Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 2 (Novemberheft 1920)
DOI Artikel:
Schumann, Wolfgang: Volksbildung neuer Art?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0090

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
„Selbstbestimmungrechtes" der Entleiher überhaupt einigermaßen fremd;
auch sür die Bücherei erlaubt schien ihnen, was dem Leser gefällt,- wenn
Margarethe Böhmes oder Frau Marlitts Romane gefielen, so durften
und sollten sie zur Verfügung stehen, womöglich sogar in fünfzig Exem->
plaren. „Bevormundung" ziemt nicht. Beratung des Benutzers wäre un-
zulässige Einmischung in Privates. So war der Geist einer gottlob ver-
sinkenden Epoche des qualitätlosen, liberalistischen Massenbetriebs. Einer
versinkenden, nicht einer versunkenen! Denn so einig man sich in Braunau,
wo dieser vielgeschäftige „Liberalismus" schon nicht mehr vertreten war,
über sein nahendes Ende auch sein mochte, es ist doch so, daß er trotz aller
Mühen der Vorkämpfer eines neuen Volksbildungswesens noch immer
die überwiegende Menge aller Veranstaltungen beherrscht.

Aber was ist nun Sinn und Art des „neuen Volksbildungswesens"?
Den mancherlei Bestrebungen liegen viele Erkenntnisse zugrunde, die sich
in verschiedene Praktiken umsetzen, und schon tobt auch hier der Kampf
der Richtungen. Ganz zutreffend kennzeichnete Erdberg das Einsetzen der
Neuerer am schwächsten Punkte der Bewegung: sehr im Gegensatz zu dem
Drauflosarbeiten der Massenbetriebler besann man sich vor etlicher Zeit
erst einmal sorgsältig auf das Wesen der Bildung schlechthin. Man
fand, Bildung wachse von innen, der Mensch könne durch Äberziehen mit
Bildungsmitteln nicht gebildet werden, er könne nur sich selber bilden,
dabei aber könne man thm helsen, wenn man jeden mit dem ihm ge-
mäßen Bildungstoff auf die ihm gemäße Weise in Berührung bringe.
Nicht alleiu Kenntnisse sind ja das Ziel, sondern ein inneres Verhältnis
zu den Bildung- und Kulturgütern. Kommt es nnn so sehr auf ein
Inneres an, so ist offenbar jeder Massenbetrieb, jedes große Füttern
und Aberschütten im Sinne des Ziels überflüssig, wertlos, vielleicht schäd-
lich. Die Bildnerarbeit muß den mannigfachen Bedürfnissen angepaßt,
sie muß individualisiert, sie muß höchst ernsthaft vertieft werden. Das
ist aber wieder nicht denkbar, wenn noch immer Gebildete und Volk sich
als Gebende und Nehmende, etwa gar als hochmütig Gebende und hilslos,
stumm Nehmende, weit getrennt gegenüberstehen. Seit der Revolution ist
diese Haltung vollends unmöglich. Iedes Bilden ist und muß sein Geben
und Nehmen zugleich, ganz persönliche Fühlung zwischen Gebenden und
Nehmenden — und wahrlich, der Stolz der „Gebenden" von früher auf
ihre herrliche Kultur findet denn doch wohl nach dem Zusammenbruch
in den Tatsachen nicht mehr Boden. Gerade durch die heutige Kulturkrisis
und Kulturskepsis ist der Weg zu gemeinsamem Wiederaufbau, nein
Neuaufbau, zum Bau einer neuen Kultur ohne Hochmütig abgeschlossene
Oberschicht und rücksichtlos abgeschnittene Nnterschicht eröffnet. Eins ist
freilich bei dieser Individualisierung, Vermenschlichung, Verfeinerung der
Volksbildungsarbeit sofort gewiß: sie wird und kann nur einen begrenzten
Teil der Masse von heute ergreifen. Alles Weitere aber muß dem Nmbau
des sozialen Lebens und des Schulwesens überlassen bleiben. Diese Ein-
schränkung wird ja auch allgemein als notwendig anerkannt.

Von dieser Begrenztheit des Wirkungradius der Volksbildungarbeit ging
der zweite Redner aus, Pros. Anton Lampa, der Vertreter und einer
der an Erfahrungen reichsten Kenner des Wiener Volksbildungwesens,
der „Wiener Richtung". „Das Volk" bilden zu Wollen sei unmöglich, nur
begrenzte Kreise könne man ersassen. In der Praxis freilich muß man
breiten Kreisen etwas bringen, um aus ihnen die Auslese für inten-

66
 
Annotationen