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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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125

Literatur

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längst vergessene Oedanken und Bestrebungen wieder ans
Licht gestellt, die das Werk zu einer Sammlung der
wichtigsten Dokumente und Zeitstimmen machen. Freilich
leidet hierunter die Straffheit der Darstellung, die Rundung
und Klarheit des schriftstellerischen Vortrages. Oft ver-
schwindet der Verfasser hinter seinen Gewährsmännern.
Widersprüche und Wiederholungen sind nicht selten. In
der Hitze des Gefechts ist sogar der Vorschlag Grimms
zu einem Denkmal deutscher Geisteshelden zweimal S. 258
und 800 in extenso abgedruckt. Es begegnen seitenlange
fremde und eigene Ausführungen, die kaum zur Sache ge-
hören, Schilderungen, bei denen man den Kopf schüttelt.
Der Vortrag ist ebenfalls sehr ungleich, stellenweis schwung-
voll und tiefgründig, manchmal glatt, ungelenk, flüchtig
bis zur Mißhandlung der deutschen Sprache. Man braucht
einige Zeit, sich an diese Mängel zu gewöhnen und im
ganzen doch den Weitblick, Wahrheitssinn und Künstler-
geist, die liebenswürdige Gerechtigkeit nach allen Seiten
und das schöne nationaldeutsche Pathos des Verfassers
zu würdigen. Die lllustrierung ist sehr reich, vieles jedoch
aus zweiter Hand. Dem Schlußheft wird hoffentlich ein
ausführliches Register beigegeben, um die völlige Aus-
nutzung des reichen Stoffes zu erleichtern. Dr. Bergner.

Die Bau- und Kunstdenkmäler der freien und Hanse-
stadt Lübeck. Herausgegeben von der Baudeputation.
Bd. II. Petrikirche, Marienkirche, hl. Geisthospital. Be-
arbeitet von Bezirksbauinspektor Dr. F. Hirsch, Stadt-
baurat G. Schaumann und Dr. F. Bruns, Lübeck 1906.
Verlag von Bernhard Nöhring.

Von dem Inventarisationswerk der Stadt Lübeck, das
auf drei Bände berechnet ist, liegt jetzt der zweite Band
vor, ein sehr stattliches Werk von 511 Seiten mit ausge-
zeichneter und sehr sorgfältig durchgeführter Illustrierung.
Der erste Band der Inventarisation soll zuletzt erscheinen,
da er zugleich die allgemeine Baugeschichte der Stadt be-
handelt, die naturgemäß erst nach vollständiger Durch-
forschung der Geschichte der einzelnen Bauwerke sich in
einwandfreier Weise wird darstellen lassen. Wenn auch
die Geschichte der Lübecker Denkmäler von einheimischen
Forschern teilweise schon sehr eingehend behandelt wurde,
so haben die Herausgeber sich doch nicht der Mühe ent-
zogen, diese zu wiederholen und zu ergänzen, um auch
den weniger bekannten Gebäuden nach allen Seiten hin
eine vollendete Darstellung geben zu können. Demgemäß
ist die Bearbeitung des Stoffes in sorgfältigster Weise bis
auf die kleinsten Einzelheiten hin ausgedehnt und durch
Auszüge aus Kirchenbüchern. Protokollen, Rechnungen usw.
in allen Arbeitsvorgängen, selbst den Reparaturen belegt.
Es ergibt sich hieraus zwar eine etwas umfängliche Dar-
stellung, aber sie ermöglicht der Forschung über bestimmte
Einzelgebiete der Baukunst oder über die Ausstattung von
Bauten eine sichere Unterlage, ein Quellenwerk ersten Ranges.

Dies ist aufrichtig zu begrüßen, denn gerade in Lübeck
treffen von altersher in der Kunst einheimische Strömungen
mit den künstlerischen Erzeugnissen der im Handelsverkehr
mit der Stadt stehenden fremden Städte und Staaten zu-
sammen, so daß sich hier eine Mannigfaltigkeit der Formen-
welt und der Gegenstände vereinigt, wie man sie sonst
wohl nur in einem Museum beieinander findet.

Die einheimische Baukunst feiert in den Bauten von
St. Petri und der Marienkirche besondere Triumphe. Ge-
waltige fast ungegliederte Mauermassen ragen über das
bunte Häusermeer, kolossale Turmanlagen verleihen der
ehrwürdigen Hansestadt Silhouette, alles in den warmen
Tönen des farbensatten Backsteines, dazwischen die weißen
Putzflächen, darüber die feintönige glitzernde Patina
kupferner Turmhelme.

