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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Hellwag, Fritz: Elektrische Beleuchtung als Innenkunst: eine technische Studie
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0145

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ELEKTRISCHE BELEUCHTUNG ALS INNENKUNST

1QQ
1 Jo

erschien. In der Hochrenaissance blieb die architektonische
Raumeinteilung wohl gleich streng, doch traten die ein-
zelnen ornamentalen Wandglieder plastischer hervor. Man
belebte die Wandfläche mit Säulen und Gesimsen, ließ
Flügelausbauten und Risaliten hervorspringen. Den diffusen
Charakter des Tageslichts empfanden die damaligen Bau-
künstler schon als jene körperhaftere Gestaltung der Raum-
glieder etwas negierend und suchten deshalb den Einfall
des Tageslichtes in seiner Richtung zu beschränken, damit
sich eine stärkere Schattenwirkung ergab. Von außen
schoben sich über die Fenster große Gesimse, so daß das
Licht weniger von oben eintrat und voller von der Seite
genommen werden konnte. □
□ Im Barock vergrößerte sich die architektonische Plastik
der Innenräume bis ins Übermaß. Auch die Möbel wurden
massiver, körperhafter und dunkler gehalten und mit Pol-
stern überzogen. Portieren und Vorhänge wurden mehr
verwendet und die Textilkunst begann das glatte Schreiner-
werk zu verdrängen. Dies alles schluckte viel Licht, wie
überhaupt der Gesamteindruck der Räume düsterer und
feierlicher wurde. Um den merklichen Lichtverlust aus-
zugleichen und trotzdem den seitlichen, Schatten und
plastischen Eindruck verursachenden Lichteintritt beibe-
halten zu können, wurden die oben verhängten Fenster
zuweilen bis auf den Boden heruntergezogen. Im Innern
wurden künstliche Reflexmittel angewendet. Man legte
nicht mehr die schweren Holzdecken der Renaissance, son-
dern hielt die Decke jetzt weiß mit vielen Verzierungen
von Goldstuck, der sich auch im Rahmenwerk über die
Wände zog. Große, dem Lichteinfall gegenüberstehende
Wandspiegel halfen künstlich, den Raum heller und größer
erscheinen zu lassen. Das Tageslicht wurde also direkt
und indirekt dazu verwendet, den malerischen Eindruck, im
Gegensatz zu dem architektonischen, verstärken zu helfen,
a Das Rokoko behielt das plastisch-malerische Prinzip des
Barock bei, verlor sich aber, unter Aufgeben der strengen
Raumdisposition früherer Perioden, viel mehr ins Detail
und mußte, um dieses Detail unter logischer Beibehaltung
des scharfen Seitenlichtes zur Geltung zu bringen, die Licht-
reflektoren in Gestalt von Spiegelglas und Gold verviel-
fachen. Wenngleich die Tapeziererkunst noch mehr Ein-
fluß gewann, so mußte sie sich doch dazu bequemen,
hellere, das heißt, lichtrückstrahlende Farben, wie hellblau
und hellgrün, lila, rosa und auch weiß zu verwenden, doch
waren es meistens gemischte und gebundene Töne, also
keine reinen Lokalfarben, die viel Tageslicht erfordert
hätten. Es waren, was wohl zu beachten ist, träge und
vielfach gebrochene Lichtwellen, die in den Räumen des
Barock und besonders des Rokoko zirkulierten. □
□ Der Zopfstil (Louis seize) behielt zunächst die Beleuch-
tungsart des Rokoko bei, machte aber, in gewollter Reaktion
gegen jenen Stil, den Versuch, die Innenräume wieder
strengerund flächenhafter zu gestalten, indem er, in nicht
gerade glücklicher Weise, Glieder der äußeren Architektur
im Inneren abgeflacht und ganz körperlos wiederholte.
Hätte der Zopfstil weiter ausreifen können, wozu ihm aber
doch vielleicht die innere Kraft gefehlt hätte, so würde er
wohl konsequent dem Tageslicht wieder mehr Eintritt ver-
schafft haben. Jener Stil wurde aber ziemlich unvermittelt
vom napoleonischen Empirestil abgelöst, der das Tageslicht
wieder mehr und reiner eintreten ließ, doch ohne, wie es
die Renaissance getan hatte, ihm die Bestrahlung und Be-
lebung von kräftigen Lokaltönen zur Aufgabe zu machen.
Denn die Farbe war in den Empireräumen, deren Wände
ganz weiß gehalten wurden, beinahe verpönt. So konnte
dieser Stil auf keine Weise Wohnlichkeit erzeugen oder
die steife Kälte der nüchternen weißen Zimmer mildern.
□ Der sich in unseren Tagen erst entwickelnde, natürlich

