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Pantheon — 2.1928 = Jg 1.1928

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Verres, Rudolf: Zur Konstanzer Bildschitzerei im frühen 14. Jahrhundert
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Stiftung gotischer Bildteppiche an das Museum in Rochester
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https://doi.org/10.11588/diglit.57095#0047

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ZUR KONSTANZER BILDSCHNITZEREI IM FRÜHEN 14. JAHRHUNDERT

ihrer Art gewesen. Die Berliner aus Sigmaringen
bezw. seiner Umgegend (Abb. Futterer, S. 10) steht
ihr nicht so fern, daß unbedingt zwei verschiedene
Hände angenommen werden müßten. Der Künstler
hat die Antwerpener nur ein wenig früher geschaf-
fen, als er noch ausgesprochen unter dem frischen
Eindruck französischer Plastik stand; dahin gehört
auch die Verwendung des in Frankreich gebräuch-
lichen Nußholzes. Als er das Prononcierte des frem-
den Einflusses abgestreift hatte und das Thema mit
größerer menschlicher Wärme wiederum aufgriff,
entstand die Berliner Gruppe.
Der letztgenannten schließt sich eine Christus-Jo-
hannes-Gruppe in der Berliner Sammlung Wilhelm
Holzmann an, die mit etwa 15bis20cmHöhc die klein-
ste unter ihresgleichen ist. Ihr Material ist Lindenholz;
Fassung besitzt sie nicht mehr. Ihr Vorbesitzer, der
Sammler Alexander Günther, erwarb sie Mitte der
90er Jahre aus der bekannten Münchener Sammlung
Gedon. Eine Besonderheit ist die Inschrift S. Johan-
nes in erhabenen Majuskeln am Halssaum des Jün-
gers. Dennoch kann von einer Kopie hier ebenso-
wenig die Rede sein wie beim Verhältnis der Berli-
ner zur Antwerpener Gruppe. In dieser Beziehung
ist die Behauptung Futterers (S. 10) zu modifi-
zieren.
Es genügt festzustellen, daß der Meister der in Ant-
werpen befindlichen Madonna, wohl der Meister Hein-
rich, die Werkstatt geleitet hat. Die Gruppe in
München und die Madonna aus Überlingendorf ver-
raten zwar auch französischen Einfluß, sind aber
nicht von ihm selbst gearbeitet. Eine interessante
Kraft seiner Werkstatt ist der Schnitzer der Stutt-
garter Gruppe. Von ihm findet man in der Samm-
lung Pelgrims in Brüssel einen Christus an der
Geißelsäule, der bis vor kurzem in der Pariser
Sammlung A. Finoelst war und bisher als franzö-
sisch galt (Abb. S. 360, Eichenholz, 80 cm hoch)'). Die
Figur rührt wohl aus einem Schnitzaltar her. Der
Künstler scheint direkt, nicht auf dem Umwege
über den Meister Heinrich, französische Einflüsse
erfahren zu haben.

1) Versteigert 1927 bei Giroux in Brüssel, Katalog Nr. 74.

In der Werkstatt haben auch verschiedene nicht direkt
von Frankreich beeinflußte Kräfte gearbeitet. Von
einer solchen stammt die große sitzende Madonna
in der Sylvesterkapelle des Konstanzer Münsters1 *).
Die Haltung der Hände, die menschliche Annähe-
rung von Mutter und Kind zeigt Ähnlichkeit mit
den besten Christus-Johannes-Gruppen, die Lage-
rung der weichen Mantelmasse unten ist noch vom
13.Jahrhundert inspiriert. Endlich sei noch ein sitzen-
der hl. Joseph, aus einer Geburt Christi, in der
Sammlung Clemens des Kölner Kunstgewerbe-Mu-
seums erwähnt (Abb. S. 360; Eichenholz, 97 cm hoch,
ältere, aber nicht ursprüngliche Fassung). Die Figur
ist für sich gearbeitet und hat mit dem links fehlen-
den Teil der Darstellung jedenfalls einem Schnitz-
altar angehört.
Die gesamten Arbeiten des leitenden Meisters und
seiner Gehilfen sind am Anfang des 14. Jahrhun-
derts in einem vermutlich kurzen Zeitraum entstan-
den. Bei der Verschiedenheit der gleichzeitig täti-
gen Hände erübrigt es sich, die einzelnen Bildwerke
chronologisch untereinander zu distanzieren.
Von der Stuttgarter Christus-Johannes-Gruppe schei-
nen Fäden zu den beiden lebensgroßen Figuren
Mariä und Johannis aus einer Kreuzigung unbe-
kannter Herkunft im Stuttgarter Museum, die etwa
1320—30 entstanden ist, zu laufen2 3), An die Madonna
des Konstanzer Münsters schließen sich, ebenfalls
in einigem Abstande, eine sitzende Madonna des
Berliner Museums und eine weitere aus Mauren in
Stuttgart an. Der letzteren stehen die geringeren
Christus-Johannes-Gruppen aus Hüttlingen und Sulz-
dorf im Berliner und Stuttgarter Museum nahe“’).
Damit kommen wir bereits aus dem Umkreis des
Bodensees erheblich heraus.
Ohne daß hier jetzt zur Frage der Stilableitung un-
serer Werkstatt Stellung genommen werden soll, ist
zu sagen, daß die von Futterer behaupteten Zusam-
menhänge mit der Plastik des Fleiligcn Grabes in
Konstanz nicht nachzuweisen sind.

Abb. Baurn, Gotische Bildwerke Schwabens, Tafel 21.
2) Abb. Baum a. a. O. Tafel 67 ff.
3) Volbach, Amtl. Ber. der Berl. Museen, 40, 1919, Sp. 9 und Baum im Stutt-
garter Katalog Nr. 29.

STIFTUNG GOTISCHER BILDTEPPICHE AN DAS MUSEUM IN ROCHESTER

Die Memorial Art Gallery in Rochester (New-York) hat, wie
wir irn vorigen Heft kurz meldeten, zwei hervorragende
gotische Bildteppiche als Geschenk von Mr. James Sidley
Watson erhalten. Der größere Teppich zeigt eine Gruppe
weidender Tiere in einem Gehege auf dem mit vielerlei
Blumen bedeckten Grund, der die französischen Tapisserien
aus der Touraine im 16. Jahrhundert kennzeichnet.
Viel bedeutender noch ist der Bildteppich mit den unter Zelten
thronenden Figuren der Aritmetica und Astronomia, zu deren

Füßen Archimedes und der Astronom Ptolemäus sitzen (Abb.
S. 362). Zwei Engel halten die Zeltdecken zur Seite. Der Teppich
erinnert lebhaft an die berühmte und oft publizierte Tapisserie
aus der Sammlung des Grafen de Valencia mit einem vor dem
Zelt stehenden Liebespaar (H. Göbel, Wandteppiche I, 2. B.
Nr. 207) und er steht in der Ausführung dem Petrusteppich
im Musee de Cluny so nahe, daß er derselben Werkstatt von
Tournai zugewiesen werden kann. Die Herstellung fällt wie
bei den erwähnten Vergleichsstücken in die Jahre um 1460.

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