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SELTSAMKEITEN AUF DEM GEBIET DER MALEREI.
Vom Herausgeber.
Die langen Reihen des Gewöhnlichen an Kunstwert, an räumlicher Aus-
dehnung, ein endloser Zug des Alltäglichen in bezug auf Entstehungsart
liegen vor uns. Wir nehmen sie hin, ohne darüber in Unwillen oder freu-
dige Aufregung zu geraten. Den Unwillen haben wir für das ganz Schlechte,
die freudige Erregung für die Hochleistungen der Kunst. Diese, nicht zu-
letzt auch die guten Bilder, reden jedesmal mit eigenartiger Sprache zu uns.
Der Begabte, Feinspürige versteht diese Sprache, und für ihn hebt sich das
künstlerisch Bedeutende und die vollendete Technik vom Geringeren und
Geringen jederzeit merklich ab.
Weitere Gegensätze zum Gewöhnlichen sind aber in allerlei Seltsam-
keiten zu finden, die nicht die besondere Vollendung oder auffallende
künstlerische Schwäche der Kunstwerke betreffen, sondern in anderer Weise.,
durch ganz eigenartige Erfindung, durch sonderbare Entstehung, Technik,
spätere Verwendung, ja durch ungewöhnliche Kleinheit oder Größe sich
von der Masse des Gebräuchlichen abheben. In diesem Sinn ungefähr
meine ich die: Seltsamkeiten, die Kuriosa, von denen im folgenden gehandelt
wird. Übrigens will ich durchschnittlich das künstlerisch Bessere unter den
kuriosen Malereien bevorzugen und das Schlechte abweisen, auch wenn es
noch so drollig, wunderlich und selten sein sollte. So schließe ich eigent-
liche Möbelbilder zumeist aus, obwohl sie als richtige Zier von Möbeln
selten genug und gelegentlich beachtenswert sind. Auf bemalte Truhen
und Schachteln sei nur hingedeutet; sie waren zur Zeit der Renaissance
in Italien, besonders im Florentinischen, beliebt, und an Cassonebildern
waren neben vielen mittelmäßigen auch gute Künstler tätig. Die Malereien
dieser Art sind bekannt genug und haben schon von anderen eingehende
Würdigung erfahren.*)
Geringere Beachtung ist bisher den bemalten Tischplatten zuteil
geworden, die ihrer Natur nach viel seltener sind als Truhengemälde. Der
Tisch als Gebrauchsgegenstand widerstrebt geradeswegs der Bemalung seiner
Platte. Auf dem Tisch wird ja gegessen, gearbeitet. Wie selten ist ein Tisch
reine Zierde und Gegenstand ruhiger, sinnender Betrachtung. Bemalte Tisch-
platten im Sinne von Gemälden können als Kuriosa betrachtet werden. In
einzelnen Beispielen sind sie Museumsstücke ersten Ranges, wie der be-
rühmte Behamtisch im Louvre und wie die Holbeinsche Tischplatte im
Zürcher Museum. Ihr Erfindungsreichtum kann den Kunstfreund stundenlang
fesseln. Schade, daß der Holbeintisch böse mitgenommen ist, und daß man
darauf vieles mehr erraten muß, als sehen kann. Die Tischplatte mit den
*) Die überreiche Literatur über italienische Renaissance kommt dabei in Frage
mit einzelnen Stellen und mit Aufsätzen und ganzen Büchern. Hervorzuheben wäre
Olga v. Gerstfeld: „Hochzeitsfeste der Renaissance in Italien“ (1906, 6. Bändchen der
Pöppschen: Führer zur Kunst), ferner „The Burlington Magazine of fine arts“ vom
Dezember 1906, dann besonders Paul Schubring: „Cassoni“ (1915, Leipzig, Hierse-
mann). 1916 wurde angemerkt ein Aufsatz von Paul Kristeller in „Kunst und Hand-
werk“, S. 145ff., Arbeiten, in denen noch weitere Schriften zur Sache genannt werden.
