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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1920)
DOI Artikel:
Erdmann, Karl Otto: Das Doppelgesicht der Toleranz
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0171

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Dorwurf machen, die ganzen Geschlechtern eigentümlich war. Auch die
mit Recht angesehensten Männer standen im Banne ihrer Zeit. Man
denke an einen so erleuchteten Geist wie Fenelon; oder an die immer
gerühmte „Milde" Melanchthons, die ihn nicht hinderte, für verstockte
Katholiken die härtesten Leibesstrafen zu verlangen; und der es höchlichst
billigte, als die Calvinisten in Genf den bekannten Denker Michael Servet
wegen seiner Dreieinigkeitslehre verbrannten. Luther war wie immer sehr
kraftvoll. Gegen die Inden schrieb er im Schemhamphoras: „Man stecke
ihre Synagogen mit Feuer an, und werfe hinzu, wer da kann, Schwefel
und Pech; wer auch könnte höllisch Feuer dazuwerfen, wäre auch gut."
Ls war nicht schwer, sich auf die Bibel zu berufen; auf die Wut des
Aloses, der au einem Tag 23 000 Götzeudiener vernichtete, oder den edlen
Eifer des Elias, der ^50 Baalspriester mit dem Schwerte lötete. —
Für wie selbstverständlich gewaltsame Bekehrungen, Quälereien und Lebens--
strafen um eines „falschen" Glaubens willen galten, wie unbelehrbar die
Meuschen waren, geht schon daraus hervor, daß die am eigenen Leibe er-
fahreue Intoleranz keine Ketzergemeinde jemals abgehalten hat, die gleichen
Verfolgungen auch ihrerseits anzuwenden, sobald sie erstarkt war; und
daß gerade die unbedeutendsten Glaubensunterschiede die größte Erbitte-
rung zu entfesseln pflegten. Unfaßbar erscheint heute die Wut der lutheri-
schen Sachsen ausgerechuet gegen die Calvinisten, die so groß war, daß
allein der Vorwurf des K r y p t o calvinismus genügte, um dem bekannten
Kanzler Krell unmittelbar nach dem Tode Christians I. den Prozeß zu
macheu und ihn zehn Iahre lang in einen halboffenen Kerker zu sperren,
wo er „in Stank und Unrat verdarb", bis man ihn schließlich im Kranken-
stuhl aufs Schafott trug. —

Auch wo die Macht zu grausamen Taten fehlte, war die Intensität des
Glaubenshasses nicht geringer; man kann ihn noch heute spüren aus er-
haltenen Urkunden, aus Achtungen und Bannflüchen. Und es wirkt bei-
nahe rührend, wie geflissentlich immer die Gutgesinnten gewarnt und be-
droht werden, nur um Gotteswillen mit den Verfehmten nicht in Berüh-
rung zu treten oder sie auch nur zu grüßen. In dem „Cherem" des
Spinoza durch die Synagoge wird erst die ganze Rache des tzerrn auf
das Haupt des Verbrechers beschworen. Ich zitiere nach Kuno Fischer:
„er sei verflucht bei Tag und verflucht bei Nacht! Er sei verflucht, wenn
er schläft, und verflucht, wenn er aufsteht! Er sei verflucht bei seinem
Ausgang und verflucht bei seinem Eingang! Der Herr wolle ihm nie
verzeihen. Er wird seinen Grimm und Eifer gegen diesen Menschen
lodern lassen, der mit allen Flüchen beladen ist, die im Buche des Ge-
setzes geschrieben sind. Er wird seinen Namen unter dem Himmel ver-
tilgen . . ." usw. Dann aber wird hinzugesügt: „Ihr aber, . . . hütet
euch, daß niemand ihn mündlich oder schriftlich anrede; niemand ihm eine
Gunst erweise, niemand mit ihm unter einem Dache, niemand vier Ellen
weit von ihm verweile . . ." usw. Ahnlich menschenfreundlich war die
lutherische Exkommunikationsformel gegen den Rat der Stadt Magde-
burg: „Er scheide sie (die Katholiken) als faule, stinkende Glieder ab
von der Gemeinde Christi, er schließe ihnen den Himmel zu und die Hölle
weit auf, er übergebe sie dem leidigen Teufel, sie am Leibe zu martern,
zu quälen und zu plagen, . . . er gebiete auch von Amts wegen, daß
andere Christen sich solcher verdammten Menschen gänzlich enthalten, mit
ihnen nicht essen oder trinken, sie zur Hochzeit oder ehrlicher Gesellschaft
 
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