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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 7
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Ring, Thomas: Der Mann der den Sturm aus dem Sack liess
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0110

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Der Mann der den Sturm aus dem Sack liess

Thomas Ring
Es war einmal ein Publikum, es ist ein
Publikum und es wird ein Publikum sein.
Diesem Publikum begegneten statt der ge-
wohnter Perfektisten die Futuristen. Da es
aber gewohnt ist, alles noch nicht Da-
gewesene mit Impotenz zu konjugieren, lief
es zur Presse und das war eine Fruchtpresse.
„Bunihäutige Tölpel, Neger im Frack, Horde
farbespritzender Brüllaffen, ästhetische Gigerl,
gellende Clownsprünge, Praß von Talent-
losigkeit, Hohlheit technischer Spielereien“
preßte sie die Frucht ihrer Zeit zu Stilblüten.
Wer hätte auch ahnen können, daß man die
Häuptlinge dieser anmaßlichen Theoretiker
einmal als Professoren mit konkretem Gehalt
einsetzt, soweit man ihnen nicht zur Ex-
pression ihrer Därme eine Granate vorsetzte.
Inzwischen war nämlich Krieg ausgebrochen,
wie man den Einbruch derer, die was kriegen
wollen, nennt. Da sollte der „Sturm“ auf
seinem letzten Loch im Herbstsalon gepfiffen
haben, meinte das Publikum, das war und ist
und sein wird. „Vierzehn Tage Schützen-
graben werden dich kurieren,“ meckerte dem
toten Dichter ein Tintenfuchs in sein Kriegs-
grab hinein. Wie überall siegten auch hier
die Etappenhengste. Der Expressionismus
der Kunstmarketender wurde zu ästhetischen
Damentees genossen, als die große Zeit sich
immer mehr dem Ersatz zuneigte. Das
deutsche Wesen hat ja sogar eine Revolution
ins Genesungsheim „Bürgerfriede“ mani-
festiert, warum sollen da nicht ausgleichs-
halber einige Blumen an Parfümerieläden
etwas eckiger zugeschnitten werden. Man
sah den Walden vor lauter Bäumlingen
nicht. Dafür begann nun die Jagd nach dem
Glück, einen Chagall oder Kandinsky im

West- oder Flechtheimchen zu besitzen. Wer
mit Getreide handelt, wird auch vom Klee
was verstehen. Wie sie so sinnig hängen,
die doch bei frischem Oel und Wasser so
stümperhaft aussahen. Jedes Kunstblätichen
kann sich wenden. Eine Reihe buntscheckiger
Schießscheiben kauften sich die Noskes der
Kunst, bis sie im Grau der neuen Sachlich-
keit wieder feste druff aufbauen konnten.
Die Schießbudenfiguren waren, sind und
werden sein. Sie stehn um Kunstwerke
herum, um sie zu besitzen. Die Kunst ist
aber nicht der Sack, mit dem das Publikum
Katzen kaufen geht, sondern der Sturm, der
die Begriffshüte und Bildungsbrillen weg-
fegt. Was soll die Genießerruhe der Abge-
klärten, wo die Sozialverhältnisse im Rollen
sind und der Ideenbau so wolkenkrafzerisch
verstockt und der Kultursauger des revo-
lutionären Vakuums noch nicht angekurbelt
ist. Wenn ein Mann dies erkannte, als
Alles noch in Friedensbutter schmorte, so
mußte man ihm natürlich mit dem Kriegsfuß
sittlicher Entrüstung auf die Zehen treten
Gegen den Tausendfüßler des deutschen-
Idealismus ist kein Kukirol gewachsen, er ist
Hahn im Korbe der Stahl- und Chemietrusts
und blicktmit blinden Hühneraugen in Proleten-
löcher und auf Künstlermanifeste. Er hält
selbst den Staat der Sowjets für ein ungelegtes
Ei und die Berichte des Mannes im „Sturm“
sind ihm Gaukel-Eier der Flecken im Monde.
Was soll da ein Ministerium dieses Mannes
gedenken, wenn es die Panzerkreuzer des
anderen Ministeriums mit Kulturkanonen zu
spicken hat Man muß eben sehn, wie der
falsche Hase läuft. Willst du nicht dieLämmlein
hüten, so mußt du mit den Wölfen heulen.
Wer aber Sturm ist, der bläst über das Land,
mögen sich die Blindgänger dagegen stellen
oder Profitmühlen damit treiben.

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