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SELTSAMKEITEN AUF DEM GEBIET DER MALEREI.
Vom Herausgeber.
Die langen Reihen des Gewöhnlichen an Kunstwert, an räumlicher Aus-
dehnung, ein endloser Zug des Alltäglichen in bezug auf Entstehungsart
liegen vor uns. Wir nehmen sie hin, ohne darüber in Unwillen oder freu-
dige Aufregung zu geraten. Den Unwillen haben wir für das ganz Schlechte,
die freudige Erregung für die Hochleistungen der Kunst. Diese, nicht zu-
letzt auch die guten Bilder, reden jedesmal mit eigenartiger Sprache zu uns.
Der Begabte, Feinspürige versteht diese Sprache, und für ihn hebt sich das
künstlerisch Bedeutende und die vollendete Technik vom Geringeren und
Geringen jederzeit merklich ab.
Weitere Gegensätze zum Gewöhnlichen sind aber in allerlei Seltsam-
keiten zu finden, die nicht die besondere Vollendung oder auffallende
künstlerische Schwäche der Kunstwerke betreffen, sondern in anderer Weise.,
durch ganz eigenartige Erfindung, durch sonderbare Entstehung, Technik,
spätere Verwendung, ja durch ungewöhnliche Kleinheit oder Größe sich
von der Masse des Gebräuchlichen abheben. In diesem Sinn ungefähr
meine ich die: Seltsamkeiten, die Kuriosa, von denen im folgenden gehandelt
wird. Übrigens will ich durchschnittlich das künstlerisch Bessere unter den
kuriosen Malereien bevorzugen und das Schlechte abweisen, auch wenn es
noch so drollig, wunderlich und selten sein sollte. So schließe ich eigent-
liche Möbelbilder zumeist aus, obwohl sie als richtige Zier von Möbeln
selten genug und gelegentlich beachtenswert sind. Auf bemalte Truhen
und Schachteln sei nur hingedeutet; sie waren zur Zeit der Renaissance
in Italien, besonders im Florentinischen, beliebt, und an Cassonebildern
waren neben vielen mittelmäßigen auch gute Künstler tätig. Die Malereien
dieser Art sind bekannt genug und haben schon von anderen eingehende
Würdigung erfahren.*)
Geringere Beachtung ist bisher den bemalten Tischplatten zuteil
geworden, die ihrer Natur nach viel seltener sind als Truhengemälde. Der
Tisch als Gebrauchsgegenstand widerstrebt geradeswegs der Bemalung seiner
Platte. Auf dem Tisch wird ja gegessen, gearbeitet. Wie selten ist ein Tisch
reine Zierde und Gegenstand ruhiger, sinnender Betrachtung. Bemalte Tisch-
platten im Sinne von Gemälden können als Kuriosa betrachtet werden. In
einzelnen Beispielen sind sie Museumsstücke ersten Ranges, wie der be-
rühmte Behamtisch im Louvre und wie die Holbeinsche Tischplatte im
Zürcher Museum. Ihr Erfindungsreichtum kann den Kunstfreund stundenlang
fesseln. Schade, daß der Holbeintisch böse mitgenommen ist, und daß man
darauf vieles mehr erraten muß, als sehen kann. Die Tischplatte mit den
*) Die überreiche Literatur über italienische Renaissance kommt dabei in Frage
mit einzelnen Stellen und mit Aufsätzen und ganzen Büchern. Hervorzuheben wäre
Olga v. Gerstfeld: „Hochzeitsfeste der Renaissance in Italien“ (1906, 6. Bändchen der
Pöppschen: Führer zur Kunst), ferner „The Burlington Magazine of fine arts“ vom
Dezember 1906, dann besonders Paul Schubring: „Cassoni“ (1915, Leipzig, Hierse-
mann). 1916 wurde angemerkt ein Aufsatz von Paul Kristeller in „Kunst und Hand-
werk“, S. 145ff., Arbeiten, in denen noch weitere Schriften zur Sache genannt werden.
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