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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Rauecker, Bruno: Die kunstgewerbliche Erziehung in London und ihr Einfluss auf die ökonomische Struktur des Londoner Kunstgewerbes: ein wirtschaftsästhetisches Problem
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https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0206

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DIE KUNSTGEWERBLICHE ERZIEHUNG IN LONDON

199


H. Zimmermann: Plakette Julius Spohn
in Bronze ausgeführt von Wilh. Mayer & Frz. Wilhelm, Stuttgart

selbst entwickelten Industrie. Es genügt für uns,
hier Tendenz und Entwicklung der Hauptschule
kennen zu lernen. n
□ Die Central School of Arts and Crafts wurde
1896 gegründet mit dem ausdrücklichen Ziele:
»Unterricht zu erteilen in den Zweigen des Zeich-
nens und der Handfertigkeit, die mit den Ge-
werben in Verbindung stehen, die sich mehr der
künstlerischen Seite zuwenden. Der Zutritt zu
ihr ist in der Regel nur solchen gestattet, die sich
tatsächlich mit einem Handwerk befassen oder
befaßt haben. Und ihre Absicht ist die Lehrjahre
zu vertiefen und keinesfalls zu ersetzen. Und
zwar will sie dabei die Möglichkeit schaffen, die
Arbeitsteilung, zu der die moderne Produktionsweise
zwingt, in ihren Mauern auszuschalten«.. □
□ Als programmatische Ergänzung dieses Mottos
sagte der langjährige Sekretär zu mir, als ich die
Schule besuchte: »Einmal wird eine Zeit kommen
— und wir alle hoffen bald —, in der die öko-
nomischen Bedingungen unserer Produktion, die
dem Kunstgewerbe von Grund auf feindlich sind,
sich verändern werden. Unter dieser Umwand-
lung wird es möglich sein zur Handarbeit zurück-
zukehren. Wir wissen wohl, daß das noch eine
Zeitlang dauern wird. Aber solange diese ver-
wünschten wirtschaftlichen Bedingungen nicht
geschaffen sind, ist es wenigstens unsere Pflicht,
einen Grundstamm von Arbeitskräften zu erziehen,
aus denen sich das spätere, neue Handwerkertum
wiederholen soll«. a
n Es wird interessant sein, zuzusehen, wie sich
die praktischen Leistungen der Schule zu diesem
Ideal verhalten. □
□ Einmal ist selbstverständlich, daß — in ihrem
großen Einfluß — die »Gesellschaft zur Veranstal-
tung von Kunstgewerbeausstellungen (Arts and
Crafts Exhibition Society)« die wichtigsten Lehrer-
stellen der Schule mit Persönlichkeiten besetzt,
die dem Ideenkreis ihrer Körperschaft nahestehen.
So daß als Lehrer an der Schule Leute wirken,
die hervorragende Kunsthandwerker, ehrenvolle
und tüchtige Zunftmeister darstellen, aber von den wirt-
schaftlichen Grundtatsachen der Zeit, in der wir leben,
aufs Haar soviel verstehen als der Reichskanzler oder ich
vom Wettermachen. Der Einfluß dieser Lehrkräfte ist
allerdings in der letzten Zeit etwas gedämpft worden durch
folgende »Beratungsstellen«, die das London County
Council den jeweiligen Klassen angegliedert hat: □
□ 1. Vertreter des Magistrats selbst; 2. einen Ausschuß
der Meistervereinigungen; 3. einen ebensolchen der Ar-
beitervereinigungen des betreffenden Gewerbes, meistens
der Trade Unions. □
□ Da ist es nun wiederum interessant zu sehen, daß nur
die nüchtern denkenden Gewerkschaften ihren Einfluß in
die Richtung der Einführung moderner Produktionsweisen
im Unterricht legen und ihr Interesse dem Erziehungsideal
derselben, — dem die Meister huldigen, weil sie Hand-
arbeiter, die nicht arbeitsteilig sind, vorerst noch brauchen —,
versagen. °
n Unter ihrem Drucke sind in den Klassen des Buchdruckes
wie der Buchbinderei neuerdings Umgestaltungen der Hand-
pressen usw. in elektrisch betriebene Maschinen vorge-
nommen werden.— Immerhin aber konnte mir ein Rundgang
durch die Schule keine einzige Holzbearbeitungsmaschine
in der Möbelabteilung, keine einzige Presse oder Stampfe
in der Gold- oder Silberschmiede aufzeigen. □
□ Wie wenig der Einfluß der Gewerkschaften Boden

gewonnen hat, zeigt sich ferner in folgendem: o
□ Zur Aufmunterung und Regeneration der »alten, schönen
Kunst des Handwebens« fand ich die Ankündigung einer
368 Seiten starken literarischen Bemühung um den Hand-
webestuhl offiziell in der Schule verbreitet. Ähnliche Bücher
wurden anempfohlen für die Beflissenen des Glasmalens, der
Buchbinderei, der Silberschmiedekunst, des Holzschnitzens
und der Holzbildhauerei, des Buchdrucks und derlllustration;
alle sind nicht unter 400 Seiten stark und alle Psalmen-
bücher der »einzig möglichen Handarbeit«. □
□ Die Klagen der Kunstindustrie über diese Art Schulen
habe ich schon im Vorhergehenden aufgewiesen: Auch
diese, auf ihre Weise gewiß ihr Bestes einsetzenden In-
stitute liefern keine brauchbaren Arbeiter für sie, auch sie
entgehen dem Vorwurf nicht, abseits von den Gewerben,
denen sie dienen sollen, zu stehen und durch ihre theo-
rethische Lehrweise den Schülern unbrauchbar zu machen
für die Praxis. Wiederum ein Beweis für die These, daß
eben gewerbliche Erziehung in Schulräumen überhaupt
nicht in ausreichendem Maße gegeben werden kann, eine
Rechtfertigung für die auch in England immer dringlicher
werdende Forderung nach Lehrwerkstätten im Zusammen-
hang mit den Industrien. □
□ Auch hier zeigt es sich, welch ungeheure Kulturarbeit mit
dem Lehrwerkstättensystem der »Deutschen Werkstätten«
in Dresden inauguriert worden ist. Aber diese Kulturarbeit
 
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