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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 8
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Blümner, Rudolf: Die Ohrfeige: Literarisches Kasperletheater
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0119

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Die Ohrfeige
Literarisches Kasperletheater
Rudolf Blümner
Ein leeres Zimmer. Links auf einem Stuhl sitzt
Herr A. und liest in der Zeitung. Von rechts
kommt Herr B. und gibt ihm eine Ohrfeige.
Herr A. springt auf und legt die Zeitung auf den Stuhl.
A. : Wie können Sie sich erlauben, mir eine
Ohrfeige zu geben?
B. : Ich habe Ihnen eine Ohrfeige gegeben?
A. : Jawohl, Sie haben mir eine Ohrfeige ge¬
geben.
B. : Wann habe ich Ihnen eine Ohrfeige ge¬
geben?
A. : Erst kürzlich. Es können kaum fünf
Minuten vergangen sein.
B. : Ich kann mich auf nichts besinnen. Sie
müssen geträumt haben.
A. : Wie kann man so vergeßlich sein. Ich
saß auf diesem Stuhl —
B. : Richtig — jetzt erinnere ich mich wieder.
A. : Das beruhigt mich. Dann werden Sie
sich auch erinnern, womit ich gerade be-
schäftigt war.
B. (denkt nach): Womit waren Sie doch be¬
schäftigt? Lassen Sie mich nachdenken.
A. : Strengen Sie nur Ihr Gedächtnis ein wenig
an. Es muß Ihnen in den Sinn kommen.
B. : Sie saßen auf dem Stuhl —
A. : Jawohl. Ich saß auf dem Stuhl und —
und — nun?
B. : — und putzten Ihre Brille!
A. (enttäuscht): Nein. Ich trage gar keine Brille.
B. : So, so. Sie tragen keine Brille. Das
wundert mich aber sehr. Was taten Sie
denn, wenn Sie Ihre Brille nicht putzten?
Kommen Sie meinem Gedächtnis zu Hilfe.
A. (tritt etwas vom Stuhl zurück und zeigt mit
diskreter Geste auf die Zeitung): Nun?
Dämmert es Ihnen allmählich?

B.: Ja, so dunkel. Gleich komme ich darauf.
Wenn mich die Erinnerung nicht täuscht,
so lasen Sie.
A. : Bravo! Ausgezeichnet geraten. Und nun
werden Sie auch sagen können, worin ich
gelesen habe.
B. : Worin? Hm. Es könnte — aber ich kann
mich auch irren — Theodor Däublers
Nordlicht gewesen sein.
A. (wird leichenblaß): Großmächtiger Vater im
Himmel — wie kommen Sie darauf?
B. : Verzeihen Sie, ich habe mich versprochen.
Ich wollte sagen: Arno Holz’ Phantasus.
Hab ich’s getroffen?
A. (braust auf, krebsrot): Herr! Sie wissen
wohl nicht, wen Sie vor sich haben?
B. : Oder sollte es wirklich und wahrhaftig — ?
Ja, so ist’s! Sie lasen in Gerhart Haupt-
manns Till Eulenspiegel!
A. : Jetzt reißt mir die Geduld! Sie treiben
Spott mit mir. Nicht nur, daß Sie mir
ohne jeden Grund eine Ohrfeige geben —
B. : Ich habe Ihnen eine Ohrfeige gegeben?
A. : Jawohl. Fangen Sie nicht wieder von
vorn an.
B. : Wann habe ich Ihnen eine Ohrfeige ge¬
geben?
A. : Es ist noch keine zwei Stunden her.
B. : Saßen Sie damals nicht auf dem Stuhl?
A. : Allerdings, ich saß auf dem Stuhl und
putzte meine Brille.
B. : Jetzt flunkern Sie aber. Das hätte ich
doch sehen müssen.
A. : Ich hoffe, daß Sie meine Worte nicht in
Zweifel ziehen.
B. : Wo haben Sie denn die Brille hingetan?
A. : Kümmern Sie sich nicht um meine Familien¬
verhältnisse. Wenn ich sage, daß ich meine
Brille geputzt habe, dann habe ich sie
geputzt. Ohne geputzte Brille hätte ich
nie und nimmer in Theodor Däublers
Nordlicht lesen können.
B. : Schau, schau! Sie wollen in Herrn Theodor
Däublers Nordlicht gelesen haben?
A.: Trauen Sie mir das etwa nicht zu? Sie
kennen mich nicht.

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