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I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
giographie und Liturgie bildet somit die Historiographie eine zentrale Quel-
lenbasis.288 Durch entsprechende Organisationsformen werden die petrinischen
Motive päpstlich, durch ihre persönliche Verwendung unverwechselbar indi-
viduell. Petrus-Amt, Papsttum und Persönlichkeit verbinden sich in der Heraldik
zu einem besonderen Mittel gesellschaftlich-symbolischer Kommunikation. Bi-
schöfliche und später korporativ-kollegiale Institutionen wie Kapitel und
Kommunen griffen diese Form der Repräsentation auf. Die ursprünglichen Be-
zugsgrößen, Heilige Schrift und Heiligenleib, gingen und gehen dabei nicht
verloren, wurden aber insbesondere im 11. und frühen 12. Jahrhundert um
zeitgenössische Auslegungen erweitert, und zwar gleichermaßen in Bezug auf
Schlüssel, Schädel und Schwerter.
Die Schlüssel verwiesen stets auf die biblische Grundlage in Matthäus 16,19.
Wohl keine andere Bibelstelle hat vergleichbare Kontroversen ausgelöst. Ein
kaiserfreundlicher Rechtsgelehrter wie Burchard von Worms (t 1025) deutete die
Schlüsselübergabe in seinem Dekret als Begründung des Priesterstandes und
nicht des päpstlichen Primates,289 wohingegen Placidus von Nonantola (t nach
1123) daraus eine Vorrangstellung des Petrus ableitete, die gleichwohl eine
synodal-episkopale Einbindung des Papstes impliziere.290 Beide blieben letztlich
erfolglos. Wichtig war Placidus aber immerhin, dass nur gegenüber Petrus, in
Matthäus 16, 19, explizit von Schlüsseln die Rede war, nicht hingegen bei der
nach Matthäus 18, 18 an das gesamte Apostelkolleg erteilten Vollmacht der
Sündenvergebung.291 Anselm von Lucca (t 1086) wiederum argumentierte ganz
im Sinne der traditionellen, schon von den Päpsten Damasus (382), Siricius und
Leo I. beanspruchten und von Gregor VII. dann lehramtlich eingeschärften
Amtsübergabe an das Papsttum.292 Vor diesem Hintergrund kann kaum ver-
wundern, dass die Reformpäpste jene vom Evangelisten Matthäus verbürgte
Schlüsselübergabe im Siegel führten. Hatten die Päpste bis Leo IX. (1049-54)
einschließlich noch konsequent auf jegliche bildliche Darstellung verzichtet, so
stellte erstmals Viktor II. (1055-57), später gefolgt von Nikolaus II. (1058-61) und
288 S. dazu ausführlich unten Kapitel I. 10 sowie Kapitel III., IV. und V.
289 Burchard von Worms, Decretum 1, 2, Sp. 549 f. D-C; vgl. Busch, Vom einordnenden Sammeln,
S. 247f. mit Anm. 19. So argumentierte bereits Beda venerabilis; vgl. Ubl, Der Mehrwert der
päpstlichen Schlüsselgewalt, S. 199 f. mit Anm. 42 f.
290 Placidus von Nonantola, Liber de honore ecclesiae, cap. 1; vgl. Busch, Vom einordnenden
Sammeln, S. 250 f. und S. 256.
291 Vgl. Busch, Vom einordnenden Sammeln, S. 250 mit Anm. 35; Groten, Die gesichtslose Macht,
S. 211 mit Anm. 59; Ubl, Der Mehrwert der päpstlichen Schlüsselgewalt. Rein episkopalistisch
argumentieren hingegen anscheinend einige ältere Autoren, etwa Hrabanus Maurus, Haimo
von Auxerre und Jonas von Orleans; zu letzterem s. etwa Ubl, Der Mehrwert der päpstlichen
Schlüsselgewalt, S. 201 mit Anm. 50. Andere ihrer Zeitgenossen wie etwa Sedulius Scottus sind
jedoch dezidiert nicht dazu zu rechnen; vgl. Sedulius Scottus, Kommentar, hg. von Löfstedt,
S. 404-406.
292 Vgl. Busch, Vom einordnenen Sammeln,. S. 248 f. und unten Anm. 613 (zu Gregor VII.); Ubl, Der
Mehrwert der päpstlichen Schlüsselgewalt, S. 207-209 (zu Gregor VII., zu seinen genannten
Vorgängern s. S. 191-198).
