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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 1 (Oktoberheft 1920)
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Nidden, Ezard: Dänische Erzählungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0029

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aber inuner bleibt ihnen die Not treu; zuletzt wechselu sie ihren Wohuort,
auch dies ohne glücklichen Lrfolg; indes wachsen die Kiuder, vou Stiue
betreut, trotz alledem fröhlich, heran, und Stiue verläßt am Ende des
Roiuaus das Haus, neueu Schicksalen eutgegeiu Hoffentlich erscheinen
bald weitere Bände, welche die Wege und Erlebnisse dieses starken und
früh geprüften „Menschenkindes" darstellen. Dänemark hat neben Andersen--
Nexö noch mehrere Erzähler, deren Herz dem Volke gehört. Unter ihnen
ragt Ioh. Skjoldborg hervor. Sein jüngster Romau „Das neue
Geschlecht" ist in doppeltem Sinne ein Volksbnch. Er handelt vom Bauern-
lebeu; auf dem großen Hose des frömmelnden, „erweckten" Altbauern
Hyldgaard wird die kräftige und schöne Mette als Magd angestellt; es
begibt sich, daß der juuge Sohn des Bauern ihr Bücher leiht, moderue Er-
zählungeu und Dichtungen, in denen sich beiden die ganze Welt auftut;
für Dänemarks junges, meist durch Volkshochschulen hindurchgegangenes
Geschlecht ist dies nichts Nuerhörtes; zwischen den beiden Iungen aber
wächst klare und eutschiedene Liebe, und obwohl Mette ein uneheliches
Kind hat und beileibe nicht aus einem der ebenbürtigeu Bauerugeschlechter
stammt, wählt Per Hyldgaard sie vor allen den vielen und hübschen, ge-
wandten uud doch banalen Bauerntöchtern zum Weibe; darüber kommt
es zum Bruch mit den Eltern: eine neue freie Sittlichkeit und Lebens-
ordnung löst die alte starre, hartherzige und in mancher Weise heuchlerische
Äberlieferung ab; das Buch wirkt wie eine Art Weiterführung von
Knudsens, künstlerisch freilich wuchtigerem Roman „Fortschritt", endet jedoch
mit später Versöhnung. Nach seinem ganzen Stil wendet es sich nun
auch au nicht-literarische Leser; es ist einfach, herzlich, vom Duft der
Natur, von schlichtem Wirklichkeitsinne, von unerschütterlicher Heiter-
keit uud ernstem Optimismus erfüllt wie von festem Glauben an das
Recht uud den Sieg der Iugend. Ein gewinnendes und iunig frohes
Buch, das nicht letzte Tiefen erschüttert und ohne techuische Fein-
heiten gearbeitet ist, aber großer, herzlicher Liebe sein Dasein verdankt. —
In unermeßlicher Ferue davon liegt Henrik Pontoppidans neuer
zweibändiger Roman „Toteureich". Ohne daß ich eine Spur eiues Vor-
urteils gegen ihn hegte, war >es mir nie möglich, zu begreifen, worauf
sich der nicht unansehnliche Ruf dieses braven Schriftstellers eigentlich
gründe. Das neue Werk hat mir meine Meinung vollauf bestätigt. Sieben-
oder achthundert Seiten ermüdend breiter, mehr zusammengekoppelter als
komponierter Gesellschaftschilderungen, meist aus der dänischen Oberschicht,
umfaßt es; einige Dutzende von Gestalteu ohne scharfe Prägung uud ohne
rechte Tiefe, bald religiöse, bald weltlich-leichtherzige oder grüblerische und
haltlose; politische Themen werdeu augeschlagen und soziologische, religiöse
und solche, die man „philosophisch" zu nennen Pflegt; keines wird festgehalten,
keines auch nur tiefer erfaßt als dies etwa im abendlichen Geplauder gebil-
deter Leute geschieht; nicht hält ein thematischer Gedanke diese pedantischen
Studieu aus dem Alltag der bürgerlichen Gesellschaft zusammen, man wollte
denn die sHale Sentenz dafür halten, welche der Titel des Buches an-
deutet und welche in dem Satz gipfelt, daß dies eine Zeit sei des „künst-
lich sterilisierten Daseins"^ „der taghellen Hqlle", in der die Menschen
sich „wie geblendet herumtummeln«. Nun wohl, wir werden unser Ohr
weder dem trotzigen Kämpfer verschließen, der mit Strindbergs dämonischer
Gebärde dieser alternden Welt der „Mechanisierung" den Fehde-Hand-
schuh Hinwirft, noch der gewaltigen Predigt eines Tolstoj, noch der gläu-
 
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