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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 4.1918/​1919

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Frimmel, Theodor von: Seltsamkeiten auf dem Gebiet der Malerei
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https://doi.org/10.11588/diglit.52777#0108

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Der Belgier Anton Wiertz, jederzeit höchst begierig, Aufsehen zu erregen,
wählte zumeist ungewöhnliche Abmessungen für seine Bilder. Im Musee
Wiertz zu Brüssel kann man diese unbändigen Sachen aufgestellt sehen, so
z. B. das Qolgathabild von 19 m Höhe, den Triumph Christi von 11 m
Breite, mehrere andere Leinwänden von etwa 8 bis 10 m, und nicht zuletzt
die Empörung der bösen Geister gegen den Himmel von 11 ’/2 m Höhe und
nahezu 8 m Breite. Dieses gewaltige Werk war im Mittelsaal des Kunst-
palastes unserer Wiener Weltausstellung von 1873 zu sehen als Gegenüber
eines ebenfalls riesigen Gemäldes von Al. Cabanel. M. Munkäcsys unmäßig
großes Arpadgemälde in Budapest ist weit bekannt.
Auf die Kreise, an die ich mich zu wenden habe, dürfte übrigens die
Kunst nach der Elle oder die unter dem Vergrößerungsglas weit geringere
Anziehungskraft ausüben als einige Mitteilungen über sonderbare Bedin-
gungen, unter denen manche Gemälde von ganz gewöhnlichen Abmessungen
entstanden sind. Derlei Kuriosa machen auch dem Wohlunterrichteten nicht
nur Kopfzerbrechen, sondern stehen sogar in einzelnen Fällen als ungelöste
Rätsel vor uns. Recht heimtückisch sind manche Bilder, die durch das Zu-
sammenwirken mehrerer Hände entstanden sind. Nicht etwa, als ob es un-
ergründlich wäre, wenn eine fremde Hand y Figuren in eine Landschaft
vom Maler x hineingemalt oder wenn ein Dritter z auch noch Blumen und
Früchte hinzugefügt hat. In vielen Fällen ist der y und z uns von selb-
ständigen Werken her so wohlbekannt, daß eine sichere Unterscheidung
vom Meister x möglich wird. Aber es gibt auch Bilder, in denen Meister
und Schüler durcheinander, drüber und drunter gemalt haben, daß sich
nur schwer alle Urlieberfragen beantworten lassen. Wer wollte ferner es
unternehmen, an dem berühmten Bild des Giorgione mit den drei Philo-
sophen festzustellen, welche Pinselzüge von Giorgione selbst, welche von
Sebastiano del Piombo sind. Man weiß ja nach bester alter Quelle, daß
Sebastiano das Bild fertiggemalt hat, das von Giorgione unvollendet hinter-
lassen worden.*) Die von Dandoy fertiggemalten Adr. Brouwer bieten uns
ähnliche schwierige Aufgaben. Es fällt kaum jemandem ein, bei einem
Rigaud, dessen Bilder gewiß zum Teil nicht ganz eigenhändig sind, heute
schon festzustellen, welche von den Dutzenden helfender Hände gerade
im einzelnen Fall mitgearbeite.t haben. Gewisse Andeutungen finden sich ja
in Rigauds Einnahmebuch, aber damit dürften die wenigsten Fälle über-
zeugend klarzustellen sein. Und wie bei Rigaud geht’s uns bei vielen, vielen
anderen vielbeschäftigten Künstlern. Die gewöhnliche Art des Zusammen-
wirkens von Meister und Schüler soll uns auch nicht weiter beschäftigen.
Aber als recht kurios muß der Fall bezeichnet werden, daß zwei Meister von
ebenbürtiger Begabung durcheinander an einem Bild tätig waren. Er betrifft ein
lebensgroßes Damenbildnis, an dem Makart und Lenbach vereint gearbeitet
haben, wie das bestens beglaubigt ist. Dieses Gemälde befand sich ehedem
bei Frau Baronin Auguste Stummer von Tavarnok in ihrem Palais in der
Heugasse und dürfte sich nach mehreren Todesfällen in der Familie vererbt
haben. Es wäre ein ebenso künstlerisch vorzügliches wie kunstgeschichtlich
lehrreiches Bild für ein großes Museum. Der Kopf ist von Lenbach, alles

*) Dazu Beilage der Blätter für Gemäldekunde im Artikel über den Anonimo
Morelliano und die dort genannte Literatur.
 
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