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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Kunstgewerbliche Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0091

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KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU

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gesinnung und den guten Geschmack betrifft. Dieses
Sinnes ist es ein Symptom, daß die Stadt Bremerhaven
sich von Oskar Kaufmann ein neues Theater bauen ließ.
Der Auftrag, der das Resultat eines (bereits klug gedachten)
engeren Wettbewerbes war, zeugt für der Stadtväter kecken
Wagemut. Zugleich: er konnte kaum in bessere Hände
kommen. Mit verhältnismäßig sehr bescheidenen Mitteln
schuf der erfolgreiche Architekt des Hebbeltheaters einen,
über sein Erstlingswerk schön hinausgereiften Bau. □
□ Die erste wahrhaft architektonische Tat war die An-
legung eines aparten Theaterplatzes. Diese Lösung ist
um so bemerkenswerter, als der Neubau sowieso an einen
Platz zu stehen gekommen wäre. Freilich an einen reich-
lich großen und unübersichtlichen. Nun bekam dieser
große Platz einen Appendix, eine Ausbuchtung, einen
Hafen der Neutralität: den monumentalen, durch die Ge-
schlossenheit der Form alles ringsherum niederkonkurrie-
renden Bau sich recht entfalten zu lassen. Jetzt steht das
Theater abseits und doch herrschend. Es wurde aus Kalk-
stein errichtet und bekam bei strenger Wahrung konse-
quenter Zweckmäßigkeit ein graziöses Pathos. Das vom
Hebbeltheater bekannte Oval wurde wieder mit Erfolg
angewandt; im Zentrum des Blockes wölbt sich der Trackt,
der unten den Kassenraum, oben das Foyer umfaßt, weich,
doch bewußt hervor. Die schlanken Pfeiler, die das Halb-
oval einspannen, stoßen bis zum Gesims des den ganzen
Mittelteil überdeckenden abgewalmten Kuppeldaches. Die
Wirkung (durch plastischen Schmuck noch gehöht) ist
um so kräftiger, als alle übrigen Teile der Fassade, auch
die Rückfront des ganzen Baues äußerst schlicht, sehr
flächig und nur wenig profiliert behandelt wurden. □
□ Der Grundriß zeigt mancherlei geschickte Lösungen.
Bemerkenswert ist ein durch zwei Parallelreihen von Türen
gebildeter, gangartiger Windfang, der nach innen zu, um
einige Stufen gehoben, die Basis des halbovalen Kassen-
raumes bildet. Recht klug wurde auch der Zugang zum
Hinterparkett disponiert; er führt von der Straße her durch
Extratüren unter dem Haupteingang hindurch. Die Be-
sucher dieses Platzes (der den zweiten Rang ersetzen soll)
müssen also zunächst einige Stufen abwärts steigen, dort,
im Keller, finden sie ihre Kasse und einen sehr großen
Raum für Garderobe und Zwischenakt; dann, um in den
Zuschauerraum zu gelangen, haben sie wiederum einige
Stufen empor zu gehen. Das sieht vielleicht kompliziert
aus, ist aber immer noch bequemer, als es gemeinhin die
Treppen zum zweiten Rang sind. Und: die Entleerung
des Theaters dürfte dieser Art eine recht schnelle sein, a
a Der Zuschauerraum ist abermals eine Erinnerung an
das Hebbeltheater, vielleicht eine gar zu deutliche. Kauf-
mann wird künftighin nicht nur darauf aus sein dürfen,
die Qualität zu steigern, er wird auch seine Phantasie
neu reisen lassen müssen. Jedenfalls: die Qualitätsstei-
gerung gegenüber seinem Berliner Bau ist offensichtlich.
Während das Hebbeltheater im dekorativen Kunstgewerbe
stecken blieb, reifte der Zuschauerraum des Bremerhavener
Hauses zur Architektur. Es wurde wahrhaft ein Raum,
geschlossen, umfangend, einheitlich. Den Charakter des
Innenraumes verstärkt die bis zur Decke reichende Holz-
täfelung; die — genau wie beim Hebbel — blond strahlt
und funkelt. Auch für diese Farbenstimmung wird der
Architekt einen Ersatz finden müssen. Wobei freilich nicht
übersehen werden darf, daß die konsequente Verfeinerung
eines Themas für die Stilgeschichte oft mehr bedeuten
kann, als dauerndes Haschen nach neuen Motiven. Dafür