Ähnlich berückend, ja teilweise überwältigend wirkt

das Innere der Bauten, namentlich die hochräumigen
Kirchen enthalten unzählige Schätze aus allen Zweigen und
Stilen kirchlicher Kunst.

Die Verfasser haben durch die streng sachliche Dar-
stellung es verstanden, das Interesse des Lesers so zu
fesseln, daß die Sehnsucht, diese Schätze zu sehen, wach
wird. Wie eigenartig mischt sich einheimische Tüchtigkeit
und fremder Einfluß. An der Marienkirche z. B. ist das
Schema der Hallenkirche dem Entwürfe zugrunde gelegt,
in der Ausführung wird es umgewandelt zum basilikalen
Systeme in seiner glänzendsten Form mit dem französischen
Kapellenkranze. Die ältere Art, der einfache und kolossale
Westturn], ebenfalls ein westfälischer Bautypus, wird An-
fang 14. Jahrhundert verlassen, zwei mächtige Nachbarn
treten bei St. Marien an seine Stelle, bei St. Petri bleiben
diese Umbauten in der Schiffshöhe liegen. Gar manche
Anregung gab Frankreich, fast verblüffend ist die Ähnlich-
keit der »Halle der Hospitanten« des Hospitales zum hl.
Geiste mit der gleichen Anlage im Hospitale zu Tonnere.

In der inneren Ausstattung geht einheimische Kunst
neben fremder, importierter einher. Wandmalereien von
prächtiger Art erinnern wieder an ähnliches in der mächtigen
Hansestadt Soest. Anderes und späteres ist einheimische
Arbeit und oft, wie z. B. einzelne Teile und Kompositionen
von Altarbildern unter Nachahmung süddeutscher Kunst,
der Totentänze, der Holzschnitte von Albrecht Dürer usw.
entstanden, ja ein prächtiges Stück, die Grabplatte des
Kaufmannes Godard Wigerinck, führt in Peter Vischers
Gießhütte nach Nürnberg. Berühmt sind in Lübeck be-
sonders auch die gewaltigen Orgelprospekte von St. Marien
und St. Petri, prächtig und für die Geschichte der frühesten
protestantischen Kirchenausstattung von hohem Werte die
Kanzel in dieser und der Hochaltar jener Kirche, den der
Bildhauer Thomes Quellinus aus Antwerpen 1696 ausge-
führt hat. Ein solcher Reichtum an Chorgestühl und
vollendet geschnitztem Stuhlwerk wie in St. Marien dürfte
wohl kaum in einer zweiten Kirche Deutschlands zu finden
sein, alle Stilepochen haben dazu beigetragen.

Das gleiche gilt für die Menge von Bildwerken und
Epitaphien, über letztere und ihre historisch-stilistische
Entwicklung gibt das in dieser Kirche noch Vorhandene
ein beinahe erschöpfendes Bild. Eine besondere Zier sind
dann noch die zahlreichen Reste von Altarbildern mit ihren
reichbehandelten Gehäusen, von denen einige auch durch
das phantasievolle Schnitzwerk hohes Interesse bean-
spruchen, andere wieder durch die Naturwahrheit in der
Darstellung der menschlichen Figur wie der Porträts fesseln.
Unter den plastischen Werken sind die vier Reliefs aus
der Leidensgeschichte Christi in der Marienkirche ja allbe-
kannt, der Rest eines gotischen Kruzifixes, vielleicht von
dem älteren Hochaltar von 1425, ist selbst in der ver-
stümmelten Form von ergreifender Schönheit.

Prächtig wirkt das Innere von St. Marien. Der mächtige,
reich mit Plastik und Malerei ausgestattete, größtenteils
der Renaissancezeit angehörende Lettner, teilt den ge-
waltigen Raum in stimmungsvolle Abschnitte, messingene
Hängeleuchter schweben über dem Beschauer, die weißen
und schlicht behandelten Wände sind mit Grabmälern,
Gestühl und Altarbildern geschmückt und über dem allem
erinnern eroberte Fahnen von Schweden und Dänemark
und die des hanseatischen Bataillons von anno 1813 an
die Tatkraft der Bürgerschaft, die aus den oft überreich
fließenden Einnahmequellen nie gekargt hat, die bildende
Kunst in großzügiger Weise zu unterstützen.

So bildet auch der vorliegende Band der Inventarisation
ein Denkmal des Bürgersinnes, sein reicher Inhalt wird
Lübecks Kunst in weiteren Kreisen bekannt machen und
viele bestimmen, das Wiedergegebene auch in Wirklichkeit
zu schauen. zeiier.
 
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