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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 2/3
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Broby-Johansen, Rudolf: Gruss an Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0023

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Gruss an Dürer
Broby Johansen / Kopenhagen
Rede gehalten im Nürnberger Künstler-
verein am 12. April 1928
Ich möchte Dürer nicht als nationalen und
lokalen Held oder kunstgeschichilich be-
deutende Persönlichkeit, sondern als aktuelle
Erscheinung begrüssen.
Wir Jungen, die wir noch so jung sind, daß
wir noch nicht in Frieden zu leben brauchen
und deshalb alle Kompromisse verachten,
die notwendig für den Frieden sind, wir, die
wir im allgemeinen und besonderen überall
auf der Kampflinie stehen, wir, die wir noch
so jung sind, da wir die Überzeugung haben,
daß es eine Wahrheit gibt und daß wir sie
ganz besitzen. Wir stehen in der jetzigen
Epoche in einem sehr schweren Kampf, der
auf allen Gebieten viel schärfer ist als der
der Generationen vor uns. Wir müssen die
Wirklichkeit auf eine ganz neue Weise er-
obern. Wo man sich früher mit allgemeinen
Stimmungen und unbestimmten Instinkten
zufrieden geben konnte, müssen wir heute
die objektiven Tatsachen nach klaren, kon-
struktiven Grundsätzen bezwingen.
Wir mögen nicht die formelle Feierlichkeit
sehr gern, weil sie viel zu leicht fehlende
innere Überzeugung decken kann. Deshalb
spreche ich nicht vom großen Meister Albrecht
Dürer, vielmehr vom Herrn Dürer oder ich
könnte besser sagen Kollegen Dürer, oder
noch besser vom Kameraden Dürer.
Für uns ist Dürer: Erstens der Realist, der
keine Stimmung macht, sondern die nüchterne
Wirklichkeit immer vor Augen hat. Wir,
die wir erlebt haben wie weit große Stimm-
ungen - z. B. patriotische - tragen können,
versuchen immer wieder die nüchternen
Tatsachen klar zu beobachten und verstehen.

Zweitens ist uns Dürer der Kubist. Ein
Künstler, der bewusst theoretisch arbeitet.
Der in seinem ganzen Werk rationell zu
sein sucht. Der an keine metaphysischen
dunklen Kräfte glaubt, sondern mit dem
klaren Scheinwerfer seines künstlerischen
Intellekts sucht und arbeitet. Wenn man
uns Modernen vorwirft, daß wir dem Intellekt
zu viel vertrauen, müßte man antworten,
daß man diesen Vorwurf gegen Dürer richten
sollte, weil er das durchführt, was wir
versuchen.
Drittens aber ist unser Dürer überhaupt
der Ketzer, der sich gegen die Autoritäten
auflehnt, der Freund der drei gottlosen
Maler Hans Seebald, Berthel Beham und
Georg Pencz, die alle drei verbannt wurden.
Ich spreche hier nicht politisch, obwohl ich
als junger Mensch die ganze blutige Ver-
antwortung eines jetzigen Menschen gefühlt
habe und klar politisch eingestellt bin. Ich
will hier nur sagen, daß die ältere Generation
uns eine Welt übergeben hat, die überall und
auf allen Gebieten Bankrott erlitten hat.
Wir sind gezwungen, den alten Autoritäten
sehr schroff gegenüber zu stehen. Und
brauchen eben deshalb, um festzustehen, die
wenigen Vorbilder in der Geschichte, die den
Hals nicht unter das Joch gebeugt, sondern
als Pflicht gefühlt haben, ihr Menschentum
frei und unbedingt herauszusagen.
Man muß es mir verzeihen, daß ich als
lebender Mensch es einen Augenblick als
meine Pflicht gefühlt habe, durch den Wald
von flatternden Fahnen, die Haufen von
ausgebrannten Fakeln, die schön gemalten
Sprüche und hübsch geputzten Messing-
initialien, die welkenden Ehrenkränze eine
lebendige Menschenhand hinzusirecken, um
die warme bluterfüllte Hand des Menschen
Dürer zu erreichen. Gewiß greife ich in den
leeren Raum.

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