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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 8
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Schwitters, Kurt: Ausgelaufene Handlungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0128

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Ausgelaufene Handlungen
Kurt Schwitters

Es ist manchmal nicht gut, wenn man auf
Bildern Handlungen darsiellt. Handlungen
sind gewiß sehr schön, aber sie regen doch
auf, und man weiß nicht, wie sie auslaufen
können. Das regt auf, furchtbar auf. Wenn
man daher Handlungen auf Bildern darstellt,
so tut man gut, sie gleich ausgelaufen dar-
zustellen. Da ist zum Beispiel ein wirklich
guter Genremaler, Name tut nichts zur Sache,
man kennt ihn immer an den runter-
gerutschten Strümpfen bei den Buben. Sie
kennen ihn sicher alle, denn er fällt immer
auf Dieser so wirklich gute Maler malt
sehr schön, so natürlich, aber sein eines
Bild, das mit dem Apfel, sollte lieber keine
Handlung haben. Denn das regt furchtbar
auf. Und wenn man es vier Wochen lang
ansieht, und die Handlung geht immer noch
nicht weiter, dann fragt man sich doch
endlich, wie das wohl auslaufen mag.
Sehen Sie, die Schwester hat es wahrschein-
lich dem alten Großpapa in die Ohren ge-
flüstert, daß der Bube den Apfel gestohlen
hat, denn der Großvater droht mit dem
Finger, und der Bube steht trotzig da-
(Mit viel Erfolg gastiert der lustige Isidor
im Friedrichstunnel.) Man denkt, der Groß-
vater müßte doch endlich mal den Apfel
sehen, den der Bube hinter den Rücken hält.
So etwas läßt auf die Dauer der Zeit un-
befriedigt. Man möchte dem Großvater
einen Siips geben, daß er endlich den Apfel
sieht. Das ist furchtbar aufregend. Ja, wenn
das Bild ein Gegenstück hätte, dann würde
das besser werden. Der Schrei nach dem
Pendant. Aus diesem Grunde hat der große
Genremaler ein Pendant gemalt, ein Pendant
zu dem mit dem Apfel hinter dem Rücken.

Ein Meisterstück. Aber ich muß da weiter
ausholen. Denn das Bild mit dem Groß-
vater ist auch schon ein Pendant, es ist das
zweite Bild. Auf dem ersten Bilde steht der
Bube, man erkennt ihn an den herunter-
gerutschten Strümpfen bekanntlich, und neckt
den Hund mit dem Stocke. Sehen Sie, das
ist auch so ein Bild, das man nicht länger
als vier Wochen ansehen kann ohne sich zu
fragen: warum beißt denn der Hund nicht zu ?
Und nun kommt das geniale Meisterstück Nr. 3.
Da malt dieser geniale Maler, der Name ist
ja überflüssig, das betreffende Gegenstück.
Der Bube klettert nämlich auf den Zaun und
der Hund reißt ihm der Einfachheit halber
seinen Hosenboden heraus. So etwas ist
edel, rein, hilfreich und gut, mit einem Wort
genial; aber nur wenn es gemalt ist, nicht
aber, wenn man es an seinen eigenen Kindern
erleben muß. Nun kann man ruhig schlafen,
der Konflikt ist gelöst. Die Handlungen sind
ausgelaufen, wobei auch die mit dem ge-
klauten Apfel ausgelaufen ist, und das spricht
zum Herzen. Man nennt das auf Deutsch:
Pendants. Wenn man das gesehen hat, dann
hat man ein Urteil über Kunst. Was sage
ich? Das Urteil über Kunst, und man er-
kennt, was gut und böse ist Gut war der
Hund, der den Hosenboden ausgebissen hat,
und böse war der Bube, der Aepfel klaut
und Hunde neckt, wenn wir ihm darüber auch
nicht gram sein können, denn wir haben
alle einmal so kleine Delikte ausgefressen.
Es ist nur gut, daß die Eier so billig sind.
Auf diese einfache Weise werden hölzerne
Fensterscheiben durchsichtig.

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