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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0300

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A. Schönnenbeck. Rauchender Bauer.

vorkommt. Dies Lied, vorzüglich aber dieser
Vers, ergriff mich gewaltig, ich wiederholte es
zum Erstaunen meiner Mutter in tiefster Rüh-
rung gewiß zehnmal. Damals stand der Natur-
geist mit seiner Wünschelrute über meiner
jugendlichen Seele, die Metalladern sprangen
und sie erwachte wenigstens aus einem Schlaf.“
Heiße Schmerzen um ihr dichterisches Werden
blieben ihnen, da sie beide aus innerster Not-
wendigkeit schufen, nicht erspart. Ganz ähn-
lich klingen die wilden Anklagen, die sie in
der Verzweiflung an ihrem Dichterberuf gegen
sich und die Außenwelt schleudern. Kleist
ruft in jenem ergreifenden Briefe an seine
Schwester vom 5. Oktober 1803, in dem er ihr
von seiner fruchtlosen Arbeit am „Guiscard“
klagt, aus: „Die Hölle gab mir meine halben
Talente; der Himmel schenkt dem Menschen
ein ganzes oder garkeins!“ Und Hebbel schreibt:
„Die Natur sollte keine Dichter erwecken, die
keine Goethes sind, darin steckt der Teufel.
Jedes Talent verlangt tyrannisch zu seiner Ent-
wicklung und Ausbildung ein Menschenleben,
und das geringere am dringendsten. Ist die
Ausbeute aber wohl der Mühe wert? Dies ist
eine Frage, die sich Raupach und andere gute
Gesellen vermutlich nie gestellt haben, weil
die Antwort verrückt machen könnte. Das ist
der Fluch meines Daseins, daß mein Talent
zu groß ist, um unterdrückt, und zu klein, um
zum Mittelpunkte meiner Existenz gemacht

werden zu können. Ich erkenne das Vortreff-
liche, ich erreiche es zuweilen, aber was hilft
es mir, wenn ich doch nur besuchen darf, wo
ich wohnen sollte. Und wieder -— soll, kann
ich einen Baum umhauen, der mir schon so
manche schöne Frucht gebracht hat?“ Aber
auch hier ist Hebbel der Gesündere. Immer
findet er sich wieder. Nie gerät er in jene
grenzenlos verzweifelte Stimmung, die bis zur
Vernichtung seiner Werke und damit seines
Ichs führt.

Kleist wurde zum Dichter als Jüngling,
Hebbel als Knabe. Jener betrat an der Hand
der Natur das ersehnte Land, diesem konnte
die Natur nie so viel geben, wie sein eigenes,
tiefes grübelndes Ich. Ihm blieb sie immer
„weniger Wein als Becher“. Als Kleist auf
der Würzburger Brücke die erste Ahnung seiner
künstlerischen Persönlichkeit aufging, als er mit
aufgeschlossenen Sinnen ins weite Land blickte,
da schrieb er: „Ich finde jetzt die Gegend um
die Stadt weit angenehmer, als ich sie bei
meinem Einzug fand, ja ich möchte fast sagen,
daß ich sie jetzt schön finde. — Und ich weiß
nicht, ob sich die Gegend verändert hat oder
das Herz, das ihren Eindruck empfing ....
Aber keine Erscheinung in der Natur kann mir
so wehmütige Freude gewinnen, als ein Ge-
witter am Morgen. Wir hatten hier vor einigen
Tagen dieses Schauspiel — 0! es war eine
prächtige Szene. Im Westen stand das nächt-

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