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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 7
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Collin, Ernst: Herwarth Walden und die Kunstkritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0111

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Herwarth Walden und die Kunstkritiker

Ernst Collin
An dieser Stelle, an der schon so manches
scharfe Wort über und gegen (kaum jemals
wohl für) die Kunstkritik gesagt worden ist,
wird es einem Kunstkritiker sicher erlaubt
sein, einmal rückhaltlos seine Meinung über
das Verhältnis Waldens zur Kunstkritik zu
äußern. Soweit hier von Verhältnis über-
haupt die Rede sein kann. Unter Verhältnis
stellt man sich nämlich im deutschen Sprach-
gebrauch sehr innige und liebevolle Beziehun-
gen vor. Und daß diese zwischen Herwarth
Walden und der Kritik bestehen, wird nie-
mand behaupten wollen. Auch nicht an
Waldens 50. Geburtstage.
Wer Herwarth Walden kennt, weiß, daß es
eine seiner markantesten Eigenschaften ist,
rückhaltlos seine Meinung zu sagen. Daß
er hierbei auch die Kunstkritiker nicht aus-
genommen hat, muß man ihm als taktischen
Fehler anrechnen. Daß er den aber begangen
hat, muß die Achtung vor dieser einzigartigen
Persönlichkeit nur erhöhen. Denn sich ins
eigene Fleisch zu schneiden, dazu gehört ein
Mut, den man anerkennen muß. Es wäre
für ihn sicher bequemer gewesen, und äußere
Vorteile hätte es ihm gebracht, wäre er mit
den Kritikern glimpflicher verfahren, hätte
er mit ihnen geliebäugelt oder ihre Meinung
Meinung sein lassen. Aber dann wäre
Her warth Walden eben nicht Her warth Walden,
nicht der rücksichtslose Bekenner seiner Ideen,
nicht der Mann, der sich für das, was er
für richtig und gut hält, auch mit allen Fasern
seines temperamentvollen, kämpferischen
Wesens einsetzt.
Die Angriffe, die Walden im „Sturm“ gegen
die Kunstkritik gerichtet hat oder hat richten
lassen, rühren alle sicherlich daher, daß er

die Berechtigung einer Kritik an Kunst über-
haupt ablehnt. Er wird von denen, deren
Beruf und Lebensaufgabe die kritische Be-
schäftigung mit der Kunst ist, nicht erwarten
dürfen, daß sie ihm auf diesem Wege folgen.
(Genau so wenig, wie er zugeben würde,
daß das Verkaufen von Kunstwerken eine
Sünde wider den Geist der Kunst ist.) Aber
aus dieser Stellung Herwarth Waldens zur
Kunst erkennen wir, daß Kunst ihm etwas
Heiliges, Unantastbares ist. Wir erkennen
daraus seine tiefe Achtung vor dem Künstler
und vor dem künstlerischen Schaffensakt.
Weil wir das wissen, können wir Kunstkritiker,
auch wenn wir es wollten, dem Manne nicht
böse sein, der über uns so manches harte
und böse Urteil gefällt hat. Es ist immer
wieder für mich ein Genuß, die Kunstaus-
stellungen des „Sturm" zu besuchen, Herwarth
Walden mit der unvermeidlichen Zigarette
neben mir zu sehen und zu erkennen, wie
sehr ihm nicht nur die ausgestellten Werke,
sondern auch die Künstler am Herzen liegen.
Ich weiß dann, wie falsch diejenigen urteilen,
die in Herwarth Walden nur den negierenden,
auf ablehnende Kritik eingestellten Menschen
sehen. Gewiß erkennt er nur das an, was
er für gut hält, und weil er selbst eine scharf
ausgeprägte kritische Natur ist, hat er mit
den Kunstkritikern mehr gemein, als er selbst
ahnt. Und er wäre wohl einer der besten
deutschen Kunstkritiker geworden. Aber ein
Mensch wie Walden, der es sich zum Lebens-
ziel gemacht hat, wider den Strom zu
schwimmen und die Barrikaden spießbürger-
lichen Kunstverständnisses einzureißen, der
nur dem Neuen, Revolutionären Berechtigung
zuerkennt, muß einseitig sein und darf auch

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