KUNSTGEWERBLICHE RUNDSCHAU
160
keine Kunst, aber das Blau ist die Farbe, die der Tapete
den Toncharakter gibt, und in der Papierfärberei herrschen
die unechten Farbstoffe noch so vor, daß fast alle gefärbten
Papiere sehr mangelhaft lichtecht sind. a
□ Es ist zu hoffen, daß solche Machenschaften so kurze
Beine haben, wie die Lügen, denn es wäre sehr zu be-
dauern, wenn das Publikum, bei dem eben der Sinn für
das Echte und Flaltbare zu erwachen beginnt, durch solche
unreelle Schmarotzereien wieder mißtrauisch gemacht würde.
P. Krais
□ Berlin. Über »Kunstgewerbe und Architektur in ihrer
Bedeutung für die Volkskultur und Volkswirtschaft« sprach
vor einiger Zeit Geheimrat Dr. ing. Hermann Muthesius
auf Anregung der Freien Studentenschaften an der Universität
und Technischen Hochschule in Berlin. Der kurze Inhalt
des Vortrags war etwa folgender: »Wir empfinden mehr
oder weniger deutlich, daß der Kunst kulturelle und wirt-
schaftliche Werte innewohnen, jedoch sind diese Beziehungen
noch wenig wissenschaftlich durchdacht worden. Es kommt
darauf an, jenen Einfluß der Kunst auf die menschliche
Seele zu erforschen, welchen wir Stimmung nennen und
der unser Erwerbsleben indirekt fördern kann. □
o Es ist dies vor allem jener Einfluß des Rhythmus, als
Urform aller Kunst, bei der menschlichen Arbeit. Wir
beobachten denselben etwa beim Gesang der spinnenden
Frauen, auch überall dort, wo durch gleichförmige Wieder-
kehr von Tönen oder Formen regelnd und ordnend ein-
gegriffen wird. Am deutlichsten zeigt dies neben der
Musik die Architektur im weiteren Sinne, welche ja, wie
uns die Vergangenheit lehrt, unsere ganze Welt der Er-
scheinung beherrschen kann. Wir besitzen zwar einerseits
eine hochentwickelte Fähigkeit in der Anwendung der
reinen Nützlichkeit, aber andererseits führt unsere Massen-
produktion zur Unsolidität und Verschleuderung der Roh-
stoffe. Frühere Zeiten arbeiteten neben der einfachen
Nützlichkeit auch auf eine vollkommene Formgebung hin
und verliehen somit den Gegenständen auch geistigen
Wert. Wir können nun in der Geschichte beobachten,
daß dieser Zustand für die Volkswirtschaft und innere
Kultur eines Volkes von außerordentlicher Bedeutung ist.
ln einem Teil unseres Volkes zeigt sich auch das Bestreben,
diesen Vorteil wieder zu erlangen, denn die Vernachläs-
sigung eines so wichtigen Teiles der Lebensbetätigung
kann nicht dauernd übersehen werden. Um die zweite
Hälfte des vergangenen Jahrhunderts tritt uns diese Ein-
seitigkeit am deutlichsten entgegen. Die alte Kultur war
endgültig verloren gegangen, eine neue hatte sich noch
nicht wieder entwickeln können. Erst in den letzten Jahr-
zehnten ist eine neue starke Bewegung auf allen Gebieten
des geistigen Lebens eingetreten, besonders fühlbar im
Kunstgewerbe und der Architektur. Aber diese Bewegung
hat sich noch nicht genügend durchsetzen können und das
Streben nach Qualitätsleistungen ist noch nicht deutlich
genug in seiner außerordentlichen Wichtigkeit für das
Wirtschaftsleben unseres Vaterlandes erkannt worden.
