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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 10.1919-1920

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Walden, Herwarth: Künstler Volk und Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.37115#0018

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oder daß das Wortkunstwerk wirtschaftliche
Offenbarungen vergeistigen müsse. Die gei-
stigen Arbeiter Meißen Dilettanten, die sie
waren, auch wenn sie ihre unglückliche Liebe
dem zuwenden, was man Expressionismus
nennt.
Es gibt nur eine Frage der Tatsachenwelt
und das ist die wirtschaftliche Frag-e. Sie
ist längst von Karl Marx und Friedrich
Engels beantwortet. Es handelt sich darum,
diese Antwort zu versinnlichen. Hierzu sind
nur Künstler berufen, Menschen also, die
schöpferisch sind und Schöpferisches gestal-
ten können. Die Dilettanten in der Kunst
machen ausderwirtschaftlichenBewegung eine
Lohnbewegung und die geistigen Arbeiter aus
der künstlerischen Bewegung eine Literatur-
bewegung. Sie bilden Genossenschaften und
verwirklichen Träume. Sie wollen vor allem
Führer einer neuen Gesellschaft sein, der sic
nicht einmal Handlangerdien ste leisten können.
Sie reichen ihr falsches Material zu. Anderes
Material ist noch keine Kunst. Und Mate-
rial ist nie schöpferisch, auch wenn manche
Alenschen unter Glas besser träumen können
als unter Eisen. Träumen ist nämlich noch
keine Kunst. Und durch eine gute Idee, auch
durch eine radikale Idee, läßt sch das
Schöpferische nicht ersetzen.
Kunst ist stets Gemeingut des Volkes ge-
wesen, Das hat keine Regierung je verhin-
dern können. Nur hat das Volk sein Gemein-
gut schwer vernachlässigt. Die Besitzenden
haben Güter genug und körnen ohne
das Gemeingut auskommen. Trotzdem, ver-
mauern sie das Gemeingut durch Kunstan-
gestellte und geben dem sogenannten Volk
einen Ersatz in der Volkskunst.
Darin hat sich auch nach der Revolution
nichts geändert. Herr Sudermann veran-
staltet für das Volk nach wie vor heiter Fröh-
liche Abende, unfähige Schauspieler machen
Klassikervorstellungen mit sogenannten billi-
gen Preisen, die Stadt Berlin kauft für eine
geplante städtische Sammlung echte Corinths
und unechte Expressionisten, die radikale
Presse empfiehlt Eulenberg statt Hebbel und
Hasenclever statt Schiller. Sozialdemokra-
tische Alinister und Anwälte dichten demo-
kratische Fuldareime und die größte künst-
lerische Errungenschaft der Revolution ist,
daß Christus ungeniert die Bühne betreten

darf. Um nichts zu vergessen: die Akademie
der Künste hat einige Dilettanten unter
vierzig Jahren in ihre Reihen aufgenommen.
Und in Neubünden schließen sich die übrigen
nicht aufgenommenen Dilettanten als Selbst-
beauftragte zusammen.
Hierzu wird noch die Internationale des
Geistes gegründet. Die Berühmtheiten kön-
nen wieder einmal ihren Namen drucken
lassen, sie dürfen mit einem echten Franzo-
sen, Herrn Romain Rolland, korrespon-
dieren, der zwar in der Schweiz wohnt und
den kein künstlerischer Franzose für einen
Künstler hält; trotzdem er eine geistige Idee
vertritt. Die Dilettanten reichen sich die
Hände zur Versöhnung.
Künstler der Erde, können wir uns hassen,
da wir uns nicht lieben. Können wir uns
Leben, da wir uns nicht hassen. Die Kunst
ist über jedem Menschengeschehen. Wir
Künstler der Erde sind die Freunde der
Kunstwerke, nicht die Freunde der Künst-
ler, Wir sind keine Kollegen, denn wir haben
kein Amt. Wir sind keine Manschen, denn
wir wollen nichts für uns. Wir sind keine
Götter, denn wir brauchen keine Gläubigen.
Wir erschöpfen uns im Schöpferischen. Wir
gestalten, was uns bewegt. Wir bewegen,
was uns gestaltet. Wir erklären nicht die
Kunst, wir klären uns in der Kunst, In uns
wird das Vieldeutige eindeutig, das Eindeu-
tige vieldeutig. Denn die Kunst ist das faß-
bare Wunder des unfaßbaren Wunders des
Lebens.
Die Kunst kommt nur dann zum Volk, wenn
das Volk zur Kunst kommt. Die Kunst will
nicht begriffen werden, denn, sie ist wirklich
frei. Der Mensch nimmt, auch wenn er gibt.
Die Kunst gibt. Sie ist ewige Bewegung, des-
halb kann sie nicht gefaßt werden. Sie macht
die Traurigen heiter und die Heiteren trau-
rig, Sie gibt, jedem, was er nicht hat. So
macht sie jeden Alenschen vollkommen, der
sich ihr ergibt. Wer sie nur genießen will,
dem verschließt sie sich. Kunst ist ohne
Geschmack,
Kunst ist ohne Verstand. Kunst ist ohne
Liebe. Kunst ist ohne Menschlichkeit, Des-
halb ist die Kunst für jeden ein anderes, da
sie jedem das gibt, was er nicht hat. Des-
halb ist die Kunst die Erfüllung jeder Sehn-
sucht, Weil man sich nach dem sehnt, was

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