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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Walden, Herwarth: Mieczyslaw Szczuka
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0007

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Mieczyslaw Szczuka
(Mietschislaw Schtscuka)
Der 13. August 1927 ist ein schwarzer Tag
in den Annalen der Neuen Kunst und ganz
besonders der Neuen Kunst in Polen. An
diesem Tag verunglückte in der Tatra
Mieczyslaw S z c z u k a, der Führer der
polnischen Moderne. Szczuka war 29 Jahre
alt, als ihn der Tod erreichte (geb. 1898),
aber sein kurzes Leben war voll Kampf:
Kampf des erfinderischen Geistes und des
Mutes, der geführt wurde im Namen neuer
Formen und neuer Inhalte in der Kunst, und
im Namen einer neuen Kultur.
Szczukas erstes Wirken ist die Überwindung
des Akademismus und des bürgerlichen
Opportunismus, der die polnische Kunst all-
mächtig beherrschte. Als sich Szczuka vom
naturalistischen Realismus freigemacht hatte,
dem er übrigens mit seiner verblüffend
meisterhaften Zeichnung, seiner ungewöhn-
lichen systematischen Auffassung des Objektes
und der Kraft seines Ausdrucks glänzend
diente, ging er zu Experimenten an der
Form über, und zu den Problemen der
malerischen Faktur, die niemand in Polen so
gründlich analysierte wie er. Erfüllt von
der Sehnsucht nach Erkenntnis und Erobe-
rung neuer Werte, machte er selbständig
alle Entwicklungsstufen der modernen Kunst
mit. Man muß bedenken, durch wie lange
Jahre Polen vollständig isoliert war, da
weder ausländische Zeitschriften nach Polen
drangen, noch sonst von irgend einem Kon-
takt mit dem Ausland die Rede sein konnte.
Die glänzenden Resultate seiner eifrigen
Forschungen traten in den Arbeiten zutage,
die er in den Jahren 1920 und 1921 in
Warschau ausstellte. Damals zeigten sich

zum ersten Mal in Polen Bilder expressio-
nistischen und dadaistischen Charakters (1920)
und die Arbeiten des Suprematismus, und
Kubismus (1921). Gleichzeitig entstand eine
ganze Reihe Plastiken in Materialen wie
Zement, Blech, Eisen, Glas, Holz, Gips usw.
(1921).
Im Jahre 1923 wurden die Arbeiten Szczukas
vom „Sturm“ in Berlin ausgestellt. Unter
ihnen sind, außer Arbeiten von streng ab-
straktem Charakter, Grabmalprojekte (für
Zamenhof, Liebknecht, Dostojewski), Bühnen-
projekte, Arbeiten aus dem Gebiete des
abstrakten Films, ferner außerordentlich
interessante und originell gedachte Bücher-
entwürfe, in denen der Text mit plastischen
Zeichen kombiniert ist. Gleichzeitig stellt er
die ersten architektonischen Projekte aus.
Szczuka war bestrebt neue lebendige Formen
in der Plastik zu schaffen, die so genau als
möglich den Tendenzen und Forderungen
des modernen Lebens entsprechen. Bewußt,
daß eine Revolution in der Kunst Hand in
Hand mit dem Kampf um eine neue Gesell-
schaftsordnung, mit dem revolutionären
Kampf des Proletariates gehen muß. Deshalb
wurde Szczuka zum Mitarbeiter der kulturellen
Organisationen des polnischen Proletariates,
die unter legalen oder illegalen Bedingungen
schwere Kämpfe ausfochten. Er verband
die Arbeit an der Erneuerung der Kunst mit
der Arbeit an der Grundlegung einer neuen
proletarischen Kultur. Er nahm teil an der
Herausgabe von Arbeiterbücher und führte
neue Methoden der Agitation ein, indem er
durch plastische Werte und neue graphischen
Systeme zu wirken suchte. Plakate (das
ausgezeichnete Amnestie-Plakat 1926), Mit-
arbeit an den Arbeitertheatern.
Im März 1924 gründete Szczuka gemeinsam
mit der ihm am nächsten stehenden Arbeits-

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