I. Petrus. Ein Corpus, zwei Körper, viele Korporationen
giographie und Liturgie bildet somit die Historiographie eine zentrale Quel-
lenbasis.288 Durch entsprechende Organisationsformen werden die petrinischen
Motive päpstlich, durch ihre persönliche Verwendung unverwechselbar indi-
viduell. Petrus-Amt, Papsttum und Persönlichkeit verbinden sich in der Heraldik
zu einem besonderen Mittel gesellschaftlich-symbolischer Kommunikation. Bi-
schöfliche und später korporativ-kollegiale Institutionen wie Kapitel und
Kommunen griffen diese Form der Repräsentation auf. Die ursprünglichen Be-
zugsgrößen, Heilige Schrift und Heiligenleib, gingen und gehen dabei nicht
verloren, wurden aber insbesondere im 11. und frühen 12. Jahrhundert um
zeitgenössische Auslegungen erweitert, und zwar gleichermaßen in Bezug auf
Schlüssel, Schädel und Schwerter.
Die Schlüssel verwiesen stets auf die biblische Grundlage in Matthäus 16,19.
Wohl keine andere Bibelstelle hat vergleichbare Kontroversen ausgelöst. Ein
kaiserfreundlicher Rechtsgelehrter wie Burchard von Worms (t 1025) deutete die
Schlüsselübergabe in seinem Dekret als Begründung des Priesterstandes und
nicht des päpstlichen Primates,289 wohingegen Placidus von Nonantola (t nach
1123) daraus eine Vorrangstellung des Petrus ableitete, die gleichwohl eine
synodal-episkopale Einbindung des Papstes impliziere.290 Beide blieben letztlich
erfolglos. Wichtig war Placidus aber immerhin, dass nur gegenüber Petrus, in
Matthäus 16, 19, explizit von Schlüsseln die Rede war, nicht hingegen bei der
nach Matthäus 18, 18 an das gesamte Apostelkolleg erteilten Vollmacht der
Sündenvergebung.291 Anselm von Lucca (t 1086) wiederum argumentierte ganz
im Sinne der traditionellen, schon von den Päpsten Damasus (382), Siricius und
Leo I. beanspruchten und von Gregor VII. dann lehramtlich eingeschärften
Amtsübergabe an das Papsttum.292 Vor diesem Hintergrund kann kaum ver-
wundern, dass die Reformpäpste jene vom Evangelisten Matthäus verbürgte
Schlüsselübergabe im Siegel führten. Hatten die Päpste bis Leo IX. (1049-54)
einschließlich noch konsequent auf jegliche bildliche Darstellung verzichtet, so
stellte erstmals Viktor II. (1055-57), später gefolgt von Nikolaus II. (1058-61) und
288 S. dazu ausführlich unten Kapitel I. 10 sowie Kapitel III., IV. und V.
289 Burchard von Worms, Decretum 1, 2, Sp. 549 f. D-C; vgl. Busch, Vom einordnenden Sammeln,
S. 247f. mit Anm. 19. So argumentierte bereits Beda venerabilis; vgl. Ubl, Der Mehrwert der
päpstlichen Schlüsselgewalt, S. 199 f. mit Anm. 42 f.
290 Placidus von Nonantola, Liber de honore ecclesiae, cap. 1; vgl. Busch, Vom einordnenden
Sammeln, S. 250 f. und S. 256.
291 Vgl. Busch, Vom einordnenden Sammeln, S. 250 mit Anm. 35; Groten, Die gesichtslose Macht,
S. 211 mit Anm. 59; Ubl, Der Mehrwert der päpstlichen Schlüsselgewalt. Rein episkopalistisch
argumentieren hingegen anscheinend einige ältere Autoren, etwa Hrabanus Maurus, Haimo
von Auxerre und Jonas von Orleans; zu letzterem s. etwa Ubl, Der Mehrwert der päpstlichen
Schlüsselgewalt, S. 201 mit Anm. 50. Andere ihrer Zeitgenossen wie etwa Sedulius Scottus sind
jedoch dezidiert nicht dazu zu rechnen; vgl. Sedulius Scottus, Kommentar, hg. von Löfstedt,
S. 404-406.
292 Vgl. Busch, Vom einordnenen Sammeln,. S. 248 f. und unten Anm. 613 (zu Gregor VII.); Ubl, Der
Mehrwert der päpstlichen Schlüsselgewalt, S. 207-209 (zu Gregor VII., zu seinen genannten
Vorgängern s. S. 191-198).