Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 4 (Januarheft 1921)
DOI Artikel:
Vom Heute fürs Morgen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0259

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Vom tzeute fürs Morgen

Dte an dee Zeitung leiden

er ist das? Die sind es, die unsre
Tagespresse zu ernst nehmen.

Was die Zeitung - Schreiber be-
trifft: in den meisten Redaktionen geht
es für den Blick des schnellfertigen Be-
suchers kaum allzu ernsthaft zu. Zwar
debattiert wird da viel und nach Lem-
perament, Bildungsgrad und Lharak-
ter auf sehr verschiedene Weise, tief-
bohrend oder oberflächlich, feurig oder
müde, pathetisch oder ironisch. Doch
weitz jeder, erstens: was morgen von
dir „drinsteht", das kann übermorgen
korrigiert werden; und, zweitens: in
letzter Instanz entscheidet über „unsre"
Haltung ja doch der Verlag oder sonst
„der Ober". Man sollte die Männer
nicht „verdammen", die imterm Zwang
des regierenden Kapitals trotzdem bei
der Presse bleiben und sie so gut ge-
stalten, wie ihnen das eben möglich
ist. Äber freilich: der Einfluß des
Geldgebers auf die Presse ist etwas,
worunter am allermeisten von Nedak-
tionen gelitten wird — bis zu schwerer
Tragik gelitten wird. Wenn es trotz-
dem in den Redaktionen oft scheinbar
heiter zugeht, so hilft dabei ein Zuschuß
Galgenhumor.

Aber an die andre Gruppe der Lei-
denden denken die Redaktöre zu wenig,
an die Leser, die an der Zeitung
leiden. Aller Publizisten Fluch ist
das Mißverständnis. Wenn man
wenigstens ahnte, wo eines Anfug
treibt, oft aber geschieht es selbst mir
Altem, daß mich erst das Wort eines
Lesers zu der Erkenntnis bringt: hier
hast du vergessen, daß eine Schreibe
keine Rede ist, der Lonfall und Ge-
bärde hilft. Und das kommt hinzu:
die Leser kennen die Zimmerluft der
Redaktionsstube nicht, die mit stillen
Vorbehalten geschwängert zu sein
pflegt, wie mit Zigarettenrauch. Die
Leser nehmen alles, was der Zei-
tungsmann sagt, ernst, wie ein letztes
Bekenntnis, sie merken meist nicht ein-
mal, daß ja diese selbe Zeitung vor-
gestern über denselben Fall milder und
vor einem Iahre vielleicht „anders
herum" geschrieben hat. Möglich, zum
Beispiel, daß sie an eine Todfeindschaft

des Redaktörs gegen einen laut seiner
Aufsätze hassenswerten politischen Geg-
ner glauben, während die beiden gerade
ihre Meinungsverschiedenheiten in
Freundschaft und Behagen besprechen.

Das ist wohl das Meistverwirrende
in uusern Zeitungen: das Mar-
kieren von Feindschaft. Wir
haben weit gelesene, auch in man-
chem hochwertige, im Grunde wohl
auch anständige Blätter, deren Lei-
ter und Schreiber, scheint's, immer
noch vermeinen: man könne ohne
das demagogische Hetzen im poli-
tischen Kampf eben nicht bestehn. Da
sind die Regierungen seit zwei Iah-
ren stets nur „sogenannte", da ist
die Gegenpartei immer entweder grund-
dumm oder moralisch schlecht, und min-
destens wird iu jedem Leitartikel und
Parlamentsbericht mit dem Anschein
einer Aberlegenheit kritisiert, als
schwebe der tzerr Verfasser wie ein
Adler über Spatzen. All das Fresko-
malen im Monumental-, all das Ge-
pinsel im Salon- und all das Gestrichel
im Witzblattstil bestimmt nun aber im
suggestiven Leser ein Bild vom deut -
schen Volke, das er für sein Bild
hält. Es ist natürlich ein widerwär-
tiges Bild. Ia: er bekommt so ein
Ekelbild von diesem Volke, das trotz
all seiner Schwächen und Fehler, sei-
ner Torheiten und Erkrankungen doch
schließlich sich vier Iahre gegen die
Waffen, die Produktion, die Hunger-
sperre der Völker der halben Erde ge-
halten und auch nach dem Zusam-
menbruche noch bis jetzt sich vor
dem Bolschewismus bewahrt hat.
Wann würde den Lesern in solchen
Blättern ein Bild von seiner Stärke
gezeigt, wann etwas von dem Tüch-
tigen, das denn doch in jeder
Partei bei Ungezählten noch lebt
und wirkt? Politisch genommen ist
die Haltung solcher Blätter, die wir auch
in allen Parteien haben, Wahnsinn,
weil sie immer wieder das Wichtigste
sabotiert: den Verbündungswillen. Auf
ihre gläubigen Leser und Leserinnen
wirken sie aber noch anders. Ihnen
nimmt dieses Verfahren den Glauben
an ihr Volk, damit die Liebe zu

226
 
Annotationen