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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 2/3
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Walden, Herwarth: Vom Bolschewismus
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0029

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Vom Bolschewismus
Lieber Regierungsrat,
endlich komme ich zu dem versprochenen
Brief aus USSR, Sie nennen das Land noch
immer hartnäckig Rußland. Sie sind sicher
schon in großer Sorge um mich. Aber ich
lebe noch, bin nicht gefangen und befinde
mich persönlich in dem Zustand, in dem
Sie sich zwischen Berlin und Swinemünde
befinden. Sie schätzen mich als objektiven
Menschen und sind begierig, von mir die
„Wahrheit” über USSR zu hören. Zunächst
kann ich Ihnen versichern, daß die verbrei-
teten Wahrheiten die Qualität der ehemaligen
„Wahrheiten” über den Weltkrieg haben.
Man schreibt und spricht von der Gesinnung
aus, die man durch den Zufall seiner
Existenz sich aneignet. Richtiger: die einem
fast willenlos angeeignei wird. Eigentum
0 erhält den Familiensinn, ist Ihr Wahrspruch.
Ihr Sohn muß den Schreibtisch und Ihre
Tochter das Büffet erben. Sonst pfeifen sie
auf Elternliebe. Der goldene Ring vom
Urgroßvater soll noch die Hand des Ur-
enkels schmücken und ihn an die rastlose
Arbeit des Vorfahren erinnern, der diesen
Besitz sich vom Magen abgespart hat. Auch
wünschen Sie in Ihrem persönlichem Bett
zu sterben. Ich kann Sie insoweit über den
Bolschewismus beruh'gen, als alle Leute in
dem Besitz des Schreibtisches, des Büffets,
des Ringes und des Beites geblieben sind.
Selbt das kleine Landhäuschen in Thüringen
hätten Sie behalten dürfen, wenn Sie es
schon hätten und Thüringen im Gebiet der
USSR liegen würde. Aber die deutsche
Republik sorgt nicht genügend für die Be-
amten, wenigstens nicht so gut, daß man
sich das Landhäuschen absparen kann. Hin-
gegen habe ich eine furchtbare Entdeckung

gemacht: die Bolschewisten haben die Be-
amten abgeschafft und infolgedessen auch
die Pension der Beamten. Man kennt nur
Staatsangestellte, die wie alle Angestellten
behandelt werden. Sie bekommen nämlich
alle Pension, wenn Sie arbeitsunfähig sind.
Man kann allerding nicht davon träumem,
daß man sich ohne Arbeit, aber doch mit
Fähigkeit nach dem vollendeten 65. Lebens-
jahr mit geringen Sorgen in das Land-
häuschen zurückziehen wird, das man nicht
besitzt. Das Leben kostet eben vor der
Pensionsfähigkeit zuviel Geld. Natürlich die
Hochfinanz muß erhalten werden. Wovon
soll sie sonst leben. Da müssen wir eben
alle Opfer bringen. Und ohne freien Han-
del geht es nicht. Ihre verehrte Frau Gemahlin
muß das Recht haben, von der Wohnung im
standesgemäßen Westen einige Stunden weit
nach dem Osten zu fahren, um dort Mehl
und Gesellschaftstoiletien billiger einzukaufen
als bei der Konkurrenz. Die Bolschewisten
sind offenbar gegen die weiten Wege der
Hausfrauen und haben die ganze Konkur-
renz abgeschafft, um billige Preise zu erzie-
len. Sie haben sozialisiert. Hier beginnt das
Verbrechen. Wir sind ja beide nicht Händler,
haben also das Recht auf Objektivität, da
wir beim Handeln nur verlieren. Der Privat-
handel ist eigentlich auch nicht abgeschafft.
Jeder kann handeln und Preise machen, wie
er will. Er wird nur lebhaft besteuert. Nur
die Gegenstände des täglichen Bedarfs haben
die berühmten Höchstpreise, interessieren
daher auch den Handel nicht. Wenn eine
Frau Gemahlin, hier nennt man soetwas
wegen Ersparung der Lungenkraft Genossin,
vergessen hat, den Hering zum Abendbrot
einzukaufen, rennt sie natürlich nicht in die
Konsumgenossenschaft, bei uns Warenhaus
genannt. Sie läßt den Privathandel den Höchst-
preis verdienen. Diese Konsumgenossen-

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