wir für die Land-
güter Karls des Großen auf die etwas schematischen Be-
richte seiner Inspektoren angewiesen, so sind von seinen
großen Pfalzen Aachen, Ingelheim, Nimwegen noch ziem-
liche Reste erhalten (hierbei ist Aachen, wesentlich nach
Mustern des St. Gallener Planes rekonstruiert) und auch
von den kleineren ist eine in Kirchheim in Aufgrabung
begriffen. Sehr wenig wissen wir über die Städte und die
Hauslypen dieser Zeit, soweit nicht Miniaturen und Münz-
bilder aushelfen. In sächsischer Zeit beginnt sich allmählich
der nationaldeutsche Charakter des Wohnbaues zu entfalten,
weniger in der Klosterkunst (Farfe, Hirsau) als vielmehr
in den Burgen, Pfalzen und Städten. Für die Burgen wird
nur ein gültiges Beispiel, die Frankenburg bei Rinteln, ein
ummauerter Ringwall, beigebracht, für die Pfalzen Goslar,
für die Stadtbilder Worms, Regensburg und Merseburg.
Unter den »Haustypen« treffen wir ein- und mehrstockige
Holzhäuser nach Miniaturen und Münzen, steinerne Wohn-
türme, wie den »Römerturm« in Regensburg und das
»Propugnaculum« in Trier und schlichte Wohnhäuser, wie
das »graue Haus« in Winkel. — Zu jedem dieser Abschnitte
ist ein Kapitel über die mutmaßliche oder nachweisliche
Technik und die dekorativen und praktischen Einrichtungen,
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reichen Phantasieschaffens der altchristlichen Kunst des
Morgenlandes erscheinen vereinigt, gesichtet und aus der
religiösen Idee heraus fortentwickelt. Von diesem Ge-
sichtspunkte aus bereichert das Mosaik von S. Michele die
Erkenntnis von dem religiösen Denken, von dem künst-
lerischen Empfinden und von der Entwickelungsrichtung
der Kunst jener Zeit. Wulff versteht es, dies überzeugend
festzustellen.
Die Abhandlungen des Beiheftes erschließen haupt-
sächlich höchst wertvolles urkundliches Material. Unter
den »Kunstbestrebungen der Herzöge von Urbino« faßt
Georg Gronau auf Grund der Akten des Florentiner Staats-
archives Tizian in seinen Beziehungen zum Hofe von
Urbino ins Auge. Er stellt die Liste der Schöpfungen des
großen Venezianers zusammen, die sich bestimmt auf Be-
stellungen der Roverefürsten zurückführen lassen, und teilt
die dafür maßgebenden archivalischen Belege mit. Cor-
nelius von Fabriczy reiht seinem chronologischen Prospekte
der Lebensdaten und Werke des »Michelozzo di Bartolomeo«
äußerst wertvolle Erläuterungen und Quellenbelege an, die
in den hochinteressanten Urkundenbeilagen ungemein
wichtige Ergänzungen finden. Überall sieht man den vor-
züglichen Kenner der italienischen Kunst und ihrer ver-
läßlichsten Nachweise, der nicht nur zum Lebens- und
Schaffensgange des Meisters, sondern auch zur Geschichte
vielgerühmter Kunstwerke viel Neues beibringt. In dem
kurzen Schlußartikel führt Fabriczy Vincenzo da Cortona,
einen bisher völlig unbekannten Künstler der Renaissance,
der 1493 mit der Herstellung von Festungsbaumodellen in
Neapel beschäftigt war, 1502 die Werkstätte des Malers
Luca Signorelli in Cortona geschenkt erhielt und 1517 die
Herstellung des heute noch erhaltenen Gestühles im Kirch-
iein del Gesü zu Cortona übernahm, selbst mit einem,
allerdings nicht gerade bedeutenden Werke in die Kunst-
geschichte ein.
So repräsentieren Hauptheft und Beiheft eine wissen-
schaftlich bedeutsame Festgabe zur Eröffnung des Kaiser
Friedrich-Museums, vollauf würdig des seltenen Anlasses
der Erschließung einer für die kunstgeschichtliche For-
schung wichtigen neuen Stätte. Joseph Neuwirth.
K. G. Stephani Dr. ph., Der älteste deutsche Wohnbau
und seine Einrichtung. Baugeschichtliche Studien auf
Grund der Erdfunde, Artefakte, Baureste, Münzbilder,
Miniaturen und Schriftquellen I. 448 S. 8° mit 209 Abb.
Leipzig 1902. Baumgärtner. 12 M. II. 705 S. mit 454
Abb., ebenda 1903. 18 M.
Diese beiden Bände sind nur als Vorarbeit zu einer
Geschichte des romanischen Wohnbaues gemeint und sollen
nach des Verfassers Absicht noch nicht die genetische Ent-
wickelung, sondern nur eine Stoffsammlung hierzu bieten.
Wir erhalten eine Reihe Einzelbilder in historischer Folge.