Deutschland ist durch seine eingeengte Lage und seinen
Mangel an natürlichen Rohstoffen allein auf die vorzügliche
Leistung angewiesen und vermag nur dadurch, daß es
Qualitätsarbeit auf den Weltmarkt bringt, in aussichtsreiche
Konkurrenz zu treten. Diese vorzügliche Leistung wird
aber nicht nur in der technischen Vollkommenheit zu
suchen sein, sondern ebenso in der künstlerischen Voll-
endung der äußeren Form. Die Architektur ist berufen,
diese wichtige Arbeit zu leisten und kann so gleichzeitig
die geistigen und wirtschaftlichen Kräfte des Volkes gleich-
zeitig fördern.« °
a Karlsruhe. Der Karlsruher Stadterweiterungsplan von
Karl Moser. Die Karlsruher Stadtverwaltung beschäftigt
sich zurzeit mit einer großen, für die wirtschaftliche wie
für die künstlerische Entwicklung von Karlsruhe gleich
wichtigen Aufgabe der Stadterweiterung. Durch die Ver-
legung des Karlsruher Hauptbahnhofs in den Süden des
städtischen Weichbilds wird ein großes Baugelände frei
werden, das sich vom ehemaligen Ettlinger Tor (an der
Kreuzung der Karl-Friedrich-Straße mit der Kriegstraße)
nach Süden bis zur Festhalle und nach Osten bis über
den alten Bahnhof hinaus ausdehnen wird. Durch die Be-
bauung dieses Geländes wird mit der Zeit ein großer
Stadtteil neu entstehen, durch den der wirtschaftliche
Schwerpunkt der Stadt eine eingreifende Verschiebung er-
fahren wird. □
□ Gleichzeitig stehen Staat und Stadt vor einer Reihe
großer Bauaufgaben. So wird die Stadt eine Ausstellungs-
halle und ein Sommertheater mit Konzertsaal errichten
lassen; für diese Bauten haben Curjel und Moser die
Pläne schon entworfen und es soll mit der Ausführung
gleich nach dem Freiwerden der Bauplätze begonnen
werden. Zu den staatlichen Gebäuden, deren Erbauung
in nächster Zeit bevorsteht, gehören vor allem ein Neubau
für das Landesgewerbeamt und eine Erweiterung des
Landesmuseums. □
□ In dem Zusammentreffen dieser verschiedenen Aufgaben
hat die Stadtverwaltung den glücklichen Fingerzeig erkannt,
wie die Frage der Stadterweiterung in einem großen, so-
wohl den wirtschaftlichen wie den künstlerischen Interessen
der Stadtentwicklung förderlichen Sinne gelöst werden kann.
Wirtschaftlich handelt es sich vor allem darum, den neuen
Stadtteil möglichst bald zu einem wichtigen Verkehrszentrum
zu machen und ihn damit der jetzigen Hauptverkehrsader
der Stadt, die sich durch die Karl-Friedrich-Straße nach der
Kaiserstraße zieht, organisch anzugliedern. Künstlerisch
handelt es sich um eine architektonisch bedeutende und
einheitliche Bebauung des Geländes; es soll damit der
Hauptfehler vermieden werden, an dem die architektonische
Entwicklung von Karlsruhe in den letzten fünfzig Jahren
gelitten hat: die Zerstückelung der großen Bauaufgaben.
Vor allem kommt es darauf an, daß deshalb die großen
öffentlichen Neubauten räumlich zusammengelegt werden
und für die monumentale und einheitliche Ausgestaltung
des neuen Stadtteils damit die festen Stützpunkte geben.
Das letzte großartige Beispiel einer derartigen einheitlichen
Stadterweiterung waren die von Friedrich Weinbrenner
erbauten Teile der Altstadt gewesen; der neue Stadtteil,
der die Weinbrennerstadt räumlich fortsetzen wird, soll
damit auch künstlerisch eine würdige, vom gleichen Geiste
getragene Fortsetzung werden. °
□ Zu diesem Zweck war es vor allem nötig, daß Staat
und Stadt diesmal gemeinsam handelten und ihre Neu-
bauten nach einem möglichst einheitlichen Plane der Be-
bauung des neuen Stadtteils zuwandten. Die neuen Staats-
gebäude werden also zusammen mit den städtischen Neu-
bauten den Kern des neuen Stadtteils bilden. Ebenso
nötig ist es aber, daß auch die Privatbauten, die mit der
Zeit auf den freiwerdenden Bauplätzen, namentlich auf
dem Boden des alten Bahnhofs, entstehen werden, sich
dem künstlerischen Plan der Stadterweiterung einfügen.
