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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

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Heft 4 (Januarheft 1921)
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Schumann, Wolfgang: Anna Croissant-Rust
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Croissant-Rust, Anna: Der Federbuschhansei
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0238

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kindes, das aus einem wildwüsten Vaterhaus über hundert Fährnisse
hinweg krastvoll seinen Weg nimmt ins stolze Bauerntum, den Weg, der
von Leiden gezeichnet und von Liebe beleuchtet ist. Damit aber sind
wir bei Anna Croissant-Rusts zweiter tzeimat, wie wir Tirol nnd sein
Bauerntum etwa nennen mögen. Von ihren kräftigen kleinen Erzäh--
lungen — und sie ist eine prächtige Erzählerin schlichter, wuchtiger Be-
gebenheiten, eine unbeirrbare Zeichnerin typischer Charaktere, eine tief-
blickende Kennerin der Bauernwelt — spielt der beste Teil in Tirol, ist der
beste Teil durchweht von der herben Atemluft bodenständigen, wortkargen
und zähen, doch nicht herzlosen Bauerntums. Sie hat da gewiß eine härtere
und an Vielfalt der inneren Erlebnisse ärmere Welt gefunden, als die ihrer
Munchener Werdejahre, in den Geschichten „Aus unseres Herrgotts Tier-
garten", „Arche Noah" und „Kaleidoskop" geht es weit derber und simpler
zu als in den „Gedichten in Prosa"; aber sie hat diese Welt erobert bis
zur völligen Herrschaft über sie, und ihr starkes Herz hat auch in ihr
gefunden, was eben nur das Herz, nicht die literarische Begabung finden
kann. Eine Erzählung, wie „Antonius der Held", aus dem neuen Buch
„Kaleidoskop", stellt wohl innerhalb der Grenzen ihrer Gattung, die von
Anzengruber geschaffen und von einigen Neueren verfeinert und versach-
licht wurde, einen Höhepunkt dar; unmittelbar eindringliche Menschlich-
keit, ein klar und rückhaltlos bezeichnetes Milieu, ein Volkstum als Hinter-
grund; die Spannung und tragische Erlösung eines liebenswerten Herzens
als Kern — das ist eins wie das andere tief bezeichnend für Anna Croissants
Kunst. Nicht als ob dies nun ihre ganze Welt geworden sei; in dem sehr
drolligen „Winkelquartett" hat sie die Komik der Kleinstadt trefflich ge-
zeichnet, mit manchen Erzählungen auch noch andere Lsbenskreise berührt,
mit dem ernsten Zyklus „Der Tod" sich sogar an die Klänge eines modernen
Totentanzes gewagt. Doch ihre volle Kraft hat das kleine Bauernland
ihrer Wahl entbunden. Ihre volle, dem harten Leben und seinem seelen-
vollen innersten Kern zugewandte Kraft . . . deren gedenken wir heute, da
so viel zeternde Schwäche uns begegnet, mit frohem Dank und fröhlichem
Glückwunsch. W. Schumann

Es erschienen: Der Felsenbrunner Hof, Arche Noah, Der Tod, Kalei-
doskop (V20) bei Georg Müller, München; Die Nann und „Aus unseres
Herrgotts Tiergarten" in der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart.

Der Federbuschhansei

Von Anna Croiffant-Nust

fDie kleine Erzählung, die wir im folgenden abdrucken, ist mit Erlaubnis
der Deutschen Verlagsanstalt in Stuttgart der Novellensammlung „Aus
unseres Herrgotts Tiergarten" von Anna Croissant-Rust entnommen. Sie
bezeichnet besonders deutlich jene leidenschaftliche Sachlichkeit und die
Vertrautheit mit dem Volkstum, die wir der Dichterin in unserem Aufsatz
nachrühmen. Das Buch ist schon vor Iahren erschienen, aber noch lebens-
voll und klar wie zur Zeit seines Erscheinens.^

o oft er in irgendeinem Dorfe auftaucht, zieht er eine ganze Rotte
(^^)Kinder hinter sich her, ganz wie der Rattenfänger von Hameln.

Das ist nicht nur, weil er aus seiner alten Drehorgel so gar schöne
Sachen Herauszuquietschen versteht, wozu er noch — man höre! — die

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