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Münchner kunsttechnische Blätter — 1.1904-1905

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Nr. 16
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Berger, Emil: Ueber den Einfluss von Anomalien und Erkrankungen des Sehorganes auf die Maltechnik [4]
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Die Fresken von Boscoreale [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.36597#0079

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Nr. 16.

Münchner kunsttechnische Blätter.

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möglich sei, im Bilde vollständig die Illusion der
Wirklichkeit zu erreichen, da das erstere nicht die
beiden verschiedenen Netzhautbilder gleichzeitig dar-
stellen könne.
Durch Versuche mittels des Stereoskops ist er-
wiesen, dass die Feinheit der Reliefwahrnehmung
desto grösser ist, je mehr die beiden Netzhautbilder
voneinander verschieden sind. Die Verschiedenheit
der beiden Netzhautbilder des rechten und des linken
Auges steigert sich mit der Annäherung der Gegen-
stände und nimmt mit der Entfernung der letzteren
ab. Entfernte Gebirgsketten erscheinen deshalb mit
sehr geringem Relief. Leute mit grossem Abstande
beider Augen voneinander haben im allgemeinen
eine feinere Reliefwahrnehmung, als solche mit
kleinem Pupillenabstand; in letzterem Falle ist näm-
lich die Verschiedenheit der beiden Netzhautbilder
eine geringere als im ersteren. Erwiesen werden
diese Erscheinungen durch das Helmholtz'sehe
Teleostereoskop, mittels welchem man die Aussen-
welt so sieht, als würde der Augenabstand ein
grösserer sein, als er in Wirklichkeit ist, und durch
Javalslkonoskop, bei welchem der Augenabstand
virtuell verkleinert ist. Mit dem Teleostereoskop
erscheint die Aussenwelt mit viel stärkerem Relief,
mit dem Ikonoskop ohne Relief. Es beruhen be-
kanntlich auf dem Prinzip des Teleostereoskopes
die stereoskopischen Fernrohre von Zeiss, Ross,
Daubrasse und Goerz. Auch für die feineren Arbeiten
der Graveure und Miniaturmaler gibt es derzeit auf ähn-
lichem Prinzip beruhende stereoskopische Lupen.
Die Darstellung des Reliefs, sowie der Tiefen-
wahrnehmung (Perspektive) im allgemeinen ist in
alten Bildern eine sehr mangelhafte, in den alten
Kunstwerken Chinas und Japans sogar eine fehler-
hafte. Erst von Holbein angefangen ist die Dar-
stellung des Reliefs deutlicher und hat seine kunst-
gerechteste Technik bei Rembrandt. Zweifellos
haben die immer mehr und mehr fortschreitenden
Kenntnisse der Gesetze der Optik auf die Besse-
rung in den Leistungen der Künstler der verschie-
denen Schulen, sowie auch auf die Betrachtung
durch den Beschauer einen günstigen Einfluss aus-
geübt, wie dies auch Prof. An gelucci in einer
gelehrten Abhandlung dargetan hat.
Durch den Verlust eines Auges werden Maler,
noch mehr aber Bildhauer in ihrer technischen
Leistungsfähigkeit geschädigt. Auch der Kunstlieb-
haber hat nach dem Verlust eines Auges eine ge-
ringere Freude am Betrachten von Werken des
Bildhauers. So erzählt der bekannte Augenarzt
Dr. Javal* *5) in Paris, dass er nach dem Verluste
eines Auges mit viel mehr Befriedigung Bilder be-
trachtete als Skulpturen.

*3) Konstruiert nach meiner Angabe bei N. Buchner, Op-
tiker, München.
**) Angel ucci A. (Palermo), L'occhio e la pittura. Dis-
corso inaugurale 1S92.
*5) Java], Manuel du Strabisme. Paris, Masson, 1896.

Brücke*^) erzählt von einem einäugigen Maler,
der in der Anschauung und der Reproduktion der
Objekte durchaus nicht behindert war, da ja alle
Bilder so gemalt wurden, als ob die dargestellten
Dinge mit einem Auge gesehen wären, der aber,
wenn er malen wollte und seinen Pinsel auf die
Leinwand bringen wollte, nicht den Zeitpunkt wusste,
in dem der Pinsel die Leinwand berührte. Er
musste sich ihr mit einer gewissen Vorsicht nähern,
und erst, wenn der Pinsel auf der Leinwand an-
gelegt war, konnte er ruhig weiter malen.
Ich habe eine Anzahl von Kunstwerken ein-
äugiger Maler untersucht und bin zur Ueberzeugung
gelangt, dass sich das mangelhafte Reliefsehen sehr
wohl an denselben erkennen lässt. So besitze ich
zwei Blumenstudien, welche Gegenstücke bilden,
von welchen die eine von einer französischen Ma-
lerin mit normalem binoculärem Sehen, die andere
von einem ungarischen Maler, welcher infolge hoch-
gradiger Kurzsichtigkeit des einen Auges nur das
andere normale Auge beim Malen verwendet, her-
stammen. Es fällt jedem Beobachter auf, dass im
ersteren Bilde ein viel deutlicheres Relief dargestellt
ist, als in dem letzteren.
Tatsächlich kann man den mit beiden Augen
gesehenen starken Reliefeffekt auch im Bilde an-
deuten, wie auch an den stereoskopischen Photo-
graphien (Einzelbilder mit sehr deutlicher Relief-
darstellung) zu entnehmen ist. Jedenfalls wäre es
wünschenswert, über diese Frage noch weitere Unter-
suchungen vorzunebmen und insbesondere an Werken
von Malern, welche während ihrer Schaffensperiode
ein Auge verloren haben, zu vergleichen, ob der
Einäugige in der technischen Darstellung des Re-
liefs hinter dem zurückstehe, das ein Künstler leistet,
weichereines normalen binoculären Sehens sicherfreut.
Die Fresken von Boscoreale.
Durch die Erwerbung der unter merkwürdigen
Umständen aufgefundenen altrömischen Fresken von
Boscoreale ist das Metropolitan Museum of Art zu
New-York in den Besitz eines einzigartigen Schatzes
gelangt. Kein Museum, das Neapeler und das Ther-
men-Museum zu Rom ausgenommen, kann sich
rühmen, aus der Periode der römischen Herrschaft
ähnliche Originale der Dekorationskunst zu besitzen
und dieser Umstand erhebt das New-Yorker Mu-
seum zu einem der ersten Kunststätten der zivi-
lisierten Welt.
Zum ersten Male ist Boscoreale berühmt ge-
worden durch die wundervollen Silbergeräte, die jetzt
im Louvre zu Paris auf bewahrt sind, dann durch
einen bedeutenden Münzenfund und die vom Ber-
liner Museum erworbenen Möbel. Als der Besitzer
des am Fusse des Vesuv gelegenen Besitztums, der
italienische Deputierte Vincenzo de Prisco, in der

*3) Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 11. Seite 196.
 
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