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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 11/12
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Brinitzer, Carl: François Villon
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0182

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Francois Villon
Carl Brinitzer

C’estoit la mere nourriciere
De ceux qui n’avoient point d’argent.
A tromper devant et derriere
estoit un homme dilligent
(Repues franches)
Er peitschte das Leben und ward gepeitscht.
Spielte mit dem Leben, ein Spielball des Lebens.
In der Gasse geboren, an die Gasse verloren,
sang er sein Lied wild in die Welt hinaus.
Den Dolch in der Hand, das Lied auf der
Zunge, hetzte er als Strolch durch die Lande,
unstet wandernd, raubend und plündernd, arm
und geächtet.
Seine Zeit war wild, war die Zeit des hundert-
jährigen Krieges zwischen Frankreich und
England. Kriegsvolk und Pest wüteten. Arm
war Frankreich, blutend aus tausend Wunden.
Im Jahre, da auf dem Markte zu Rouen
„Jeanne, qui s’est fait nommer la Pucelle“ ver-
brannt wurde, im Jahre, da man ihre Asche
in die Winde, ihr Herz in die Seine warf,
ward zu Paris Francois Villon geboren, wie
Jeanne d’Arc Vorkämpfer der Freiheit, Kind
des Volkes.
Arm ward ich geboren.
Arm bin ich noch heute.
Vater und Großvater
Arme Leute.
Die Armut quält uns, will uns nicht
schonen.
Keiner der Reichen sich mild erbarmt.
Doch bei den Seelen, die Gott umarmt,
Da sieht man nicht Scepter, sieht man
Kronen. (Testament XXXV)
Aus seinem Testament klingen diese Worte.
Ewig ihr Klang. Ewig ihr Wert.

Schüler in den Kollegien der Faculte des Arts,
lebte er faul und darbend toll in den Tag
hinein.
Ach Gott! Wenn ich doch einst geschuftet
hätte
in jener wirren, wilden Zeit der Jugend.
Wenn ich gelebt ein Leben voller Tugend,
so hätt ich jetzt ein Haus, ein warmes Bette.
Zum Teufel! Wie ein fauler Wicht
Die Schule flieht, gab’s auch für mich dort
nie ein Bleiben.
Nun, da die müden Finger diese Worte
schreiben,
fehlt wenig, daß mein Herz mir bricht.
(Testament XXVI)
An den Unruhen der Studenten nahm er teil;
war Haupt einer Gaunerbande, die Paris durch-
zog, war Feind der Bürger und Freund der
Dirnen. —
Um eine Dirne schlug er sich mit einem Priester.
Erschlug den Priester; mußte Paris verlassen-
Trieb sich mit einer Diebesbande umher; schrieb
in deren Gaunersprache eine Anzahl Balladen.
Kehrte nach einem Jahr dann im Besitz zweier
Gnadenbriefe heim nach Paris. Doch er konnte
das Rauben nicht lassen. Erbrach mit Genossen
— unter ihnen auch ein Geistlicher — eine der
theologischen Fakultät des College de Navarre
gehörende Kasse, für seinen Teil hundertzwanzig
Taler erbeutend. Wieder mußte er flüchten.
Zog als Vagant durch die Welt. Kurzer Aufent-
halt an den Höfen des Herzogs von Orleans
und des Herzogs von Bourbon. Längerer
Aufenthalt im Gefängnis des Bischofs Thibault
d’Aussigny von Orleans, aus dem ihn LudwigXI.
auf seiner Krönungsreise befreite. Wieder zog
es ihn nach Paris. Wieder zog man ihn vor
Gericht. „Wegen Mangels an Beweisen“ wohl,
nicht weil er unschuldig war, wurde er frei-
gesprochen. Bald aber saß er wiederum auf
der Anklagebank. Bei einer blutigen Rauferei
hatte man ihn festgenommen. Er hatte das
bischöfliche Gericht verhöhnt. Sein Maß war

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