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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 23.1912

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Rauecker, Bruno: Die kunstgewerbliche Erziehung in London und ihr Einfluss auf die ökonomische Struktur des Londoner Kunstgewerbes: ein wirtschaftsästhetisches Problem
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.4421#0205

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198

DIE KUNSTGEWERBLICHE ERZIEHUNG IN LONDON

industrie zur Aufnahme solcher Arbeitskräfte greifen kann.
□ Die Frage erhebt sich: Wenn dem so ist, wenn Eng-
land tatsächlich seine Kunstindustrie und damit den (zu-
künftig wenigstens) wichtigsten Faktor des kunstgewerb-
lichen Marktes mit fremden Zeichnern versorgen muß,
warum geschieht von einsichtiger Seite, warum vor allem
vom Unterrichtsministerium, dem Board of Education nichts
für eine Ummodlung des gesamten kunstgewerblichen
Unterrichtswesens? °
□ Die Antwort liegt, meiner Ansicht nach, in folgenden
Punkten einbegriffen: °
□ 1. In der Zeit der stärksten Entwicklung der praktisch
kunstgewerblichen Erziehung, d. h. vom Jahre 1900 ab bis
heute sind als Referenten für kunstgewerbliche Erziehung
im Unterrichtsministerium Leute angegliedert gewesen, die
teils wissenschaftlich vorgebildet waren (»men of Science«),
teils aus der Elementarschulpraxis herübergenommen wurden.
Die mochten nun ganz ausgezeichnete Verwaltungsbeamte
sein — Männer der Praxis in Dingen der kunstgewerblichen
Erziehung waren sie sicher nicht. Ja vielleicht wünschten

sie nicht einmal der kunstgewerblichen Erziehung einen
sonderlichen Plan zu geben in der verzweifelten Einsicht,
die sich in einem Blaubuch über das Royal College aus-
spricht: »Wären selbst alle Mängel der Kunsterziehung
beseitigt, so besteht doch nicht die Wahrscheinlichkeit, daß
eine Geschmacksänderung vor sich gehen würde. Der
Geschmack des Produzenten, des Konsumenten und des
Händlers [in England] will eben keine schönen Dinge.
Und als ich auf dem Board of Education einen der verant-
wortlichen Herren auf die volkswirtschaftlichen Schäden
der Vernachlässigung einer kunstgewerblichen Erziehung
aufmerksam machte, sagte er behaglich: »Was wollen Sie:
wenn der Produzent mit seinem bisherigen Produkt Ge-
schäfte macht, können Sie ihn zwingen, geschmackvoller
zu produzieren? Unsere Engländer wollen haltbare Ware.
Um den ,Schönheitswert' kümmern sie sich den Teufel«,
n Doch diese verantwortlichen Herren im Ministerium
haben n
□ 2. ihren Council of Art, ihren Kunstrat zur Seite. □
□ Dieser setzt sich zusammen aus einem Maler, einem
Bildhauer, einem Architekten und einem
Zeichner, die mit der angewandten Kunst in
Fühlung stehen. Dieser Council of Art ist
zugleich beratende Körperschaft des Royal
College of Art und diesem seit 1900 ange-
gliedert. Ihm, wie mir scheint, ist vor allem
die Schuld zuzuschieben, wenn die Gewerbe-
klassen der Schule in weltfremden Idealen
heranwuchsen. — Und wer sind diese Herren
des Council of Art? Mitglieder der Arts
and Crafts Exhibition Society, der »Gesell-
schaft zur Veranstaltung von Kunstgewerbe-
ausstellungen«, deren Tendenzen ich im
Februarheft dieser Zeitschrift schilderte. —
Sie selbst, beseelt mit mittelalterlichen Idealen,
ohne gründliche Kenntnisse der wirtschaft-
lichen Erfordernisse der Gegenwart halten
dafür, daß eben eine kunstgewerbliche Er-
ziehung am Handwebestuhl, am Stickrahmen,
mit Hammer und Ambos, mit der Töpfer-
scheibe und dem Malpinsel geschehen müsse,
wie einstmals in »the dear old time«. Und
nicht mit der Webemaschine und nicht mit
der Gußschablone und dem Überdruck. So
denken sie und so sprechen sie zu den Schü-
lern, denen sie bei Gelegenheit Vorlesungen
halten und auch zu den Lehrern, die gerne
am College was Guts in Ruhe schmausen
wollen. □
□ Und so wird gearbeitet am Royal College
of Art, der ersten und bedeutendsten Schule
für kunstgewerbliche Erziehung in England
— nach der Absicht ihrer Gründer! □
□ Ich möchte nun noch kurz die Kunst-
gewerbeschulen des London County Council,
der Stadt London einer kurzen Betrachtung
unterziehen. □
□ Auch diese Arts and Crafts Schools (Kunst-
und Gewerbeschulen — das Wort ist erst
durch Cobden-Sanderson geprägt und Mitte
der achtziger Jahre in London in Umlauf ge-
kommen) sind unter der Ägide der »Gesell-
schaft zur Veranstaltung von Kunstgewerbe-
ausstellungen« gegründet worden und zeigen
deren Tendenzen in genau dem rückwirken-
den Einfluß wie das Royal College of Art.
□ Solcher Schulen gibt es vier, in den ver-
schiedenen Stadtteilen entsprechend der dort-


H. Zimmermann, Stuttgart: Gedenkstein für das Wiirttembergische Königspaar,
in Bronze ausgeführt von Willi. Mayer & Frz. Wilhelm, Stuttgart
 
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