Zusammenhänge und Verbindungslinien herzustellen, Lük-
ken und Widersprüche auszugleichen, bleibt vorläufig dem
Leser überlassen. Doch ist der Verfasser im zweiten Band
mehr und mehr aus seiner Reserve herausgetreten und hat
vom Recht der Rekonstruktion immerhin bescheiden Ge-
brauch gemacht. Dies ist für ein systematisches Werk gar
nicht zu umgehen. Denn der Bestand an wirklichen Haus-
altertümern der ältesten Zeit ist so minimal, daß unsere
Kenntnis großenteils auf sekundären Ouellen beruht, die
schließlich ihren Wert und ihre Deutung nur in der sub-
jektiven Auffassung des Forschers erhalten. Man kann
dem Verfasser das uneingeschränkte Lob spenden, daß
er die entlegensten Hilfsmittel aufgesucht, eine geradezu
riesenhafte Literatur verarbeitet und dem verwüsteten Boden
alles abgerungen hat, was menschenmöglich ist. Hier ist
zunächst eine gedrängte Übersicht des umfangreichen und
interessanten Inhalts.
Für die vorgeschichtliche Zeit lassen sich an den Haus-
tirhen die verschiedenen Typen der Erdhütte, des Zeltes,
der Jurte und des primitiven Giebelhauses gewinnen-
Als Nomaden auf knarrenden Wohnwagen treten uns
Cimbern und Teutonen entgegen, als Halbnomaden die
deutschen Cäsars und Tacitus', die in Sommer- und Winter-
häusern (Block- und Riegelbauten) teils einzeln, teils in
Haufendörfern siedelten und sich in Burgwällen (»Städten«)
schützten. Auf der Markussäule lernen wir die Stabjurten
der Markomannen kennen. Dagegen hausten Alamannen
am Main nach Ammians Bericht »ganz ordentlich nach
römischer Sitte«, wohl nur zufällig, denn die aufgegrabenen
Höfe bei Großgartach lassen nichts vom Einfluß der rö-
mischen villa rustica erkennen. Für die Westgoten bietet
lediglich der Wortschatz des Ulfilas in der Bibelübersetzung
eine dürftige Quelle, für die Mösogoten wird der Palast
des Attila nach Priscus mit zweifelhaftem Recht herange-
zogen, weil er »vielleicht von einem Mösogoten erbaut
war«. Haben die Westgoten in Spanien, die Vandalen in
Afrika, die Burgunden in der Sabaudia keine Spuren hin-
terlassen, so sind die Ostgoten mit den Bauten Theodorichs
in Verona und Ravenna recht stattlich vertreten. Über den
Betrieb bei den Longobarden unterrichten uns die Edikte
Rothars 643 und Liutprands 712—44. Bei den Franken
läßt die Lex Salica den weiten Bauernhof erkennen, doch
nahmen sie in Gallien bald die höheren Formen des rö-
mischen Landhauses, wie auch des städtischen mehrstok-
kigen Steinhauses und der ummauerten Burg auf und er-
reichten unter den Merowingern eine verhältnismäßig hohe
Kultur des Wohnbaus (Pfalz in Aachen, Torhalle in Lorsch).
Sehr spärlich ist es, was die bayerischen und alamannischen
Volksgesetze über den Wohnbau dieser Stämme und der
Heliand über das niedersächsische Haus verraten. Für
die Nordgermanen wird die mehrteilige Hütte Islands und
der skandinavische Blockbau mit seinen Typen (bür, stofa,
skali, eldhus) herangezogen; die Angelsachsen sind durch
die Halle Heorot nach Beowulf vertreten, die Normannen
durch ihre Holzhäuser auf den Teppichen von Bayeux.
In karolingischer Zeit steht der Wohnbau zunächst noch
ganz unter römischen Einflüssen, voran die Klöster, deren
Plan etwa dem Grundriß des römischen Lagers entspricht.
Die bekannten Beispiele Fontanella, Centula, St. Gallen
werden besprochen, letzteres sehr ausführlich und instruktiv
nach allen einzelnen Gebäuden. Sind wir für die Land-
güter Karls des Großen auf die etwas schematischen Be-
richte seiner Inspektoren angewiesen, so sind von seinen
großen Pfalzen Aachen, Ingelheim, Nimwegen noch ziem-
liche Reste erhalten (hierbei ist Aachen, wesentlich nach
Mustern des St. Gallener Planes rekonstruiert) und auch
von den kleineren ist eine in Kirchheim in Aufgrabung
begriffen. Sehr wenig wissen wir über die Städte und die
Hauslypen dieser Zeit, soweit nicht Miniaturen und Münz-
bilder aushelfen. In sächsischer Zeit beginnt sich allmählich
der nationaldeutsche Charakter des Wohnbaues zu entfalten,
weniger in der Klosterkunst (Farfe, Hirsau) als vielmehr
in den Burgen, Pfalzen und Städten. Für die Burgen wird
nur ein gültiges Beispiel, die Frankenburg bei Rinteln, ein
ummauerter Ringwall, beigebracht, für die Pfalzen Goslar,
für die Stadtbilder Worms, Regensburg und Merseburg.
Unter den »Haustypen« treffen wir ein- und mehrstockige
Holzhäuser nach Miniaturen und Münzen, steinerne Wohn-
türme, wie den »Römerturm« in Regensburg und das
»Propugnaculum« in Trier und schlichte Wohnhäuser, wie
das »graue Haus« in Winkel. — Zu jedem dieser Abschnitte
ist ein Kapitel über die mutmaßliche oder nachweisliche
Technik und die dekorativen und praktischen Einrichtungen,