Um hierfür von vornherein eine sichere Gewähr zu er-
halten, haben die Behörden deshalb von Professor Karl
Moser einen Bebauungsplan fiir den neuen Stadtteil aus-
arbeiten lassen. Dieser gibt nicht nur für die Straßen- und
Plätzegestaltung, sondern auch für die Bauweise der Ge-
bäude selbst eine feste Grundlage. Durch die in den
Modellen des Moserschen Plans festgelegten Normen
sollen die Architekten, die künftighin die einzelnen öffent-
160
keine Kunst, aber das Blau ist die Farbe, die der Tapete
den Toncharakter gibt, und in der Papierfärberei herrschen
die unechten Farbstoffe noch so vor, daß fast alle gefärbten
Papiere sehr mangelhaft lichtecht sind. a
□ Es ist zu hoffen, daß solche Machenschaften so kurze
Beine haben, wie die Lügen, denn es wäre sehr zu be-
dauern, wenn das Publikum, bei dem eben der Sinn für
das Echte und Flaltbare zu erwachen beginnt, durch solche
unreelle Schmarotzereien wieder mißtrauisch gemacht würde.
P. Krais
□ Berlin. Über »Kunstgewerbe und Architektur in ihrer
Bedeutung für die Volkskultur und Volkswirtschaft« sprach
vor einiger Zeit Geheimrat Dr. ing. Hermann Muthesius
auf Anregung der Freien Studentenschaften an der Universität
und Technischen Hochschule in Berlin. Der kurze Inhalt
des Vortrags war etwa folgender: »Wir empfinden mehr
oder weniger deutlich, daß der Kunst kulturelle und wirt-
schaftliche Werte innewohnen, jedoch sind diese Beziehungen
noch wenig wissenschaftlich durchdacht worden. Es kommt
darauf an, jenen Einfluß der Kunst auf die menschliche
Seele zu erforschen, welchen wir Stimmung nennen und
der unser Erwerbsleben indirekt fördern kann. □
o Es ist dies vor allem jener Einfluß des Rhythmus, als
Urform aller Kunst, bei der menschlichen Arbeit. Wir
beobachten denselben etwa beim Gesang der spinnenden
Frauen, auch überall dort, wo durch gleichförmige Wieder-
kehr von Tönen oder Formen regelnd und ordnend ein-
gegriffen wird. Am deutlichsten zeigt dies neben der
Musik die Architektur im weiteren Sinne, welche ja, wie
uns die Vergangenheit lehrt, unsere ganze Welt der Er-
scheinung beherrschen kann. Wir besitzen zwar einerseits
eine hochentwickelte Fähigkeit in der Anwendung der
reinen Nützlichkeit, aber andererseits führt unsere Massen-
produktion zur Unsolidität und Verschleuderung der Roh-
stoffe. Frühere Zeiten arbeiteten neben der einfachen
Nützlichkeit auch auf eine vollkommene Formgebung hin
und verliehen somit den Gegenständen auch geistigen
Wert. Wir können nun in der Geschichte beobachten,
daß dieser Zustand für die Volkswirtschaft und innere
Kultur eines Volkes von außerordentlicher Bedeutung ist.
ln einem Teil unseres Volkes zeigt sich auch das Bestreben,
diesen Vorteil wieder zu erlangen, denn die Vernachläs-
sigung eines so wichtigen Teiles der Lebensbetätigung
kann nicht dauernd übersehen werden. Um die zweite
Hälfte des vergangenen Jahrhunderts tritt uns diese Ein-
seitigkeit am deutlichsten entgegen. Die alte Kultur war
endgültig verloren gegangen, eine neue hatte sich noch
nicht wieder entwickeln können. Erst in den letzten Jahr-
zehnten ist eine neue starke Bewegung auf allen Gebieten
des geistigen Lebens eingetreten, besonders fühlbar im
Kunstgewerbe und der Architektur. Aber diese Bewegung
hat sich noch nicht genügend durchsetzen können und das
Streben nach Qualitätsleistungen ist noch nicht deutlich
genug in seiner außerordentlichen Wichtigkeit für das
Wirtschaftsleben unseres Vaterlandes erkannt worden.
