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Studien und Skizzen zur Gemäldekunde — 4.1918/​1919

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Frimmel, Theodor von: Zeitgemässe Kunstbetrachtungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.52777#0128

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rasch vergessen wollen, etwa weil nun das Blutvergießen und sinnlose Ver-
nichten von Hab und Gut wesentlich eingeschränkt ist und fast aufgehört
hat.*) War der kriegführende Mensch in den Zustand des boshaften Affen
zurückgefallen, so bildete sich der Künstler in vielen Fällen zum kritzelnden
Kind zurück. Freilich, gar manche Betrachter nehmen das einfältige Gesudel
des ärgsten Rückschrittes für hohe voranschreitende Kunst und sind wohl auch
davon entzückt, da es ihrem eigenen Gefühlkreis entspricht. Habeant sibi! Sie
mögen sich diese Kunst behalten. Ohne Zweifel liegt doch auch hier die Not-
wendigkeit zutage, und die Rückbildungen und Mißbildungen entstehen immer
dann und dort, wann und wo sie es müssen. Es ist aber auch noch gesun-
der Boden wirklich wertvoller neuer und neuester Kunst zu finden, sogar in
weiten Strecken. Über die dürren Gefilde veralteter Kunst ist ja längst ein
erfrischender, neuer Hauch hingezogen. Vielversprechende Keime allerorten.
Es besteht nur vorläufig noch die Gefahr, daß der gemalte Blödsinn zur
Herrschaft gelange, so wie es dem sozialen Bolschewismus vorübergehend
gelungen ist, herrschend aufzutreten. Zum gemalten Blödsinn rechne ich
z. B. die Nachahmung Cezannes, die ganze Reihen von Künstlern beherrscht!
Wenn’s einer doch nicht trifft, auf der Fläche wiederzugeben, was er sieht,
so braucht er sich nicht erst vors Motiv hinzusetzen und blau gerändertes
Obst oder dergleichen „nach der Natur“ zu malen. Cezanne war ja ein ganz
eigenartiger Schwachkopf, dem immerhin eine gewisse kunstgeschichtliche
Bedeutung zukommt, als einem derjenigen, die mit schwachem Talent vieles
Aufsehen gemacht haben. Nimmermehr aber kann er die Bedeutung eines
guten künstlerischen Vorbildes beanspruchen. Da seine Sachen einfach schlecht
sind, ist ihre Nachahmung verhältnismäßig leicht, und so hat er einen ganzen
Schwarm von Nachtretern hinter sich. Das Nachgeahmte gilt aber nichts in
der Kunst, nicht einmal, wenn es viel bedeutenderen Vorbildern entspricht
als einem Cezanne. Die Nachtreter, auch wenn sie bedeutenderen Künst-
lern nachfolgen, machen nicht die Kunsthöhe aus, sondern bilden immer
nur die breiten Niederungen, die jetzt in beängstigender Weise überhand-
nehmen. Die Tausende von Nachahmern der älteren Richtungen, die
Tausende von Nachbetern neuerer Kunstarten, sie wollen alle leben, ge-
nießen. Was bieten sie aber der Menschheit durch ihre kostspielige Tätigkeit?
Will man die Frage ohne jede Gefühlsduselei beantworten, so muß man
sagen: sie bieten nichts oder verschwindend wenig Schon in der ersten
Kriegszeit habe ich Künstlern, die nicht an der Spitze marschieren und die
keine wirklichen Vorkämpfer sind, geraten, andere, nützlichere Beschäftigungen
zu ergreifen, um zu leben und sich den Mitlebenden nützlich zu erweisen.
Es gibt heute viel zu viele Künstler und zu viele Dilettanten. Die Stufe des
Könnens ist sehr niedrig bemessen. Noch dazu die angedeutete Art von
Massenwahnsinn, der auch manche bedeutende Talente an sich zu reißen
droht. Manche, die etwas konnten, werfen das bisherige Können weg, um nur
ja recht modern zu sein. Der sonst sehr gerechtfertigte Zug zum Dekorativen,
ein bewußter Gegensatz zum abgelebten Naturalismus und Realismus**), wird

*) Das Vernichten von Hab und Gut klingt noch an in den Skandalen der
20.000 Moutons putrifies in Paris und in der Wiener Sauerkrautgeschichte.
**) Dazu meine Besprechung der Ausstellung im Wiener Künstlerhaus im vor-
hergehenden Heft.
 
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