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Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1920)
DOI Artikel:
Tagore, Rabindranath: Es war einmal ein König
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https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0180

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Es war einmal ein König

Von Nabindranath Tagore

fIhrer sechs enthält der Band „Erzählungen" Tagores, der kürzlich bei
Kurt Wolff in München erschienen ist. Erfreulicherweise haben wir Raum,
eine davon ganz wiederzugeben, so daß es uns erspart bleibt, den Ton Ta--
gores mühsam-kritisch zu beschreiben. Er ist in den Erzählungen wie in den
Gedichten und Dramen ein Dichter vollkommen eigner Prägung, wenigstens
für uns, die wir von der modernen Dichtung seiner indischen Heimat
sonst nichts erfahren. Er mag den Leser gelegentliH an den einen
oder andern Europäer erinnern, an Hamsun, an Waartens, an van Eeden,
an Selma Lagerlöf — zületzt bleibt er der Eine, Einzige, Ilnvergleichbare.
Sein Zauber wirkt auf uns mit eigentümlicher Gewalt. Worin die liegt?
Gewiß nicht in einer hochbewußten Knüpfung und Fügung der Ereignisse,
in überwältigend geistreicher Ersindung oder außerordentlichem Aufwand
an „Psychologie" oder Dialektik. Nein, einfach und sinnenhaft entströmt einer
unsäglich natürlichen Erzählerbegabung hier Bild um Bild, Austritt um
Auftritt, alles dem Alltag abgewonnen und hingeplaudert am Kamine, wie
es etwa dem geübten Novellisten auch mündlich gelingen mag. Das Wesent--
liche aber liegt jenseits der schlichten, eigentlich dichterischen Werte dieser
Prosa. Es liegt im Kern einer Persönlichkeit, die mit adliger Gebärde
Schmutz, Verwirrung, Rationalisierung, Alltäglichkeitdürre von sich fern-
hält. Es schreibt sich leicht und begreift sich schwer, daß dieser Dichter mit
vollkommen reiner S-eele aus dem Leben schöpft und mit vollkommen
unbestochener Liebe das Geschaute in freie Gestalten und Geschehnisse um-
bildet. Ist uns, den klugen und harten Europäern, doch sast die Ehrfurcht
vor reinem Seelentum verloreu gegangen! Vollends aber bermhrt es uns
wie Wunder, wenn ein Dichter mit so ungetrübtem Spiegel nicht ein „Kind",
sei es auch ein noch so liebenswürdiges Kind, geblieben ist. Davon ist nun
Tagore weit entfernt. Mag sich schlichekundigs Klugheit mit jenem Seelen-
haften nur schwer verbinden, die Weisheit, welche die Welt nicht über-
listet, sondern übersteht und übersieht, wohnt leicht mit ihr zusammen.
Und sie ist wahrlich ebenso Tagores Teil. Was wäre das harmlose Märchen,
das er darbietet im Rahmen einer noch harmloseren Knaben-Nachmittag-
Geschichte, fühlten wir nicht darüber den gütigen Geist walten, der jenes zu
fragwürdigem, diese zu nachdenklich-heiterem Ende führt und uns in einer
Atmosphäre von reiner Menschlichkeit und holder Verkindlichung plötzlich
sinnend stehen läßt. Was wäre die Erzählung von „Seiner Hoheit dem
Kind", darin ein nur einmal ungetreuer Diener seinen eignen Sohn seiner
tzerrschaft als Ersatz für den ihr verstorbenen darbringt; was wäre sie
anders als ein wunderlicher Fall, wenn nicht gerade in dem armen Vater-
Narren, lange käum wahrnehmbar, plötzlich aber überwältigend, Opfer-
wille und schönste Liebeskraft aufflammte, vor der wir hingerissen stehen,
des Endes der Erzählung kaum gewahr. And die reichste Erzählung des
Bandes, — sie handelt von der Arztgattin, die durch ihres Mannes Schuld
erblindet, dies still und froh trägt, viel Bitteres noch erduldet und schließf-
lich nach schweren Gefahren für ihre Ehe und Liebe dennoch den Geliebten
zurückgewinnt, was wäre dies forglos zusammengefabelte Stück mehr als
ein moralisches Lehrstück, wenn diese Frau nicht Trägerin uralter Weis-
heit und ewig junger Seelenkrast wäre, wie nur ein wahrhaft Großer sie
seinen Gestalten einhauchen mag. — Das und nichts andres ist es! Anter
 
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