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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1920)
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Bonus, Arthur: Weltreligion
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0027

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Wenn ich recht sehe, zunächst keine Reaktion gegen das Vorschreiten. Eher
das Gegenteil: eine Äberstürzung, Abereilung. Eine Äberschärfnng der
Iuknnftzuspitzung des Vorwärtsdrangs. Das, was Iesus gemeint haben
mag, als er warnend sprach: „Von den Tagen Iohannes des Täufers
bis hierher leidet das Himmelreich Gewalt, und die Gewalt tun, die reißen
es an sich? Wörtlicher: „wird das Reich der Himmel gestürmt und die
Stürmer reißen es an sich" Man hat begriffen (und das ist die erste
Erkenntnis jeder höheren Religion!), daß das Endziel seinen Schwer-
punkt im Seelisch-Innerlichen hat, — und nimmt es daraufhtn zu nah.
Man nimmt an, daß man es erzwingen könne. So wird der Leib zermartert,
um ihu unmittelbar in Seele und Gottheit überzuführen. Es gerät
dadurch die Seele in die Gefahr, ihre Beziehungen zur Amwelt und
Außenwelt ganz zu verlieren, statt sie gerade in freie Gewalt zu bekommen.
Wo mit dieser Entwicklungsphase eine starke geschichtliche Ermüdung zu-
sammentrifft, da wird diese Gefahr zur Wirklichkeit. So geschieht es
in dem Indien, das in den fortwährenden Bruderkämpfen, von welchen
das Mahbharatam erzählt,* müdgekämpft ist, während das Abendland
durch diesc Weltflüchtigkeitsphase nur wie durch ein Stahlbad hindurch-
gegangen ist zu neuem Aufstieg.

^vrir erhalten also nun das folgende Bild: Der Sturm und Drang, in
^^dem ein Volk zur Geschichte erwacht, bezieht sich vou vornherein auf ein
anderes, höheres Leben als das irdische. Wie das denn die lnythischen
Träume in Bildern ausdichten, die je nach der erreichten Entwicklungsstufe
grobstofflicher oder seelisch durchgefühlter sind. Es wird zunächst sehr äußer-
lich zu verwirklicheu gesucht. Krieger werfen sich auf als Söhne, Lieblinge,
Vertreter der Gottheit und suchen ihr Reich durch Auterwerfung der
Amvölker auszudehnen.

Gewöhnlich erst, wenn der Wille der Völker sich an äußeren Hindernissen
zu brechen ansängt, beginnt er ins Innere zurückzuschlagen und dort den
Hebel für dte Neuschaffung der Welt zu entdecken. Ie mehr er daun in
sich selbst das Stück Wirklichkeit findet, für dessen Amarbeitung er am ersten
verantwortlich ist, desto wichtiger, ernster, wirklicher werden ihm die Größen
des inneren Lebens werden.

Diese Aberzeugung von der schließlich allein wichtigen inneren Wirklich-
keit und davon, daß alles Außere genau nur in dem Maße wichtig, ja
wirklich ist, als es in klarer fördernder Beziehung zu jenem Inneren steht,
— diese Aberzeugung und das Leben aus ihr nennen wir Mystik.

Ist die geschichtliche Not, in welcher tieferes und kräftigeres, eben
„mystisches' religiöses Leben erst zu entstehen pflegt, sehr stark, so daß eine
Auswirkung ins Volksganze, wie fie zur Gesund- und Kräftighaltung des
inneren Lebens als nötig erscheint, völlig und dausrnd abgeschnitten wird,
oder auch: weudet aus anderen Gründen die religiöse Leidenschaft ihre
Glut restlos nach innen, so entsteht diejenige Richtung der Mystik, an
welcher der Name im besonderen haften geblieben ist, die Versenkung in eine
rein ruhend empfundene Gottheit.

Ein Bolk aufsteigenden Wollens kann auch diese ruhende „quietistische
Mystik" unbesorgt in sich pflegen. Es werden immer Kräfte in ihm wach

* Vgl. die schöne Auswahlübersetzung in Adolf Holtzmanns Indischer Sage,
neuherausgegeben von M. Wintcrnitz, oder auch die Prosauacherzählung von
Essigmann.
 
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