Marionettenspiel
Jovan Popovitsch
Drei Grammophone stehen im Vordergründe der
Bühne. Von Zeit zu Zeit sprechen sie, abwechselnd
oder zusammen. Ein unaufhörliches Dröhnen, wie
unter der Erde, hört man stets, der Betrieb eines
verborgenen Mechanismus, der alles, was geschieht,
treibt. Die Personen haben einen fantom-marionetten-
haften Schein.
Leute kommen uud gehen, wimmeln, die Grammo-
phone stehen unbewegt.
GRAMMOPHON 1: Devisen stiegen. Saaten
sind vernichtet. In China Hunger.
Auf vielen Seiten Hunger.
GRAMMOPHON 2: Transcendente Realität
des Bewußtseins, oder immanente
Relativität? Mafalda versunken.
Tausende Toter.
GRAMMOPHON 3: Der Völkerbund will
Friede.
RADIOTELEFON: Geheime Bewaffnung in
Ungarn. In Italien. Überall. Muni-
iionsschmuggel. Krieg am Horizont
MENSCH 1: Schon drei Tage habe ich nichts
gegessen. Schon drei Monate bin
ich arbeitslos. Meine Familie stirbt
vor Hunger.
MENSCH 2: Ich muß meiner Frau einen
neuen Hut kaufen. Sie macht mir
wieder hysterische Szenen. Das
Leben ist schwer.
MENSCH 1: Wir sterben vor Hunger.
SCHAUSPIELER (nachahmend): Wir sterben
vor Hunger. — Sehr gut. Kräftig
und effektvoll. Nur ein wenig mehr
Pathos.
BANKIER: Ja, ich kann das vollkommen
verstehen. Ja, lieber Freund, ich kann
vollkommen miifühlen. Ich bin sehr
empfindlich. Einmal habe ich nicht
Abendbrot gegessen. Ja, ja. Adieu.
DIRNE: (geht vorüber, ausrufend äugelnd
und sich schüttelnd.)
JUNGER MANN 1: Nur eine Nacht!
JUNGER MANN 2: Nur hundert Mark.
Weiber gehen vorüber in langem Zug, die Füße
verflechten sich in ein erotisches dekoratives Ganze.
Männer starren nach ihnen erhitzt.
GRAMMOPHON 2: Der bestirnte Himmel
über uns, die sittlichen Gesetze in uns.
RADIOTELEFON: Sacco und Vanzetti auf
dem elektrischen Stuhl.
KÜNSTLER: Alle Lügen, Traditionen zer-
stören. Den Papierberg anfeuern,
und nackt und neu der Morgenröte
entgegen gehn. Alle Vorhänge
zerreißen, das Absolute sehen.
GRUPPE: Dies ist ein gefährlicher Wahn-
sinniger. Achtung.
RADIOTELEFON: Neuer Versuch Ocean-
überfliegens. Requiem für Nungesser
und Colli. Hoch! Hoch lebe der
neue Ikarus-Lindbergh!
KAUFMANN 1: Fünf Millionen Mark. Ich
Esel, ich Trottel, und konnte es nicht
vorausrechnen. Man sollte mich auf
den Misthaufen werfen. Die Speku-
lation mit der Militärernährung war
immer eine der rentabelsten. Ver-
lust von fünf M-i-l-l-i-o-n-e n Mark.
Und was ich erst verdienen konnte.
JÜNGLING: Aber lieber Großvater, die Men-
schen sterben ja vor Hunger, Mensch-
abschlachtungen, es sind, die alles
auf der Welt verloren, und ihr schreit
hier von euren Millionen, foltert mit
ihnen wie einem Fantom alle Leben-
den. Das Leben ist tragisch und
groß, ihr aber macht eine wohl- oder
mißlungene Spekulation daraus.
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Jovan Popovitsch
Drei Grammophone stehen im Vordergründe der
Bühne. Von Zeit zu Zeit sprechen sie, abwechselnd
oder zusammen. Ein unaufhörliches Dröhnen, wie
unter der Erde, hört man stets, der Betrieb eines
verborgenen Mechanismus, der alles, was geschieht,
treibt. Die Personen haben einen fantom-marionetten-
haften Schein.
Leute kommen uud gehen, wimmeln, die Grammo-
phone stehen unbewegt.
GRAMMOPHON 1: Devisen stiegen. Saaten
sind vernichtet. In China Hunger.
Auf vielen Seiten Hunger.
GRAMMOPHON 2: Transcendente Realität
des Bewußtseins, oder immanente
Relativität? Mafalda versunken.
Tausende Toter.
GRAMMOPHON 3: Der Völkerbund will
Friede.
RADIOTELEFON: Geheime Bewaffnung in
Ungarn. In Italien. Überall. Muni-
iionsschmuggel. Krieg am Horizont
MENSCH 1: Schon drei Tage habe ich nichts
gegessen. Schon drei Monate bin
ich arbeitslos. Meine Familie stirbt
vor Hunger.
MENSCH 2: Ich muß meiner Frau einen
neuen Hut kaufen. Sie macht mir
wieder hysterische Szenen. Das
Leben ist schwer.
MENSCH 1: Wir sterben vor Hunger.
SCHAUSPIELER (nachahmend): Wir sterben
vor Hunger. — Sehr gut. Kräftig
und effektvoll. Nur ein wenig mehr
Pathos.
BANKIER: Ja, ich kann das vollkommen
verstehen. Ja, lieber Freund, ich kann
vollkommen miifühlen. Ich bin sehr
empfindlich. Einmal habe ich nicht
Abendbrot gegessen. Ja, ja. Adieu.
DIRNE: (geht vorüber, ausrufend äugelnd
und sich schüttelnd.)
JUNGER MANN 1: Nur eine Nacht!
JUNGER MANN 2: Nur hundert Mark.
Weiber gehen vorüber in langem Zug, die Füße
verflechten sich in ein erotisches dekoratives Ganze.
Männer starren nach ihnen erhitzt.
GRAMMOPHON 2: Der bestirnte Himmel
über uns, die sittlichen Gesetze in uns.
RADIOTELEFON: Sacco und Vanzetti auf
dem elektrischen Stuhl.
KÜNSTLER: Alle Lügen, Traditionen zer-
stören. Den Papierberg anfeuern,
und nackt und neu der Morgenröte
entgegen gehn. Alle Vorhänge
zerreißen, das Absolute sehen.
GRUPPE: Dies ist ein gefährlicher Wahn-
sinniger. Achtung.
RADIOTELEFON: Neuer Versuch Ocean-
überfliegens. Requiem für Nungesser
und Colli. Hoch! Hoch lebe der
neue Ikarus-Lindbergh!
KAUFMANN 1: Fünf Millionen Mark. Ich
Esel, ich Trottel, und konnte es nicht
vorausrechnen. Man sollte mich auf
den Misthaufen werfen. Die Speku-
lation mit der Militärernährung war
immer eine der rentabelsten. Ver-
lust von fünf M-i-l-l-i-o-n-e n Mark.
Und was ich erst verdienen konnte.
JÜNGLING: Aber lieber Großvater, die Men-
schen sterben ja vor Hunger, Mensch-
abschlachtungen, es sind, die alles
auf der Welt verloren, und ihr schreit
hier von euren Millionen, foltert mit
ihnen wie einem Fantom alle Leben-
den. Das Leben ist tragisch und
groß, ihr aber macht eine wohl- oder
mißlungene Spekulation daraus.
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