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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Walden, Herwarth: Wohnungssuche
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0021

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Wohnungssuche
Herwarth Walden
Die unbescheidene alte Frau mit der blau-
gestreiften Küchenschürze preßt das verärgerte
Gesicht gegen das Türglas. Ihr Auge prüft,
ob der Klingelnde für den Vordereingang
reif oder ob er auf die Angestelltentreppe
zu verweisen ist. Sie drückt mürrisch auf
einen Gummiball, die Renaissancetür gibt
sich einen Ruck und schon steht man im
Empire. Zwei schwerverstaubte Gipsengel
schauen beleidigt zur Decke, auf der
botanische Dinge in Oel angebracht sind.
Am Ende der Marmortreppe links und rechts
von dem schonerbedeckten roten Teppich
stehen verschüchtert zwei Oleanderbäume.
Sie sind sich nicht bewußt, daß sie den
hochherrschaftlichen Charakter darzusteilen
i haben. Elende Geschöpfe aus guter Familie,
die von der Küchenschürze gelegentlich ab-
gewischt werden und Sonntags das Gnaden-
wasser erhalten. Auf Klingeln öffnet sich
die Rokokoiür zur Luxuswohnung. Das
Dienstmädchen, aus diesem Jahrhundert,
besteht aus seidenen Strümpfen, Zierschürze
und Spitzenhäubchen. Eine Rotkohlwolke
ist hinter ihr gelagert. Hundert Geweihe
klammern sich an die Wände. Und die
neun Musen kommen sich in einem ver-
unglückten Labanreigen endlich deplaciert
vor.
„Der Herr Doktor sind nicht zu Hause.
Aber Sie sind wohl der Herr wegen der
Wohnung?“
„Hatte ich mit Ihnen am Telephon ge-
sprochen ? “
„Die gnädige Frau ist im Irrenhaus und wir
wollen uns verkleinern. Das ist zunächst
der Salon.“

Also hiervon kommt der Rotkohl. Hier
dürfte der unglückliche Hausherr essen, da
die Hausfrau im Irrenhaus ist. Wie oft mag
sie in diesen Trumeau gesehen hahen, der
von ihrer Schönheit leicht erblindet ist. Aber
die Bronzerosetten sind frisch geputzt. Auf
der Marmorplaite steht frisch und gesund
Aesculap persönlich nebst Schlange. Auch
seine Kunst konnte der Hausfrau nicht
helfen. Zwei Katzen aus Meißen mildern
den wissenschaftlichen Ernst der Situation.
Daneben das Rundsofa, vom Altmeister
Gobelin bezogen, leicht bedrückt, aber mit
Haltung durch einen spätgotischen Säulen-
umbau. Auf dem Ebenholztisch ein gepreßtes
Prachtwerk „Deutsche Bäder und Heilstätten“.
Daneben hält eine nackte Elfenbeindame
einen Aschbecher fest. Die Wand gegenüber
ist zwei Klubsesseln und der Kunst gewidmet.
Die angeschossenen Hasen auf dem einen
Bild freuen sich noch im Tode an dem
Rotkohlduft. Das andere Bild stellt das
ewige Meer dar. Es wird am Ueberfluten
seines Umfanges von zwei Quadratmetern
durch einen Goldrahmen gehindert. Damit
das Meer nicht mit dem Himmel verwechselt
wird, hat der Künstler sinnvoll ein Schiffchen
und eine Möve innerhalb der zwei Quadrat-
meter angebracht. Der Kronleuchter ist
wegen des Unglücksfalles in der Familie
mit Gaze dicht umhüllt.
„Das gibt der Herr Doktor für zwölftausend
Mark ab/'
„Wem?“
„Sie wollen doch die Wohnung mieten.“
„Auch den Aesculap?“
„Wo."
„Ist das die ganze Wohnung?"
Die Schiebetüren flattern auseinander.
„Das ist unser Speisezimmer. Seitdem die
gnädige Frau im Irrenhaus ist, speisen der
Herr Doktor im Operationszimmer."

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