Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 34,1.1920-1921

DOI Heft:
Heft 3 (Dezemberheft 1920)
DOI Artikel:
Tagore, Rabindranath: Es war einmal ein König
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14432#0185

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
mit sich in großer Not und baute einen weiten Palast mit sieben Flügeln
und fing an, ihren Mann zu hegen mit großer Sorgsalt."

Ich hüpfte auf und nieder in meinem Bett und klammerte mich an die
Polster fester denn je und sagte: „Nnd dann?"

Großchen fuhr sort: „Der kleine Iunge ging zur Schule und lernte
viele Lektionen von seinen Lehrern, und als er größer wurde, fingen seine
Klassenkameraden an, ihn zu fragen: „Wer ist diese schöne Dame, die mit
dir in dem Palaste mit den sieben Flügeln lebt?"

Der Brahmanensohn war begierig zu erfahren, wer sie war. Er konnte
sich nur entsinnen, wie er eines Tages Reiser gesammelt hatte und ein
großer Aufruhr entstand. Aber all das war so lange her, daß er keine klare
Erinnerung hatte.

Vier oder fünf Iahre schwanden auf diese Weise. Seine Kameraden
fragten immer: „Wer ist diese schöne Dame in dem Palaste mit den sieben
Flügeln?" und dann kam der Brahmanensohn heim von der Schule und
sagte traurig zur Prinzessin: „Meine Schulkameraden fragen mich immer,
wer diese schöne Dame ist in dem Palaste mit den sieben Flügeln, und ich
kann ihnen keine Antwort geben. Sage, o sage mir, wer du bist!"

Die Prinzessin sagte: „Laß es gut sein heute. Ich werde es dir eines
Tages sagen." Und jeden Tag wieder fragte der Brahmanensohn: „Wer
bist du?" Nnd immer wieder antwortete die Prinzessin: „Laß es gut sein
heute. Ich werde es dir eines Tages sagen." In dieser Weise schwanden
vier oder sünf weitere Iahre.

Endlich wurde der Brahmanensohn sehr ungeduldig und sprach : „Wenn
du mir nicht heute sagst, wer du bist, o schöne Dame, will ich diesen Palast
mit den sieben Flügeln verlassen. Da sagte die Prinzessin: „Ich werde es
dir gewiß morgen sagen."

Ani nächsten Tage, sobald der Brahmanensohn aus der Schule kam, bat
er: „Ietzt sage mir, wer du bist." Die Prinzessin sprach: „tzeute nacht
werde ich es dir sagen, nach dem Abendbrot, wemr du zu Bette bist."

Der Brahmanensohn sagte: „Gut," und er begann die Stunden zu
zählen in Erwartung der Nacht. Nnd die Prinzessin ihrerseits streute
weiße Blumen über das Bett und entzündete eine goldene Lampe mit duf-
tendem Sl und schmückte ihr tzaar und kleidete sich in ein wundervolles
blaues Gewand und begann die Stunden zu zählen in Erwartung der Nacht.

An diesem Abend, als ihr Gemahl, der Brahmanensohn, seine Mahlzeit
beendet hatte, zu erregt fast, um zu essen, und zu dem goldenen Bett ge-
gangen war in dem Schlafgemach bestreut mit Blumen, sprach er zu sich
selbst: „tzeute nacht werde ich gewißlich erfahren, wer diese schöne Dame
ist in dem Palast mit den sieben Flügeln."

Die Prinzessin nahm für sich die Speise, die ihr Gemahl übriggelassen
hatte, und betrat langsam das Schlafgemach. Sie sollte heute nacht die
Frage beantworten, wer die schöne Dame war, die in dem Palaste mit den
sieben Flügeln lebte. Nnd wie sie hinaufschritt zu dem Bett, es ihm zu
sagen, sah sie: eine Schlange war herausgekrochen aus den Blumen und
hatte den Brahmanensohn gebissen. Ihr Knaben-Gemahl lag auf dem
Bette von Blumen, das Antlitz bleich im Tod. —

Mein tzerz hörte plötzlich auf zu klopfen, und ich fragte mit erstickter
Stimme: „Und dann?"

Großchen sagte: „Dann_"

Aber was nützt es, irgend weiter fortzufahren mit der Geschichte?
 
Annotationen