noch namenlose und deshalb kurz als »moderner« zu be-
zeichnende Stil gestaltet die Innenräume weniger mit hervor-
tretenden Baugliedern, doch deshalb nicht minder architek-
tonisch streng; seine Hauptmittel sind vorläufig die Farbe, und
zwar in ungebrochenen, kräftigen Lokaltönen, und das Zur-
schaubieten der echten Materiale, wie zur Zeit der Renais-
sance. Da hierzu volle Wirkung von vielem, reinem Tages-
licht notwendig ist, so läßt man dieses in reichem Maße
und oft von mehreren Seiten zugleich in die Räume ein-
treten; die Lage der Wohnräume wird prinzipiell so ein-
gerichtet, daß bestes und reinstes Licht zugeführt werden
kann. n
* *
*
□ Wie steht es nun mit der künstlichen Beleuchtung der
Räume? Sie war, im Vergleich zu unserem heute sehr
ausgebildeten Lichtbedürfnis, in allen früheren Stilperioden
höchst mangelhaft! Sie wurde erzeugt aus kümmerlichen
Öllampen oder dürftigen Kerzenlichtern. Noch Goethe
pflegte mit seinen Besuchern beim Licht von zwei Kerzen
zu sitzen; heute würden wir mit einer, weniger als 20—30
fachen Lichtstärke uns mit Gästen kaum behaglich fühlen
können. Nur bei Festlichkeiten vergrößerte man die Zahl
der Kerzenlichte, die man meist an einer Stelle, nämlich
an dem Kronleuchter, vereinigte. Daß bei dieser schlechten
Beschaffenheit der künstlichen Lichtquellen sich des Abends
der Eindruck von Räumen, die man am Tage gesehen
hatte, sehr veränderte, ist selbstverständlich. Zu allen
Zeiten machte sich der Nachteil, den ich eingangs die
»Duplizität der Beleuchtung« genannt habe, stark fühlbar.
Reiche Familien hatten deshalb Räume, die sie nur am
Tage benutzten, und solche, die sich nur des Abends bei
künstlicher Beleuchtung ihren Gästen öffneten. □
□ Sollen nun in unseren Tagen diejenigen Leute, die
leider ihr besonderer Geschmack veranlaßt, immer noch
in nach alten Stilen eingerichteten Räumen und Häusern
zu wohnen, genötigt sein, damit auch die Nachteile der
früheren künstlichen Beleuchtung nachzuahmen und einzu-
tauschen? Sollen sie sich, nur um ganz »stilrein« zu bleiben,
des Abends mit einer quantitativ und qualitativ mangelhaften
Beleuchtung bescheiden? Gibt ihnen nicht vielmehr die
elektrische Beleuchtungs-Technik die Mittel an die Hand,
ihren Räumen auch Abends denselben Eindruck und die-
selbe Wirkung zu erhalten wie am Tage? Ist es überhaupt
eine Frage, daß die Architekten der Renaissance, des Barock,
des Rokoko und des Empire das getan haben würden,
wenn sie nur unsere technischen Mittel besessen hätten?
□ Schwieriger wird die Lösung der Frage, ob man mit
der Art und Stärke auch die Form der Beleuchtung in
»stilreinen« Gemächern ändern solle! Da die Architekten
jener Zeiten das elektrische Licht nicht kannten, so haben
sie selbstverständlich auch keine Beleuchtungskörper ge-
schaffen, in denen sich die Technik dieser Beleuchtungs-
art auch durch die Form ganz klar aussprechen könnte.
Will man aber ganz »stilrein« wohnen, müßte man dann
auch die aus den betreffenden Zeiten stammenden, für
andere Lichtarten geschaffenen Beleuchtungskörper, im Ori-
ginal oder in Nachbildungen verwenden? Ich will diese
Frage einmal in ästhetischer Hinsicht offen lassen*) und
nur sagen, daß es selbstverständlich technisch möglich ist
und auch sehr oft durchgeführt wird, die alten Beleuch-
tungskörper mit der neuen, elektrischen Lichtart zu ver-
sehen. Da aber jene meist für Kerzenlicht berechnet waren,
so mußte man (wenn man konsequent bleiben wollte) die

□ *) Der Lieferant von Beleuchtungskörpern ist oft in
einer üblen Lage. Da er erst zu allerletzt gefragt wird,
so ist er genötigt, sich der vom Architekten gewählten
»Stilart« der Innenräume anzupassen. □
 
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