einen Beweis gibt dies Foyer; es ward zum Typus: be-
haglich, elegant und von geschmeidiger Architektonik. □
Br.
□ Pforzheim. Am 15. November wurde in Pforzheim
das neue Gebäude der Kunstgewerbeschule, ein Werk des
Regierungsrates Maier in Karlsruhe, in Gegenwart des
Großherzogs, des Ministers von und zu Bodman und zahl-
reicher Gäste eingeweiht. Das Gebäude, das seinem
Zwecke entsprechend, auf die Lichtverhältnisse besonders
glücklich Rücksicht nimmt, zeigt neuzeitliche Formen in
ruhiger Mäßigung. Es ist mit einem Kostenaufwand von
900000 Mark errichtet worden. In launiger Weise schilderte
der Herr Oberbürgermeister bei der Eröffnungsrede den
»Kompetenzkonflikt«, der sich zwischen der Regierung und
der Stadt ergeben habe, nicht etwa, weil jede im Vorder-
treffen hätte stehen wollen, sondern, weil man sich über
den Vorantritt in bezug auf das Bezahlen lange Zeit Kom-
plimente gemacht habe. Nun scheint aber auch in diesem
Punkt eine Einigung erzielt worden zu sein, die schon
lange über die Notwendigkeit des neuen Baues bestanden
hatte. Ist doch die Schule aus kleinen Anfängen schnell
zu großer Blüte gelangt, was nicht zum wenigsten der
Leitung des Direktors Alfred Waag, der der Anstalt seit
ihrer Begründung vorsteht, zu verdanken ist. Im Jahre 1877
wurde die Schule mit 2 Lehrern und 40 Schülern be-
gründet, und heute zählt sie 15 Lehrer und 350 Schüler.
Die Verdienste des Direktors und des, als Förderer ihm
zur Seite stehenden Kunstgewerbevereins wurde durch
hohe Ordensauszeichnungen an Herrn Direktor Waag und
an den Vorsitzenden des Vereins, Herrn Fabrikanten Georg
Lerch, zum Ausdruck gebracht. Mit der Eröffnungsfeier
waren verbunden eine Ausstellung der Sammlungen, die
einen guten Überblick über die Entwicklung der Bijouterie-
Industrie bot; eine Ausstellung neuer Schmuckstücke,
an der sich 77 Firmen beteiligt halten; und eine Aus-
stellung von Schülerarbeiten, über die wir in einer späteren
Nummer berichten. □
AUS DEN VEREINEN
□ Magdeburg. Kunstgewerbeverein. »Über die Erziehung
des kunstgewerblichen Nachwuchses« hielt der Direktor
der Magdeburger Kunstgewerbeschule, Professor Bosselt,
einen Vortrag in der Aula der Kunstgewerbeschule. Der
Vortragende erörterte die Tatsache, daß sich die Bestehens-
bedingungen des Kunsthandwerkers zu seinen Ungunsten
verändert haben, bewirkt durch die Industrie mit ihrer
vorzüglichen Organisation und der dabei eingetretenen
Arbeitsteilung und der Hervorrufung der Konsumtion
durch sie. Man habe aber in Deutschland jetzt auf kunst-
gewerblichem Gebiete eine Geschmacksunabhängigkeit
anderen Völkern gegenüber erreicht und damit eine ge-
wisse Überlegenheit über diese. Not tue es nun, sich
diesen Vorsprung zu sichern, und das könne nur erreicht
werden, wenn man sich die künstlerische Ausbildung des-
jenigen Nachwuchses, der die erfinderische Gabe besitze,
und die technische Vervollkommnung desjenigen, der nur
zu bilden verstehe, noch weiter angelegen sein lasse. Staat
und Stadt müßten dafür sorgen, daß die Schule auch die
technische Weiterbildung der Lehrlinge mit übernehme. Einen
sehr wesentlichen Fortschritt würde es bedeuten, wenn,
um auf dem Wege der Ausbildung des Nachwuchses
weiter zu wandeln, die kunstgewerblichen Fabrikbetriebe
ihren Zeichnern einen Künstler prästituieren. □

Für die Redaktion des Kunstgewerbeblattes verantwortlich: Fritz Hellwag, Berlin-Zehlendorf
Verlag von E. A. Seemann in Leipzig. — Druck von Ernst Hedrich Nachf., g. m. b. h. in Leipzig
 
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