Deutschland ist durch seine eingeengte Lage und seinen
Mangel an natürlichen Rohstoffen allein auf die vorzügliche
Leistung angewiesen und vermag nur dadurch, daß es
Qualitätsarbeit auf den Weltmarkt bringt, in aussichtsreiche
Konkurrenz zu treten. Diese vorzügliche Leistung wird
aber nicht nur in der technischen Vollkommenheit zu
suchen sein, sondern ebenso in der künstlerischen Voll-
endung der äußeren Form. Die Architektur ist berufen,
diese wichtige Arbeit zu leisten und kann so gleichzeitig
die geistigen und wirtschaftlichen Kräfte des Volkes gleich-
zeitig fördern.« °
a Karlsruhe. Der Karlsruher Stadterweiterungsplan von
Karl Moser. Die Karlsruher Stadtverwaltung beschäftigt
sich zurzeit mit einer großen, für die wirtschaftliche wie
für die künstlerische Entwicklung von Karlsruhe gleich
wichtigen Aufgabe der Stadterweiterung. Durch die Ver-
legung des Karlsruher Hauptbahnhofs in den Süden des
städtischen Weichbilds wird ein großes Baugelände frei
werden, das sich vom ehemaligen Ettlinger Tor (an der
Kreuzung der Karl-Friedrich-Straße mit der Kriegstraße)
nach Süden bis zur Festhalle und nach Osten bis über
den alten Bahnhof hinaus ausdehnen wird. Durch die Be-
bauung dieses Geländes wird mit der Zeit ein großer
Stadtteil neu entstehen, durch den der wirtschaftliche
Schwerpunkt der Stadt eine eingreifende Verschiebung er-
fahren wird. □
□ Gleichzeitig stehen Staat und Stadt vor einer Reihe
großer Bauaufgaben. So wird die Stadt eine Ausstellungs-
halle und ein Sommertheater mit Konzertsaal errichten
lassen; für diese Bauten haben Curjel und Moser die
Pläne schon entworfen und es soll mit der Ausführung
gleich nach dem Freiwerden der Bauplätze begonnen
werden. Zu den staatlichen Gebäuden, deren Erbauung
in nächster Zeit bevorsteht, gehören vor allem ein Neubau
für das Landesgewerbeamt und eine Erweiterung des
Landesmuseums. □
□ In dem Zusammentreffen dieser verschiedenen Aufgaben
hat die Stadtverwaltung den glücklichen Fingerzeig erkannt,
wie die Frage der Stadterweiterung in einem großen, so-
wohl den wirtschaftlichen wie den künstlerischen Interessen
der Stadtentwicklung förderlichen Sinne gelöst werden kann.
Wirtschaftlich handelt es sich vor allem darum, den neuen
Stadtteil möglichst bald zu einem wichtigen Verkehrszentrum
zu machen und ihn damit der jetzigen Hauptverkehrsader
der Stadt, die sich durch die Karl-Friedrich-Straße nach der
Kaiserstraße zieht, organisch anzugliedern. Künstlerisch
handelt es sich um eine architektonisch bedeutende und
einheitliche Bebauung des Geländes; es soll damit der
Hauptfehler vermieden werden, an dem die architektonische
Entwicklung von Karlsruhe in den letzten fünfzig Jahren
gelitten hat: die Zerstückelung der großen Bauaufgaben.
Vor allem kommt es darauf an, daß deshalb die großen
öffentlichen Neubauten räumlich zusammengelegt werden
und für die monumentale und einheitliche Ausgestaltung
des neuen Stadtteils damit die festen Stützpunkte geben.
Das letzte großartige Beispiel einer derartigen einheitlichen
Stadterweiterung waren die von Friedrich Weinbrenner
erbauten Teile der Altstadt gewesen; der neue Stadtteil,
der die Weinbrennerstadt räumlich fortsetzen wird, soll
damit auch künstlerisch eine würdige, vom gleichen Geiste
getragene Fortsetzung werden. °
□ Zu diesem Zweck war es vor allem nötig, daß Staat
und Stadt diesmal gemeinsam handelten und ihre Neu-
bauten nach einem möglichst einheitlichen Plane der Be-
bauung des neuen Stadtteils zuwandten. Die neuen Staats-
gebäude werden also zusammen mit den städtischen Neu-
bauten den Kern des neuen Stadtteils bilden. Ebenso
nötig ist es aber, daß auch die Privatbauten, die mit der
Zeit auf den freiwerdenden Bauplätzen, namentlich auf
dem Boden des alten Bahnhofs, entstehen werden, sich
dem künstlerischen Plan der Stadterweiterung einfügen.
Um hierfür von vornherein eine sichere Gewähr zu er-
halten, haben die Behörden deshalb von Professor Karl
Moser einen Bebauungsplan fiir den neuen Stadtteil aus-
arbeiten lassen. Dieser gibt nicht nur für die Straßen- und
Plätzegestaltung, sondern auch für die Bauweise der Ge-
bäude selbst eine feste Grundlage. Durch die in den
Modellen des Moserschen Plans festgelegten Normen
sollen die Architekten, die künftighin die einzelnen öffent-